Der EuGH hat zur Form eines Fahrrads unter Urheberschutz geurteilt, im Spannungsfeld zwischen Urheber- und Patentschutz. Ein Produkt, bei dem die technische Funktionalität ein bestimmender Faktor für die Form ist, kann nur dann unter Urheberschutz stehen, wenn freie kreative Entscheidungen eine Originalität begründen.
In dem Fall, den das Tribunal de l’entreprise de Liège (Belgien) dem Europäischen Gericht (EuGH) vorgelegt hat, geht es in der Sache um Fahrräder. Die Brompton Ltd. war Inhaberin eines Patents auf den Faltmechanismus des Fahrrads (faltbar in drei Positionen: entfaltet, „stand-by“ und gefaltet), das später gemeinfrei wurde und nach dem Freiwerden des Patents in gleicher Weise von GET2GET (Südkorea) produziert wurde. Außerdem hielt der Gründer der Brompton Ltd. seit 1975 ein Urheberrecht auf das Erscheinungsbild des Brompton-Fahrrads.
Die Brompton Ltd. klagte gegen GET2GET und machte geltend, dass es auf dem Markt andere in drei Positionen faltbare Fahrräder gebe, deren Erscheinungsbild sich von ihrem eigenen Fahrrad unterscheide. GET2GET habe ihr Urheberrecht an dem Brompton-Fahrrad verletzt.
Das zuständige belgischen Gericht bat den EuGH in diesem Fall um Klärung in der Überschneidung zwischen Urheber- und Patentschutz. Kann die Form eines Fahrrads, bei dem die technische Funktionalität der bestimmende Faktor für die Form des Produkts ist, überhaupt unter Urheberschutz stehen?
Urheber- und Patentschutz: Maximale Schutzdauer sehr verschieden
In der Praxis ist diese Vorlagefrage an den EuGH wichtig, denn die maximale Schutzdauer für ein Patent beträgt 20 Jahre, für ein Urheberrecht umfasst sie das Leben des Urhebers und siebzig Jahre nach seinem Tod. Hinzu kommt, dass eine Patenterteilung immer auch die Veröffentlichung des Patents nach sich zieht, denn das Ziel ist stets die Weiterentwicklung und Verbesserung des Standes der Technik. Wäre also ein Produkt, das durch ein Patent geschützt ist, auch unter Urheberrecht geschützt, ergäbe sich ein sehr lange Schutzdauer, die den EU Verordnungen entgegenliefe.
Urheberrecht und Patentrecht in den EU Verordnungen
Die Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29/EG sehen ein Urheberrecht in allen EU Mitgliedsstaaten vor. Dabei steht es den Mitgliedstaaten frei, den Umfang des urheberrechtlichen Schutzes und die Voraussetzungen festzulegen, unter denen dieser Schutz gewährt wird. Gleichzeitig wird in Art. 9 dieser Richtlinie versichert, dass Rechtsvorschriften für Patente, Marken oder Muster nicht von dieser Richtlinie berührt würden.
Und in Ermangelung einer vollständigen Angleichung des Urheberrechts in der EU ist es wichtig, den Grundsatz des kumulativen Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster und nach dem Urheberrecht festzulegen – dies wird wiederum explizit in der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 genannt. Und Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 sieht für ein geschütztes Design vor, dass dies nicht als ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden kann, wenn dessen Erscheinungsmerkmale ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind.
Entscheidung durch das nationale Gericht
Der EuGH schließt zwar ein Erzeugnis nicht grundsätzlich vom Urheberschutz aus, wenn dessen Form zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist. Bedingung für Urheberschutz seien aber unbedingt die geistige Schöpfung und freie kreative Entscheidungen, die eine Originalität des ‚Werks‘ (im Sinne der Richtlinie 2001/29) zum Ausdruck bringen. Ob dies bei einem Fahrrad vorliegt, sei durch die nationalen Gerichte der EU Mitgliedstaaten zu prüfen, urteilte der EuGH.
Im vorliegenden Fall sei die Form, die dieses Fahrrad aufweist, zwar offensichtlich zur Erreichung eines genauen technischen Ergebnisses erforderlich, nämlich der Eignung dieses Fahrrads, drei Positionen einzunehmen, von denen eine es ermöglicht, das Fahrrad auf dem Boden im Gleichgewicht zu halten. Und das Kriterium der Originalität könne nicht von den Komponenten eines Gegenstands erfüllt werden, die nur von ihrer technischen Funktion gekennzeichnet sind, präzisierte das Gericht.
Ob jedoch die technische Funktionalität der alleinige bestimmende Faktor für die Form des Fahrrads ist oder ob der Ausübung künstlerischer Freiheit Raum gelassen wurde trotz der technischen Zwänge, müsse das nationale Gericht entscheiden.
Alternative technische Wege nicht relevant
Das Bestehen alternativer technischer Wege, wie sie Brompton Ltd. für faltbare Fahrräder geltend machte, sei dabei aber nicht relevant, entschied der EuGH und folgte damit vergleichbaren Entscheidungen im Fall Doceram (Technische Funktion im Design) sowie im Fall Cofemel (Fashion unter Urheberschutz).
Das Vorhandensein eines früheren und inzwischen ausgelaufenen Patents wäre im Übrigen in der Entscheidung nur dann zu berücksichtigen, ergänzte der EuGH, wenn das Patent einen engen Zusammenhang zwischen der gewählten und patentierten Form und dem urheberechtlich geschützten Erzeugnis zeigt.
Suchen auch Sie Schutz für Ihr Produkt?
Unsere Anwälte beraten Sie gerne. Nehmen Sie bei Interesse gerne Kontakt zu uns auf – wir freuen uns auf Ihren Anruf!
Quellen:
Urteil des EuGH, EU:C:2020:461
Bild:
Schreiben Sie einen Kommentar