Whistleblower wie Assange oder Frances Haugen polarisieren nicht nur im politischen Sinn, sondern können durch ihr besonderes Wissen auch oftmals Patentverletzungen nachweisen. Ist das zulässig? Das LG München bejahte dies mit einer Leitsatzentscheidung.
Pharmazeutisches Streitpatent
In diesem interessanten Fall vor dem LG München, der 2018 entschieden wurde, ging es um ein Patent zur pharmazeutischen Verwendung, insbesondere zur intravenösen Verabreichung gegen Herzinsuffizienz (das Verfügungspatent EP 1 210 085 B1). Die Klagepartei ist Inhaberin dieses Patents und stellt auf dessen Basis das Produkt „Simdax“ her und vertreibt dieses Produkt auch.
Die Beklagtenpartei wiederum ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, sie betreibt ein Universitätsklinikum mit einer Apotheke als nicht selbstständige Abteilung. Bis 2009 bezog die Beklagtenpartei das Produkt „Simdax“ von der Klagepartei. Bereits 2013 hatte die Klagepartei den Verdacht, die beklagte Partei habe die Lehre des Streitpatents genutzt, es gab Schriftverkehr dazu, jedoch keinen Rechtstreit.
Das änderte sich jedoch, als eine Mitarbeiterin der Klagepartei 2016 in der Stadtklinik in Bad Tölz pharmazeutische Produkte vorfand, nämlich Ampullen „Levosimendan (Simdax ®) der beklagten Partei. Die Stadtklinik in Bad Tölz ließ sich diese Ampullen als günstiges Alternativpräparat liefern, allerdings waren nicht alle Mitarbeiter der Stadtklinik damit einverstanden.
So wurde 2017 von einem Oberarzt der Stadtklinik für die Klagepartei ein Testkauf dieser Ampullen bei der beklagten Partei durchgeführt, anhand dessen die Klagepartei eine mittelbare Patentverletzung nachweisen konnte. Bereits durch den erfolgten Testkauf sei offensichtlich, entschied das LG München, dass es sich bei den Ampullen der beklagten Partei um ein Austauschpräparat handele.
Beschaffung der Nachweise durch Whistleblower
Vor dem Landgericht war daher auch der Testkauf selbst und die Art der Beschaffung der Nachweise Streitthema. Die Frage war, ob diese Nachweise unter das sogenannte Beweisverwertungsverbot fallen, und zu dieser Frage äußerte sich das Landgericht München auch grundsätzlich und über den vorliegenden Fall eines Testkaufs hinaus.
Das Gericht verwies zunächst einmal auf die Fachliteratur, denn nach herrschender Meinung kommt die Annahme eines Verwertungsverbotes in zivilrechtlichen Verfahren nur ausnahmsweise in Betracht (siehe Prütting, MüKo ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287, Rn. 67). Eine solche Ausnahme sei denkbar, wo ein rechtswidriger Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen des Einzelnen vorliegt (insbesondere Eingriffe in die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht). Dies müsse insbesondere bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen gelten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, erläuterte das Landgericht.
Patentverletzung faktisch nicht nachweisbar ohne den Whistleblower
Das aber treffe nicht auf den vorliegenden Fall zu, entschied das Gericht. Allenfalls handele es sich hier um einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, der aber hinter der Tatsache zurücktritt, dass es der Klagepartei ohne den Einsatz eines Whistleblowers faktisch unmöglich wäre, Patentverletzungen nachzuweisen. Denn ansonsten wäre es nicht möglich gewesen, die Medikamente zu untersuchen, die die beklagte Partei an mit ihr verbundene Krankenhäuser ausliefert. Insgesamt sei kein rechtlicher Gesichtspunkt ersichtlich, der einer Verwertung der durch einen Whistleblower gewonnenen Proben entgegensteht, erklärte das LG und fasste dies auch in folgender Leitsatzentscheidung zusammen:
Leitsatz Whistleblower des LG München
„Ist der Nachweis einer Patentverletzung ohne den Einsatz eines sog. Whistleblowers faktisch unmöglich, so steht einer prozessualen Würdigung selbst dann kein Beweisverwertungsverbot entgegen, wenn der Einsatz als solcher einen zivilrechtlichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der potentiellen Patentverletzerin darstellt.“
Whistleblower riskiert die eigene rechtliche Verfolgung
Das Landgericht München ergänzte, im vorliegenden Fall habe die beklagte Partei an Krankenhäuser liefert, die mit ihr in einem dauerhaften Belieferungsverhältnis stehen und ein Interesse haben, günstige Alternativpräparate zu hochpreisigen Medikamenten zu erhalten. In dieser Konstellation haben die Belieferten kein Interesse, etwaige Verstöße an Rechteinhaber mitzuteilen, betonte das Gericht.
Auch daher war die Patentverletzung quasi nur durch einen Whistleblower nachweisbar – der allerdings die eigene rechtliche Verfolgung riskiert. Das geschah auch im vorliegenden Fall: Gegen diesen Whistleblower war durch dessen Arbeitgeber, der von der beklagten Partei belieferten K. Stadtklinik in Bad Tölz, bereits eine Anzeige wegen Diebstahls erhoben worden.
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Quellen:
LG München, Leitsatz Whistleblower, 7 O 16124/17
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