Kann die Form eines Fahrrads, bei dem die technische Funktionalität der bestimmende Faktor für die Form des Produkts ist, unter Urheberschutz stehen? Der Generalanwalt lehnt Urheberschutz ab, wenn die Form ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingt ist. Auch vorherige Patente auf das Produkt sind bei der Prüfung zu berücksichtigen.
Ein Fahrrad, das durch seine Funktionen in seiner Form bestimmt ist, unter Urheberschutz?
Kann ein Fahrrad, das durch seine Funktionen in seiner Form bestimmt ist, mit dem Urheberrecht geschützt werden? Das Tribunal de l’entreprise de Liège (Belgien) übergab diesen Fall dem EuGH als folgende Vorlagefragen:
Sind das Unionsrecht und insbesondere die Richtlinie 2001/29/EG dahin auszulegen, dass Werke, deren Form zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist, vom urheberrechtlichen Schutz ausgenommen sind? Und sind für die Beurteilung, ob die technische Funktionalität der bestimmende Faktor für ein Produkt ist, vorherige Patente oder Geschmacksmuster auf das Produkt oder das Verfahren zu dem Produkt zu berücksichtigen?
Urheberrecht und Patentrecht – In der Praxis schwierig
Diese Frage ist von großem Interesse. Denn die Frage greift unterschiedliche EU Richtlinien auf, die nicht deutlich in eine Entscheidungsrichtung deuten. Denn nach den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29/EG sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, für die Urheber das ausschließliche Recht vorzusehen, die Vervielfältigung ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten (Art. 2 Buchst. a), die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten (Art. 3 Abs. 1) und ihre Verbreitung zu erlauben oder zu verbieten (Art. 4 Abs. 1). Ausdrücklich wird in Art.9 dieser Richtlinie versichert, dass Rechtsvorschriften für Patente, Marken oder Muster nicht von dieser Richtlinie berührt würden.
Doch die Verordnung (EG) Nr. 6/2002 nennt explizit, dass in Ermangelung einer vollständigen Angleichung des Urheberrechts es wichtig sei, den Grundsatz des kumulativen Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster und nach dem Urheberrecht festzulegen. Dabei stehe es den Mitgliedstaaten frei, den Umfang des urheberrechtlichen Schutzes und die Voraussetzungen festzulegen, unter denen dieser Schutz gewährt wird. Technologische Innovationen dürften jedoch nicht dadurch behindert werden, dass ausschließlich technisch bedingten Merkmalen Geschmacksmusterschutz gewährt wird.
Rechte für technische Lösungen sollen zeitlich begrenzt sein
Daraus ergibt sich für die Praxis folgender Problematik: eine Patenterteilung zieht immer auch die Veröffentlichung des Patents nach sich, denn das Ziel ist stets die Weiterentwicklung und Verbesserung des Standes der Technik. Die maximale Schutzdauer für ein Patent beträgt 20 Jahre. Urheberrecht wiederum verleiht eine wesentlich längere Schutzdauer, sie umfasst das Leben des Urhebers und siebzig Jahre nach seinem Tod, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem das Werk erlaubterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Wäre also ein Produkt, das durch ein Patent geschützt ist, auch unter Urheberrecht geschützt, ergäbe sich ein sehr lange Schutzdauer, die der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 entgegenliefe.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung. Bereits 2010 hat die Große Kammer (Lego Juris/HABM vom 14.09.2010) entschieden, dass ein Zeichen nicht als Marke eingetragen werden kann, die aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Dieses Verbot stelle sicher, hatte der Gerichtshof erläuterte, dass Unternehmen nicht das Markenrecht in Anspruch nehmen können, um ausschließliche Rechte für technische Lösungen ohne zeitliche Begrenzung auf Dauer festzuschreiben.
Hintergrund des Falls: Faltbare Fahrräder
In dem Fall, den das belgische Gericht im EuGH vorgelegt hat, geht es in der Sache um Fahrräder. Die Brompton Ltd. war Inhaberin eines Patents auf auf den Faltmechanismus des Fahrrads (faltbar in drei Positionen: entfaltet, „stand-by“ und gefaltet), das später gemeinfrei wurde. Außerdem macht der Gründer und Inhaber der Brompton Ltd. ein Urheberrecht am Erscheinungsbild des Brompton-Fahrrads geltend, das er 1975 als Modell geschaffen habe. GET2GET wiederum ist eine südkoreanische Gesellschaft, die auf die Herstellung von Sportausrüstung spezialisiert ist. Sie produziert und vermarktet ebenfalls ein Faltrad, das Modell Chedech, das ebenfalls drei Positionen aufweist, die dem Brompton-Fahrrad ähnlich sind.
GET2GET argumentiert, das Erscheinungsbild ihres Fahrrads sei durch die angestrebte technische Lösung bedingt und sie habe absichtlich die Falttechnik übernommen, die früher durch das inzwischen abgelaufene Patent der Brompton Ltd. geschützt gewesen sei, da diese Methode die funktionalste sei. Die Brompton Ltd. machte geltend, dass es auf dem Markt andere in drei Positionen faltbare Fahrräder gebe, deren Erscheinungsbild sich von ihrem eigenen Fahrrad unterscheide, GET2GET habe ihr Urheberrecht an dem Brompton-Fahrrad verletzt.
Generalanwalt schließt funktionale Form vom Urheberrecht aus
Muster, deren Ausgestaltung durch technische Gründe bedingt ist, die keinen Raum für die Ausübung der künstlerischen Freiheit lassen, können nicht urheberrechtlich geschützt werden, führte der Generalanwalt aus. Umgekehrt schließe die bloße Tatsache, dass ein Muster einige funktionale Elemente aufweist, aber nicht aus, dass es diesen Urheberrechtsschutz in Anspruch nehmen kann.
Der Generalanwalt hat folglich in seinem Schlussantrag empfohlen, ein Produkt, soweit es durch seine Funktionen in seiner Form bestimmt ist, vom Urheberrecht auszuschließen. Das sei eindeutig, wenn die technischen Gründe praktisch keinen Spielraum für Kreativität in der Formgestaltung lassen. Dies könne im Fall eines Fahrrads allerdings schwierig zu bestimmen sein, räumte der Generalanwalt ein. Denn Mischformen mit funktionellen und künstlerischen Merkmalen seien nicht von vornherein vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen. Es sei eine schwierige Entscheidung, welche Gestaltungselemente bei einem Fahrrad urheberrechtlich geschützt werden können, das für seine Funktionsfähigkeit, unabhängig von der jeweiligen Form, das Vorhandensein von Rädern, Kette, Rahmen und Lenker erfordere.
Das vorlegende Gericht aus Belgien hatte tendenziell den Standpunkt vertreten, dass das Erscheinungsbild des streitigen Fahrrads erforderlich war, um das technische Ergebnis zu erreichen. Dies sei eine Tatsachenfrage, erläuterte der Generalanwalt, die allein vom vorlegenden Gericht zu klären sei. Ein Ausschluss vom Urheberrecht solle jedenfalls nur dann erfolgen, wenn die funktionellen Elemente gegenüber den künstlerischen Elementen so weit Vorrang haben, dass letztere unerheblich sind, präzisierte der GA in seinem Schlussantrag.
Patent oder Geschmacksmuster relevant zur Beurteilung
Auf jeden Fall aber sollte ein vorheriges Patent oder Geschmacksmuster herangezogen werden für die Beurteilung technischer Vorgaben für die Form eines Produkts. Denn das Patent lässt vermuten, dass ein enger Zusammenhang zwischen der patentierten Form und dem angestrebten Ergebnis existiert, erläuterte der Generalanwalt: Der Erfinder ist davon ausgegangen, dass die patentierte Form zur Erreichung der gewünschten Funktionalität geeignet ist. Außerdem seien Patentbeschreibungen so ausführlich, dass anhand dessen die Funktionalität gut zu klären sei.
Vergleichbarer Fall Doceram: Funktionale Form schließt Schutz als Geschmacksmuster aus
Es bleibt nun abzuwarten, ob sich der EuGH der Empfehlung des Generalanwalts anschließt. Im vergleichbaren und viel beachteten Fall Doceram hatte der EuGH entschieden, dass für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, zu ermitteln ist, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist. Das Bestehen alternativer Geschmacksmuster sei dafür nicht ausschlaggebend.
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Quellen:
Schlussantrag des Generalanwalts „Brompton Fahrrad“, EU:C:2020:79
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