Weltweit macht die Telekommunikationsbranche aufmerksam auf die Anti-Suit-Injunction (ASI) – als Abwehr in SEP- und FRAND Streitigkeiten. Auch in Deutschland werden immer häufiger ASI Streitigkeiten vor Gericht gebracht.
Werfen wir also einen kurzen Blick auf die sogenannte ASI; das ist die Kurzform für eine englischsprachige Anti-Suit-Injunction und meint eine Anti-Prozess-Verfügung, im Grunde eine Anti-Klage-Unterlassungsklage. Ausgangspunkt sind dabei zwei nationale Verfahren mit nationaler Wirkung – bei denen jedoch Überschneidungen bei der Beurteilung möglich sind. Hier wird es spannend, denn dann kann versucht werden, mit Ausnutzung von nationalen Schutzrechten Vorteile zu erlangen. Ebenso wichtig ist der Aspekt, dass man durch eine ASI eine Verfahrensverzögerung beeinflussen bzw. verhindern kann.
Anti-Suit Injunctions sind Unterlassungsverfügungen der Gerichte in Common-Law-Staaten (vor allem im UK und den USA, aber auch in vielen weiteren englischsprachigen oder (ehemaligen) Commonwealth) mit dem Ziel, Verfahren in anderen Staaten zu unterbinden.
Anti-Suit-Injunction im Rechtsstreit um FRAND und SEP
In der Praxis kommt es zu Überschneidungen zwischen zwei nationalen Verfahren vor allem bei Rechtsstreitigkeiten um FRAND und SEP Lizenzen, also bei standard-essentiellen Patenten (SEP) vor allem im Bereich der Telekommunikation. Ein klassisches (und durchaus reelles) Beispiel dafür wäre eine Unterlassungsklage in Deutschland aus einer SEP und FRAND-Festsetzungsklage in USA, die Anti-Suit-Injunction würde dabei dienen als Abwehr einer unerwünschten Übernahme von FRAND-Verfahren. In einem anderen Beispiel würde das 1. Verfahren eine Festsetzung für eine FRAND-Lizenz vor einem Gericht in China geführt, ein 2. Verfahren mit einer Klage auf SE-Feststellung dagegen in Deutschland. Das Motto dazu lautet gewissermaßen „my injunction beats your injunction“.
Anti-Suit-Injunction in der EU Rechtsprechung
Entsprechend der wirtschaftlichen Tragweite und der weit über nationale Patentrechte hinausreichende Wirkung von Ant-Suit-Injunctions ist die Anwendung und Rechtmäßigkeit von ASIs immer wieder Streitthema vor den EU Gerichten.
So urteilte der EuGH bereits 2004 (C-159/02 –Turner v Grovit), dass eine ASI mit EuGVÜ selbst dann unvereinbar ist, wenn das 2. Verfahren dazu dient, das 1. Verfahren zu behindern. (Das EuGVÜ wurde zum 1.3.2002 weitgehend durch die EuGVVO abgelöst, das wiederum ist die EU-Verordnung Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Kurzbezeichnung Brüssel-Ia-Verordnung.)
Vor allem aber urteilte der EuGH dann in 2009 (Urteil C-185/07 –Allianz v West Tankers), dass eine Anti-Suit-Injunction der EU Verordnung 44/2001 von 2000 entgegenstehe. Eine ASI nehme den nationalen Gerichten die Möglichkeit, über Anwendbarkeit der VO und somit über die eigene Zuständigkeit zu befinden. Allerdings ging es dabei um Anti-Suit-Injunctions eines europäischen Gerichts, mit denen die Prozessführung in einem anderen europäischen Staat unterbunden werden soll.
Das Urteil stand dennoch schon damals konträr zu UK Recht.
Rechtsgrundlage für Prozessführungsverbote im englischen Recht ist § 37 (1) des Supreme Court Act 1981. Für anti-suit injunctions zum Schutz von Schiedsvereinbarungen wird in § 44 (1) und (2) (e) des Arbitration Act 1996 klargestellt, dass die innerstaatlichen Gerichte dieselben einstweiligen Verfügungen erlassen dürfen wie bei gerichtlichen Verfahren. Anti-suit injunctions richten sich an den tatsächlichen oder möglichen Kläger eines ausländischen Verfahrens. Ihm wird untersagt, das Verfahren vor jenem Gericht einzuleiten oder fortzuführen; bei Nichtbeachtung drohen empfindliche Strafen.
Deutsche Urteile zu Anti-Suit-Injunction
Das wiederum ist nach deutschem Recht nicht zulässig. Im deutschen Verfahrensrecht gibt es keine dem Common Law vergleichbare Befugnis, einer Partei die Prozessführungsbefugnis abzusprechen. Die durch eine Anti-Suit-Injunction drohende Nichtweiterführung der Patentverletzungsklagen widerspricht dem eigentumsrechtlichen Zuweisungsgehalt des Patents nach §§ 9 f., 139 ff. PatG, urteilte entsprechend das LG München in 2019 (21 O 9333/19). Eine Anti-Suit Injunction (US-Recht) verstoße gegen deutsches Recht, da es darauf abzielt, der Antragsgegnerin ihre Klagebefugnisse im Inland zu nehmen.
Ebenfalls 2019 entschied zudem das OLG München (6 U 5042/19), ein Patentinhaber sei schutzbedürftig, auch wenn eine ASI in Deutschland nicht für vollstreckbar erklärt werden könne, da er im Falle einer Zuwiderhandlung mit der Verhängung einer Strafe in den USA rechnen müsse. Die im Inland erlassene EV (einstweilige Verfügung) stelle auch keine Einmischung in die Hoheitsrechte der USA dar, sondern diene der Abwehr drohender Eingriffe in Deutschland. Im Übrigen, so entschied das OLG München, liege bereits bei Antragstellung in den USA eine Erstbegehungsgefahr vor. Im konkreten Fall sah das OLG München im Parallelverfahren nicht nur den amerikanischen Konzern (des ASI beantragenden FRAND-Lizenzsuchers) als passivlegitimiert an, sondern auch die deutsche Muttergesellschaft.
Und das Landgericht Düsseldorf entschied in 2018, eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens nach Art. 30 EuGVVO sei nicht angezeigt, da die Gefahr widerstreitender Entscheidungen im Hinblick auf die Parallelverfahren drohe, es zu einer durch die „Kettenaussetzung“ bedingten langfristigen Verfahrensverzögerung komme und der Torpedo im Übrigen auch rechtsmissbräuchlich sei (4c O 81/17).
Seit 2019 sind ASI Streitigkeiten häufig geworden
In Deutschland werden seit 2019 immer häufiger ASI Streitigkeiten vor Gericht gebracht. Und als neueste Entwicklung beteiligt sich auch China massiv an dem globalen SEP Wettkampf im Telekommunikationsbereich und zwar auch oftmals in Deutschland. So liegen – vor allem den Gerichten in München und Düsseldorf – seit 2019 auffällig viele Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor. Derzeit kommen dabei die meisten Beklagten aus China.
Bahnt sich hier ein weiterer Handelsstreit zwischen China und dem Westen an, in diesem Fall ein Wettstreit um SEP? Eine ASI jedenfalls scheint die derzeit beliebteste Waffe in globalen SEP- und FRAND Streitigkeiten zu sein.
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Quellen:
Urteil des OLG München, Urteil v. 12.12.2019 – 6 U 5042/19 und weitere Urteile direkt im Text genannt
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