Für die gesamte moderne Technologie in der Telekommunikation, in Funknetzen und auch im Internet der Dinge (IoT) sind sogenannte Standard-Essentielle-Patente (SEPs) unverzichtbar. Die damit einhergehende Pflicht zu Lizenzvereinbarungen nach FRAND-Bedingungen unterliegen wesentlich den Regeln durch das durch EuGH Urteil Huawei vs. ZTE von 2015.
Sogenannte Standard-Essentielle Patente (SEPs) sind vor allem im Bereich Telekommunikation bereits seit vielen Jahren unverzichtbar. Solche Patente werden vom Patentinhaber als wesentlich für die Standardisierungsorganisation European Telecommunications Standards Institute (ETSI) gemeldet und müssen sich schriftlich verpflichten, diese Patente zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden (FRAND) Bedingungen in Übereinstimmung mit der IPR-Richtlinie von ETSI an Wettbewerber zu lizenzieren.
Immer wieder kommt es jedoch zu rechtlichen Auseinandersetzungen, in denen die Patentinhaber geltend machen, das eigene SEP sei verletzt worden, und die Gegenpartei sich beschwert, dass der Patentinhaber unfaire Bedingungen an eine – letztlich noch nicht erfolgte oder bereits gescheiterte – Lizenzvereinbarung gestellt habe.
Umso wichtiger ist das EuGH Urteil Huawei vs. ZTE von 2015 (C‑170/13, EU:C:2015:477), durch das die rechtliche Einordnung in dem diesem Bereich klarer wurde – mit einer leichten Tendenz zugunsten der SEP-Nutzer. Der EuGH gab in seinem Urteil wichtige Regeln für SEPs vor für die Lizenzvereinbarungen in standardbasierte Technologien. Dazu zählen neben der Telekommunikation natürlich auch die Funknetze und entsprechende Logistik und das Internet der Dinge (IoT), das sich vor allem im Bereich des vernetzten Zuhauses (Smart Home) immer mehr zum Standard entwickelt.
Der Patentinhaber eines SEP ist gemäß Art. 102 AEUV verpflichtet, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen. Oftmals wird jedoch um die angemessenen FRAND-Bedinungen gestritten. Auch in dem Fall Huawei vs. ZTE vor dem EuGH waren sich die Parteien nicht einig, welche Anforderungen durch die FRAND-Bedingungen gestellt werden. Eine marktbeherrschende Stellung lag vor, darin waren sich die Parteien einig. Daher prüfte der EuGH im Fall Huawei vs. ZTE nur das Vorliegen eines Missbrauchs gemäß Art. 102 AEUV.
EuGH präzisiert die Anforderungen nach Art. 102 AEUV
Ein Patent für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten Standard (SEP) ist essenziell und seine Benutzung daher für jeden Wettbewerber unerlässlich, erinnerte der EuGH. In einem solchen Fall sei die Erhaltung eines freien Wettbewerbs, zu dessen Schutz das Primärrecht, insbesondere Art. 102 AEUV, die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung gegeneinander abzuwägen. Hinzu komme jedoch, dass in Anbetracht der Tatsache, dass eine Zusage, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, bei Dritten die berechtigte Erwartung auf eben eine solche Lizenzvereinbarung geweckt wird.
Huawei vs. ZTE: „Pingpong“ Verfahren
Daher habe ein Patentinhaber eines SEP besondere Anforderungen zu beachten, erklärte der EuGH und präzisierte diese Anforderungen.
Kurz gesagt: Um faire und zügige Lizenzverhandlungen zu ermöglichen und die Feststellung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zu vermeiden, muss der Inhaber eines Standardessentialpatents (SEP) gegenüber dem Wettbewerber und Lizenzinteressierten erklären und auch begründen, warum sein Lizenzangebot FRAND wie vorliegend ist, so dass der Lizenzinteressierte das Angebot beurteilen und mit einem realistischen Gegenangebot beantworten kann. Der Lizenzinteressierte wiederum darf keine Verzögerungstaktik verfolgen.
Übrigens hat der EuGH Ende 2015 in einem Berichtigungsbeschluss hinzugefügt, dass sowohl der Hinweis auf die Verletzung als auch das klägerische Lizenzangebot vor Erhebung der Klage zu erfolgen haben.
Denn der EuGH hat mit Huawei vs. ZTE folgende klare Anforderungen für den Patentinhaber eines SEP formuliert, um keinen Missbrauch zu begehen.
- Der Patentinhaber eines SEP darf keine Ansprüche auf Unterlassung oder Rückruf gegen den angeblichen Patentverletzer geltend machen, ohne ihm dies anzukündigen und ihn vorher anzuhören, selbst wenn das betreffende SEP von dem angeblichen Verletzer bereits benutzt wurde.
- Der Patentinhaber des SEP muss ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreiten.
- In diesem schriftlichen Lizenzangebot sind insbesondere die Lizenzgebühr und die Art und Weise ihrer Berechnung anzugeben.
Doch auch der Wettbewerber und angebliche Patentverletzer hat Vorgaben zu beachten, entschied der EuGH und formulierte folgende Anforderungen an den angeblichen Patentverletzer:
- der angebliche Patentverletzer darf keine Verzögerungstaktik verfolgen
- bei Ablehnung des Lizenzangebots des Patentinhabers ist dem Inhaber des betreffenden SEP ist innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot zu machen gemäß den FRAND-Bedingungen
- bei Benutzung des Patents, bevor ein Lizenzvertrag geschlossen wurde, muss vom Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots ist eine angemessene Sicherheit vom angeblichen Patentverletzer zu leisten, z. B. indem er eine Bankgarantie beibringt oder die erforderlichen Beträge hinterlegt.
Patentverletzungsklage auf Unterlassung oder Rückruf
Der Patentinhaber eines SEP kann nur dann eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der auf der Basis seines Patents hergestellten Produkte erheben, wenn sein Lizenzangebot nach den vom EuGH in diesem Urteil genannten Regeln formuliert war und wenn er vor Erhebung der Klage den angeblichen Verletzer die Klage ankündigt und ihn vorher anhört, selbst wenn das betreffende SEP von dem angeblichen Verletzer bereits benutzt wurde.
Und selbst dann, wenn all dies vorliegt, ist eine Patentverletzungsklage gegen den Patentverletzer nur zulässig, wenn dieser Patentverletzer das Lizenzangebot nicht mit Sorgfalt beantwortet, urteilte der EuGH. Konkret bedeutet das, führte der EuGH aus, dass der Patentverletzer schriftlich ein konkretes Gegenangebot machen muss, um seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen, und auch keine Verzögerungstaktik verfolgt, während er das betreffende Patent weiter benutzt. Welcher Zeitraum dies konkret sein kann, hat das Gericht in Karlsruhe (6 U 183/16 (Philips v Wiko)) konkret benannt: der angebliche Patentverletzer sollte regelmäßig nicht mehr als zwei Monate für die Prüfung und die Entscheidung, seine Bereitschaft zur Lizenzvereinbarung zu erklären, benötigen.
Erhebt ein Patentinhaber eines SEP eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung oder Rückruf von Produkten, ohne diese Bedingungen zu erfüllen, begehe er die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV, urteilte der EuGH in seinem Urteil Huawei vs. ZTE von 2015.
Klage auf Schadensersatz des Patentinhabers ist zulässig
Allerdings könne der Patentinhaber des SEP gegen den angeblichen Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen erheben, ergänzte der EuGH.
Grundsätzlich verwenden die nationalen Gerichte dabei verschiedene Methoden zur Bestimmung des FRAND-Satzes wie Vergleiche, hypothetische Verhandlung, Top-Down, Mehrwert oder Bottom-Up. Rechtlich ist noch nicht einheitlich, wie Schadensersatz zu berechnen wäre. Beispielsweise das OLG Düsseldorf setzte als Basis der Berechnung von Schadensersatz gegen den Patentverletzer lediglich eine FRAND-Lizenzgebühr, das OLG Karlsruhe dagegen auch die Kosten und Gewinne des Patentverletzers.
Gleichzeitige Nichtigkeitsklage gegen den Patentinhaber des SEP
Einem Patentverletzer wiederum steht ausdrücklich frei, gleichzeitig neben den Verhandlungen über die Erteilung von Lizenzen beispielsweise eine Nichtigkeitsklage gegen den Patentinhaber eines SEP zu führen, urteilte der EuGH. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass eine Standardisierungsorganisation wie diejenige für SEP im Standardisierungsverfahren weder prüft, ob die Patente rechtsbeständig sind, noch, ob sie für den Standard, zu dem sie gehören, essenziell sind. Es sei daher recht und billig, die Rechtsbeständigkeit dieser Patente oder ihren essenziellen Charakter für den Standard anfechten zu können, dies gewähre Art. 47 der Charta mit dem gewährleisteten Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, entschied das höchste Europäische Gericht.
Offene Fragen zur Lizenzvereinbarung nach ETSI FRAND
Strittig ist allerdings noch immer die rechtliche Bedeutung der Lizenzverpflichtung von ETSI FRAND, die von den Teilnehmern an seinen Normenentwicklungsprozessen unterzeichnet wurde; ist es eine lediglich vorvertragliche Angelegenheit oder eine Vereinbarung zugunsten Dritter, also auch von Nicht-ETSI-Mitgliedern? Entsprechend stützen sich die Beklagten in SEP-Fällen in den USA auch durchaus auf das Vertragsrecht, in Europa wiederum vor allem auf das Kartellrecht.
Auch die wichtige Frage, wer die Beweislast für die FRAND-Konformität des Lizenzangebots (und damit womöglich auch die Offenlegung des Inhalts aller abgeschlossenen Drittlizenzen) zu erbringen hat, ist von den nationalen Gerichten in jüngster Zeit unterschiedlich entschieden worden, im Übrigen auch mit den Kontrahenten Huawei vs. ZTE, die in mehreren europäischen Gerichten ihren Disput weiter verfolgen. Das Berufungsgericht Den Haag sah Anfang 2019 die Beweislast bei dem angeblichen Patentverletzer, das OLG Düsseldorf und das OLG Karlsruhe dagegen bei dem Patentinhaber des SEP.
Lizenzverträge sind schwer vergleichbar
Oftmals sind Lizenzverträge allerdings nur schwer vergleichbar, manchmal auch nur mit Hilfe eines Sachverständigen aufgrund von spezifischen Regelungen und Konditionen. Dies macht die Sachlage auch für die Gerichte nicht einfacher, umso mehr, da oftmals Lizenzgebühren für verschiedene Länder festzulegen sind mit entsprechend unterschiedlichem Regeln für übliche Lizenzverträge in diesen Ländern.
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Quellen:
Urteil des EuGH, ‚Huawei vs. ZTE‘, EU:C:2015:477
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