Das LG München hat im Patentstreit zwischen IP Brigdge aus Japan und Huawei aus China ein Urteil mit Strahlkraft getroffen: Wer als SEP Nutzer im Ausland eine ASI beantragt oder dies androht, gilt in Verfahren um FRAND Lizenzkonditionen in der Regel als ’nicht lizenzwillig‘.
Ausland ASI – beliebtes Mittel in FRAND Lizenzstreitigkeiten
Die Patentverwertungsgesellschaft IP Bridge aus Japan und die Verfügungsbeklagte Huawei verhandeln seit 2015 über eine FRAND gerechte Lizensierung eines Portfolios von Patenten der Patentverwertungsgesellschaft, die als essentiell für den 2G-, 3G- und/oder 4G-Standard gelten. Da der 5G Standard wiederum auf den 4G Standard aufbaut, kann man durchaus davon ausgehen, dass ein Teil dieser Patente auch für den neuen 5G Standard relevant sind. Und im die technologische Vormachtstellung im 5G Standard wird derzeit global gerungen – und politisch taktiert.
Das zeigt sich auch in diesem Fall: IP Bridge aus Japan hat inzwischen mehrere Patentverletzungsklagen in Bezug auf diese standard-essentiellen Patente (SEP) gegen Huawei erhoben: eine Klage vor dem LG München (Klageschrift vom 8. Januar 2021, Az. 7 O 360/21) und eine weitere Klage beim LG Mannheim (Az. 7 O 5/21). Zudem hat IP Bridge beim britischen High Court (UK) einen Antrag auf eine globale FRAND-Lizenz gestellt (ist derzeit noch nicht entschieden) in Bezug auf die standardessentiellen Patente EP 17 88 782 B1, EP 22 94 737 B1, EP 21 24 463 B1, die auch im Mittelpunkt der Patentverletzungsklagen von IP Bridge gegen Huawei stehen.
Beliebte Waffen sind in diesem globalen Wettstreit um essentielle Patente für 4G und 5G Standards zudem Anti-Suit-Injunctions (ASI) und Anti-Enforcement Injunctions (AEI). Zum Verständnis: eine ASI ist eine Anti-Verfahren-Verfügung, eine AEI dagegen eine Anti-Vollstreckung-Verfügung.
Insgesamt kann diese Verlagerung von SEP Streitigkeiten um FRAND konforme Lizensierung auf ASI Entscheidungen durchaus auch kritisch gesehen werden. Anstatt – wie eigentlich mit den FRAND Bedingungen angestrebt – vor allem die Einigung von Nutzern und Inhabern von essentiellen Patenten zu erreichen, verlagern sich immer mehr dieser Fälle vor die Gerichte – besonders oft auch in Deutschland, vor allem aber global und taktisch geplant mit einer Ausland ASI. Darunter versteht man eine im Ausland beantragte ASI, mit der ein Patentinhaber daran gehindert werden soll, Patentansprüche aus seinen SEPs (standard-essentielle Patente) in Deutschland geltend zu machen.
Patentstreit wurde bereits in China plus Deutschland geführt
In diesem Fall war zwischen den beiden Parteien bereits auch ein chinesisches Verfahren vor dem Gericht in Nanjing anhängig gewesen, in dessen Verlauf etwas Bemerkenswertes passierte. Dieses Gericht Gericht hatte einen FRAND-Lizenzsatz für die chinesischen Patente aus dem umstrittenen Patent Portfolio festgelegt (eine sogenannte FRAND-Determination).
Eine chinesische gerichtliche Feststellung einer chinesischen FRAND-Lizenzgebühr auf Streitpatente bestimmt übrigens lediglich eine Lizenzgebühr, die vom chinesischen Gericht als FRAND konform erachtet wird. Dies aber begründet keinen Lizenzvertrag – die Parteien müssen weiterhin durch Verhandlungen zu einem Vertragsabschluss gelangen.
Auf jeden Fall erhob IP Bridge im Folgenden gegen Huawei ein Patentverletzungsverfahren (Az.: 4b O 30/18) – und zwar vor dem Landgericht Düsseldorf. Mit Erfolg, am 27.08.2020 wurde Huawei zur Unterlassung verurteilt. Doch am gleichen Tag beantragte Huawei beim Obersten Volksgerichtshof der Volksrepublik China (Az.: (2019) Zui Gao Fa Zhi Min Zhong No. 792, 733 and 734) eine Unterlassungsverfügung, die untersagte, das antizipierte Unterlassungsurteil des LG Düsseldorf im Patentverletzungsverfahren zu vollstrecken (eine sogenannte Anti-Enforcement Injunction).
Man muss wissen: Die Entscheidung des Obersten Volksgerichtshofs erging ex parte (also seitens nur einer Partei) zur Sicherung des chinesischen FRAND-Feststellungsverfahrens. Und Rechtsmittel gegen solche Entscheidungen („Reconsideration“) haben im chinesischen Prozessrecht keine aufschiebende Wirkung.
LG München – IP Bridge vs. Huawei
Das LG München (möglicherweise durch diese Entscheidung des Obersten Volksgerichtshofs China beeinflusst) jedenfalls untersagte Huawei in Bezug auf diesen Patentstreit per einstweiliger Verfügung, eine Unterlassungsverfügung, insbesondere bei einem Gericht der Volksrepublik China, zu beantragen gegen die beim LG München I eingereichte Patentverletzungsklage vom 8. Januar 2021 sowie Klageansprüche aus weiteren Patenten oder weitere Verletzungsklagen zu betreiben (Anti-Suit Injunction, ASIs). Ebenso untersagte die einstweilige Verfügung des LG München, in dieser Sache eine Anti-Enforcement Injunciton (AEI) in der Volksrepublik China zu beantragen.
Gegen diese Entscheidung des LG München vom 11.01.2021 legte Huawei Widerspruch ein, den jetzt Ende Juni das LG München mit seinem hier zusammengefassten Endurteil zurückwies (7 O 36/21). Das Landgericht München hält es demnach für wahrscheinlich, dass Huawei eine einstweilige Verfügung bei einem chinesischen Gericht einreichen wird bzw. würde, um IP Bridge daran zu hindern, Ansprüche aus seinen SEPs in Deutschland geltend zu machen.
Denn Huawei bzw. ihre Konzernunternehmen können jederzeit und ohne Vorwarnung eine Anti-Suit Injunction vor einem chinesischen Gericht im Rahmen eines parallel anhängig gemachten FRAND-Feststellungsverfahrens erwirken. Es liege Erstbegehungsgefahr vor, urteilte das LG München.
Vorverlagerung der Erstbegehungsgefahr?
Zwar liege eine für die Erstbegehungsgefahr relevante konkrete Verletzungshandlung derzeit gar nicht vor (Huawei hat noch keine Ausland ASI beantragt), räumte das LG München ein. Doch das LG München verwies auf die BGH Rechtsprechung zur Erstbegehungsgefahr, demnach zwar das Bestehen von Rechten (die Huawei durch die chinesische FRAND-Determination hat) nicht ausreicht zur Begründung einer Erstbegehungsgefahr, aber sehr wohl eine drohende Verletzungshandlung. Diese liege hier vor, entschied das LG München, und betonte, dass auch die Bereitschaft zu entnehmen sein müsse, sich unmittelbar oder in naher Zukunft in rechtskonform zu verhalten (vgl. BGH Urteil vom 20.12.2020 – I ZR 133/17, Rn. 53 mwN – Neuausgabe).
Eine solche Bereitschaft liegt in Bezug auf Ausland ASIs grundsätzlich nicht vor, erklärte das LG München und erläuterte dies auch. Die bislang bekannt gewordenen Anträge auf Erlass einer ASI wurden sämtlich damit begründet, eine im Erlassstaat anhängige Hauptsacheklage in Bezug auf FRAND-Lizenzverträge oder FRAND-Lizenzkonditionen zu schützen. Die Hauptklagen gehen also von Annahme aus, der Patentbenutzer sei lizenzwillig, denn der Wille zur Vereinbarung ist ein ganz wesentlicher Aspekt in der FRAND-Rechtsprechung.
Ein Patentbenutzer aber, der im Ausland einen Antrag auf Erlass einer ASI stellt oder dies androht, kann in der Regel nicht als hinreichend lizenzwillig im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs angesehen werden, urteilten die Münchner Richter. Letztlich impliziert dies eine zeitliche Vorverlagerung der Erstbegehungsgefahr und im Übrigen auch eine quasi vorbeugende ASI – oder auch eine AASI ohne ASI.
Ausland ASI = nicht lizenzwillig: ein Urteil mit Strahlwirkung
Das ist ein Urteil mit Strahlwirkung auf die globalen Patentstreitigkeiten, die sei Neuestem vor allem durch ASIs und deren Steigerung ausgetragen werden. Solche ausländischen Unterlassungsverfügungen sind von nun an wohl deutlich unattraktiver in Deutschland, insbesondere in München. Es gibt Berichte, dass speziell in München in letzter Zeit fast wöchentlich ASI-Anträge mit China-Bezug gestellt wurden; die Münchner Richter haben auch bereits eine Leitsatzentscheidung getroffen über einen Inländischen Verfügungsantrag gegen eine chinesische ASI.
Das Münchner Gericht betonte, dass die Beantragung einer ASI vor einem ausländischen Gericht, um die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen wegen Patentverletzung in Deutschland zu verhindern, laut Rechtsprechung eine Beeinträchtigung der eigentumsähnlichen Rechtsposition des Patentinhabers in Deutschland darstellt (OLG München GRUR 2020, 379; LG München I BeckRS 2021, 3995, Rn. 120).
Schließlich schloss das LG München noch den Kreis zu der Erstbegehungsgefahr. Es gibt einen Anspruch auf den Zugang zu Gerichten (Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG). Und dieser Justizgewährungsanspruch gebiete die wie vorliegend erfolgte maßvolle Vorverlagerung der Erstbegehungsgefahr, um einen infolge einer Ausland ASI drohenden faktischen Ausschluss des Zugangs zu den Gerichten bereits im Ansatz zu verhindern. Einem Patentinhaber drohe der Erlass einer ASI als Reaktion auf seinen Verletzerhinweis, erläuterte das Gericht. Faktisch werde er darin gehindert, seinen patentrechtlichen Unterlassungsanspruch auch gegenüber unstreitig lizenzunwilligen Patentbenutzern während der Laufzeit der Patente mit Aussicht auf Erfolg gerichtlich durchzusetzen.
Nur die vorgeschlagenen Modifikationen betreffend einer zeitliche Vorverlagerung der Annahme einer Erstbegehungsgefahr könnten den gebotenen Zugang zu den Gerichten gewährleisten, fasste der LG München zusammen.
Im Übrigen lautet das Urteil, dass aufgrund des zu befürchtenden rechtswidrigen Eingriffs in die eigentumsähnlich geschützte Rechtsposition der Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagten zur Unterlassung künftiger Eingriffe zu verurteilen sind gemäß § 1004 BGB. Der Weg ist damit frei für die eigentlichen Patentverletzungsverfahren zwischen den Parteien.
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Quellen:
Urteil des LG München vom 24.6.2021, 7 O 36/21
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