Der Verfassungsklage gegen das Zustimmungsgesetz für die Ratifizierung des Europäischen Einheitlichen Patentgerichts wurde stattgegeben, wurde heute bekannt. Ein Paukenschlag gegen das Einheitsgericht: Ohne die Ratifizierung aus DE kann das Einheitliche Patentgericht nicht beginnen.
Einheitliches Patentgericht stoppt an der Verfassungsklage
Es gibt seit vielen Jahren das Bemühen der europäischen Politik, innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ein gemeinsames europäisches Einheitspatent und ein Einheitliches Patentgericht zu schaffen. Das Bundesparlament hatte das UPC vor mehr als 2 Jahren ratifiziert, allerdings wurde die Ratifizierung ausgesetzt bis nach der Entscheidung über die Verfassungsklage. Ohne die Ratifizierung aus Deutschland kann das UPC jedoch nicht beginnen.
Heute nun (am 20. März 2020) machte das Bundesverfassungsgericht bekannt, dass die Verfassungsklage gegen das Zustimmungsgesetz für die Ratifizierung des UPC (Unified Patent Court, dt: Europäisches Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)) in Deutschland entschieden wurde. Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsklage statt, da die für die Ratifizierung des UPC notwendige Verfassungsänderung vom Deutschen Bundestag nicht mit der hierfür erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen worden war.
Klage stattgegeben: keine zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament
Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass Bürgerinnen und Bürger zur Sicherung ihrer demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen erfolgt. Und diese Form erfordere eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Ratifizierung des UPC. Tatsächlich aber nahm der Bundestag den Gesetzentwurf zu dem angegriffenen Vertragsgesetz in dritter Lesung zwar einstimmig an, aber dies war keine zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Denn anwesend waren nur etwa 35 Abgeordnete.
Das Einheitliche Patentgericht habe Verfassungsrelevanz, führte das Bundesverfassungsgericht aus, das angefochtene Zustimmungsgesetz (EPGÜ-ZustG) unterliege den Anforderungen von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG, weil es der Sache nach eine materielle Verfassungsänderung bewirkt. Die Schaffung einer neuen Zuständigkeit des EuGH für den gewerblichen Rechtsschutz haben die Mitgliedstaaten damit als gravierenden Eingriff in die nationale Rechtsprechungszuständigkeit gewertet und als ratifikationsbedürftigen Vorgang ausgestaltet, erläuterte das Bundesverfassungsgericht. In der Sache stelle das EPGÜ eine Änderung oder Ersetzung von Art. 262 AEUV dar, dies aber ist vom deutschen Gesetzgeber als besonderes Vertragsänderungsverfahren eingestuft.
Abweichende Meinungen von drei der Richterinnen und Richter
Im Übrigen haben drei der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts abweichende Meinungen geäußert. Ihre Sorge gilt der Auswirkung der heute bekannt gewordenen Entscheidung für künftige demokratische Entscheidungen. Denn wenn die Notwendigkeit einer verfassungsändernden Mehrheit wird damit faktisch zur Regel wird für alle völkervertraglich begründeten Einrichtungen, wird es letztlich unmöglich, mit knappen Mehrheiten zu entscheiden. Dies aber liege weder in der Absicht des Verfassungsgebers, noch sei es für die Ermöglichung des demokratischen Prozesses erforderlich oder auch nur förderlich, formulierten drei der Richterinnen und Richter.
Einheitliches Patentgericht
Das einheitliche Patentgericht ist konzipiert worden und vertraglich aufgesetzt ausschließlich für die Mitgliedstaaten der EU. Die meisten europäischen Länder haben bereits die Ratifizierung des UPC durchgeführt für das Europäische Einheitliche Patentgericht (EPGÜ, engl. UPC). Nach längerem Hin- und Her wurde dies auch in UK ratifiziert, wir berichteten.
Die Ratifizierung des UPC bedeutet die Zustimmung des Parlaments, die nationale Deutungshoheit zur Rechtsprechung über das Patentrecht an die EU abzugeben, denn damit geht die gesamte Zuständigkeit für patentfähiges Geistiges Eigentum an das UPC über. Dies gilt für Klagen (also Verletzungsklagen, Klagen und Widerklagen auf Nichtigerklärung, einstweilige Verfügungen) gegen ein Einheitspatent und auch gegen Entscheidungen des EPA.
Wegen dieser Tragweite wurde 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen das Zustimmungsgesetz für die Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) Verfassungsbeschwerde erhoben. In der Folge und auf Ersuchen des BVerfG willigte das Bundespräsidialamt in die Aussetzung der eigentlich schon parlamentarisch erfolgten Ratifizierung ein.
Mit dem heute bekannt gewordenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das Einheitliche Europäische Patentgericht in weite Ferne gerückt. Denn ein einheitliches Patentgericht ist natürlich nur sinnvoll, wenn auch die Zielländer von vielen Patentanmeldungen daran beteiligt sind.
„True Top 4“- Deutschland muss zwingend ratifizieren
Daher waren schon früh die sogenannten „True Top 4“ besonders genannt in der Planung für ein einheitliches Patentgericht. Gemeint sind damit die vier EU Mitgliedstaaten, in denen derzeit am häufigsten Patente validiert werden: Deutschland, Frankreich, UK und Niederlande.
Entsprechend wurde als Voraussetzung für das In-Kraft-Treten des Einheitliches Patentgerichts vereinbart, dass eine Ratifikation des EPGÜ durch mindestens 13 EU Mitgliedsstaaten erforderlich ist, darunter zwingend Deutschland, Frankreich und das UK.
Bundesverfassungsgericht: weitreichende Übertragung von Kompetenzen
Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner heutigen Pressemitteilung die weitreichende Übertragung von Kompetenzen, die nach Übertragung an eine EU Institution wie das Einheitliche Patentgericht in aller Regel „verloren“ seien und aus eigener Kraft nicht ohne Weiteres „zurückgeholt“ werden können. Ohne wirksame Übertragung von Hoheitsrechten aber fehle jeder später erlassenen Maßnahme der Europäischen Union oder einer supranationalen Organisation die demokratische Legitimation, urteilte das Bundesverfassungsgericht und gab der Verfassungsklage gegen das Zustimmungsgesetz für die Ratifizierung des Einheitlichen Patentgerichts statt. Das Zustimmungsgesetz für die Ratifizierung des UPC ist verfassungswidrig.
UPC geplant mit viel politischem Willen
Das Einheitliche Patentgericht wurde seit Jahren und mit viel politischem Willen vorbereitet. Sogar das UK hatte nach einigem Zögern im April 2018 das Überkommen ratifiziert. Und erst vor wenigen Wochen kündigte der Vorbereitungsausschuss für das Einheitliche Europäische Patentgericht einen möglichen Start des Einheitlichen Gerichts bereits zu Anfang 2021 an.
Die Teilhabe des UK am UPC ist jedoch vor wenigen Wochen abgesagt worden von Premierminister Boris Johnson. Zwar hat das UK das UPC-Abkommen ratifiziert, und es war auch EU Mitgliedstaat bei der Ratifizierung. Als solcher ist das UK eigentlich Vertragsstaat. Es gab jedoch keinen politischen Willen mehr zur Teilhabe des UK am UPC.
Entsprechend hohe Erwartungen wurden an das Bundesverfassungsgericht und seine heute bekannt gemachte Entscheidung gerichtet, denn sowohl Teile der Industrie als auch die Bundesregierung wünscht die EPGÜ Ratifizierung aus Deutschland. Doch stattdessen ist das Einheitliche Patentgericht mit dem gut nachvollziehbaren Urteil des Bundesverfassungsgerichts in weite Ferne gerückt.
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Quellen:
Eberhard Kübel meint
„sowohl die Industrie als auch die Bundesregierung wünscht die EPGÜ Ratifizierung aus Deutschland“. Wer ist die hier genannte „die Industrie“? Ich habe in vielen Gesprächen zum Thema Einheitspatent auch bei Industrievertretern sehr viel Zurückhaltung zum Einheitspatent festgestellt. Von einigen (auch nicht allen!) Vertretern der Großindustrie wurde das Einheitspatent gefordert. Der Mittelstand und die freien Erfinder hätten vom Einheitspatentsystem auf Grund der damit verbundenen Kosten und Klageregelungen mehr Nachteile als Vorteile!
Katja Wulff meint
Sehr geehrter Herr Kübel,
vielen Dank für Ihre Ergänzung. Auch wir haben es bei Industrievertretern sowohl Zustimmung als auch Zurückhaltung für das Einheitspatent wahrnehmen können.
Doch wie gesagt: mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das Einheitspatent ohnehin in weite Ferne gerückt.
Mit vielen freundlichen Grüßen
Das Team der MD Meyer-Dulheuer Patentanwaltskanzlei