Bei der Prüfung von Verwechslungsgefahr von identischen Marken gibt es nach Rechtsprechung Kriterien für den Vergleich der Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen. Diese Liste von „relevanten Faktoren“ ist nicht abschließend, urteilte der EuG, auch die Geschäftspraxis ist relevant.
Markenschutz gilt stets bezogen auf den beanspruchten Schutzbereich der Waren und Dienstleistungen für die Marke. Daher ist es durchaus möglich, dass ein Zeichen (ein Wort, Begriff oder ein Bild) gleich mehrfach als Marke geschützt ist, ein gutes Beispiel dafür ist „Sherpa“.
Kommt es aber zum Markenstreit und der Prüfung der Verwechslungsgefahr, ist gerade bei grundsätzlich identischen oder sehr ähnlichen Marken ein genauer Vergleich der beanspruchten Waren und Dienstleistungen erforderlich. Denn je ähnlicher zwei Marken sind, desto deutlicher müssen sich die Waren und Dienstleistungen unterscheiden, andernfalls liegt Verwechslungsgefahr vor. Dabei ist laut Rechtsprechung nicht entscheidend, welche Nizza-Klassen für die Markenregistrierung gewählt wurden, es geht stattdessen um die tatsächlich beanspruchten Waren und Dienstleistungen und die ausformulierten Details dazu. Wie wenig eindeutig das in der Praxis sein kann, zeigt das Beispiel „Textilien“ (Nizza-Klasse 35) – lesen die dazu gerne HIER weiter.
Doch wie ist es bei einem Vergleich der Waren „Uhr“ und „Automobile“ in dem Markenstreit „Hispano Suiza“? Kurz gesagt: nicht so eindeutig wenig ähnlich wie es scheint.
Kriterien für Vergleich von Waren und Dienstleistungen
Was gehört eigentlich zu so einem genauen Vergleich der Warenähnlichkeit? In der Sprache der Gerichte heißt es, „alle relevanten Faktoren sind zu berücksichtigen“, das bedeutet in der Praxis oftmals, die Vertriebswege sind in den Vergleich einzubeziehen. Auch Art, Verwendungszweck und Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen können nach Rechtsprechung berücksichtigt werden, die sogenannten „Canon-Kriterien“ gemäß EuGH Urteil „Canon“( EU:C:1998:442) von 1998 (siehe auch „Lloyd vs. Lloyd’s“, EU:T:2019:889).
Diese in der Rechtsprechung verbriefte Liste von Kriterien ist allerdings nicht abschließend, betonte das Europäische Gericht (EuG) jetzt in seinem Urteil Hispano Suiza (EU:T:2021:312).
Führt die Geschäftspraxis zur Verwechslungsgefahr?
In dem vorliegenden Fall ging es um den Vergleich der Waren und Dienstleistungen, für die unter der identischen Marke „Hispano Suiza“ Schutz beansprucht worden war; die ältere Marke für „Uhren und Zeitmessinstrumente“ (Nizza-Klasse 14) und „Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“ (Nizza-Klasse 25). Die spätere, angefochtene Marke beanspruchte Markenschutz für „Automobile“ (Nizza-Klasse 12).
Die Klägerin – die Markeninhaberin der älteren Marke – hatte vor der Beschwerdekammer des EUIPO geltend gemacht, insbesondere die Geschäftspraxis führe zur Verwechslungsgefahr. Denn es bestehe eine „Geschäftspraxis“ der Automobilhersteller, die Benutzung ihrer bekannten Marke auf andere Waren auszudehnen, wie Bekleidungsstücke, Uhren und andere Accessoires.
Doch die Beschwerdekammer wies dies zurück. Die Klägerin versuche damit, die von der Rechtsprechung aufgestellten Ähnlichkeitskriterien – Art, Verwendungszweck, Nutzung, Konkurrenz- bzw. Ergänzungsverhältnis – durch ein neues Kriterium, nämlich die Geschäftspraxis, zu ersetzen. Geschäftspraxis sei aber kein relevantes Kriterium, sondern könne nur für die Feststellung einer gedanklichen Verknüpfung zwischen den Marken im Rahmen des Eintragungshindernisses nach Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 relevant sein, hatte die Beschwerdekammer entschieden.
Jedoch zu Unrecht, urteilte der EuG. Für die Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen können durchaus Kriterien relevant sein, die über die „Canon-Kriterien“ hinausgehen, entschied das Gericht.
Sogar die Beschwerdekammer hatte in ihrer Entscheidung ausgeführt, dass auch andere Faktoren als die klassischen Kriterien berücksichtigt werden können – hatte allerdings die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren im Hinblick auf diese anderen Faktoren nicht geprüft. Vor allem aber hatte die Beschwerdekammer bei der Prüfung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren zu Unrecht aus Prinzip ausgeschlossen, dass das Kriterium der Geschäftspraxis relevant sein könnte.
Relevanz des Kriteriums Geschäftspraxis
Tatsächlich, so erläuterte der EuG, werde das das Kriterium der Geschäftspraxis auch ohne dessen ausdrückliche Erwähnung bereits bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen berücksichtigt: gemeinsame Vermarktung oder Annahme der Verbraucher einer gemeinsamen Vermarktung bzw. gleicher Identität der Hersteller seien solche Fälle.
Außerdem ist ein Kriterium, unabhängig davon, ob es eines der ursprünglichen Kriterien ist oder später hinzugekommen ist, immer eines unter vielen; Kriterien sind also eigenständig und gleichgewichtet, erklärte das Gericht mit Verweis auf das EuGH Urteil Hesse von 2016 (C:2016:34). In diesem Urteil hatte der EuGH entschieden, dass auch die Komplementarität von Waren ein eigenständiges Kriterium sei, auch wenn es nur einen Faktor neben mehreren anderen darstellt.
Im Übrigen ist schon in früherer Rechtsprechung entschieden worden, dass Ähnlichkeit vorliegen kann, wenn Waren angeboten werden, die zwar für sich genommen nicht besonders ähnlich sind, die aber aufeinander abgestimmt angeboten werden – und daher die Wahrnehmung einer engen Verbindung zwischen Waren für die Verbraucher erleichtert wird und dass dasselbe Unternehmen für die Herstellung dieser Waren verantwortlich ist (siehe „Delta Sport“, EU:T:2020:65).
Schließlich betonte der EuG, dass auch aus den Prüfungsrichtlinien für Unionsmarken des EUIPO hervorgehe, dass eine Branchenübung, dass Hersteller ihre Geschäftspraxis auf benachbarte Märkte ausdehnen, für die Warenähnlichkeit von besonderer Bedeutung ist. In solchen Fällen muss laut den Prüfungsrichtlinien geprüft werden, ob eine solche Ausdehnung der Geschäftstätigkeit in der jeweiligen Branche üblich ist.
Daher, so entschied der EuG, ist das Bestehen einer bestimmten Geschäftspraxis ein relevantes Kriterium für die Prüfung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen.
Entscheidung des EUIPO aufgehoben
Die Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO (Entscheidung vom 21. Januar 2020 (Sache R 67/2019-1), dass keine Verwechslungsgefahr vorliege, wurde vom EuG aufgehoben; die Entscheidung sei mit einem Begründungsmangel behaftet, entschied das Europäische Gericht.
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Quellen:
Urteil EuG „Hispano Suiza“, EU:T:2021:312
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