Friedliche Koexistenz von Marken wird immer gerne behauptet, wenn es zu einem Verletzungsverfahren gegen ältere Markenrechte in der EU geht. Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt: Widerspruch gegen die jüngere Marke und lange Dauer der Koexistenz sind wichtige Kriterien für friedliche Koexistenz.
Friedliche Koexistenz von Marken in der EU sind eng verbunden mit Verwechslungsgefahr zwischen den Marken. Oftmals wird erst bei einem Nichtigkeitsverfahren oder einem Widerspruch gegen eine Marke argumentiert, es bestehe doch friedliche Koexistenz der Marken. Doch schließt friedliche Koexistenz überhaupt Verwechslungsgefahr per se aus?
Der Blick in die Rechtsprechung zeigt, dass eine klare rechtliche Linie für eine friedliche Koexistenz vorliegt.
Wann liegt überhaupt eine friedliche Koexistenz von zwei Marken vor?
Eine friedliche Koexistenz wird gerne in Verfahren um Markenrechtsverletzung behauptet, doch wann liegt überhaupt eine friedliche Koexistenz von zwei Marken vor?
Dazu hat sich der EuGH in jüngerer Zeit grundsätzlich geäußert. Im Fall Kerrygold sah der EuGH die friedliche Koexistenz der Streitmarken im UK und in Irland als erwiesen an, da sich die irische Klägerin und Markeninhaberin der Unionsmarke Kerrygold der Benutzung der nationalen Marke Kerrymaid (nationale spanische Marke) in diesen Mitgliedstaaten nicht widersetzte.
Andererseits jedoch bedeutet auch ein langer Zeitraum von nebeneinander bestehenden Marken nicht automatisch die friedliche Koexistenz von Marken, urteilte der EuG (Erstinstanzliches Europäischen Gericht) im Fall Tropical. Schon gar nicht lasse ein langer Zeitraum den Schluss zu, dass keine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken bestehe, ergänzte der EuG. Im Fall Tropical hatten die Streitmarken sogar 16 Jahre lang nebeneinander bestanden.
An dieser Stelle hält man erstaunt inne; denn in der Rechtsprechung ist fest verankert, dass einerseits eine Koexistenz von Marken zu einer Verringerung der Verwechslungsgefahr zwischen diesen Marken führen kann (Urteil des EuGH 2009, Aceites del Sur-Coosur/Koipe, C-498/07 P, Randnr. 82, und auch 2011, Budějovický Budvar, C-482/09, Slg., EU:C:2011:605, Randnrn. 75 bis 82). Andererseits gilt nach ständigen Rechtsprechung, dass die Dauer der Koexistenz einen wesentlichen Faktor darstellt (2015, La Rioja Alta/HABM – Aldi Einkauf [VIÑA ALBERDI], T-489/13, EU:T:2015:446).
Wie passt das zu den 16 Jahren Koexistenz, die im Fall Tropical nicht als Hauptargument für Verwechslungsgefahr berücksichtigt wurden?
Der EuG gab selbst in Antwort in seiner Entscheidung Tropical. Entscheidend für die friedliche Koexistenz sei demnach, dass die Koexistenz der beiden Marken so lange besteht, dass letztlich die Wahrnehmung der Verbraucher beeinflusst werden kann. Die Nachweispflicht, dass keine Verwechslungsgefahr vorliegt, liege beim Anmelder der jüngeren Marke, entschied das Gericht.
Natürlich erfordert jedes Argument für eine angebliche friedliche Koexistenz ohnehin den vorherigen Nachweis der Identität der älteren Marke mit der Streitmarke. Und ebenso muss die tatsächliche Benutzung der älteren Marke vorliegen in dem relevanten Gebiet.
Friedliche Koexistenz und Nichtigkeitsverfahren
Nicht selten wird zwar friedliche Koexistenz von Marken angenommen oder zumindest behauptet, aber auch gleichzeitig ein Nichtigkeitsverfahren gegen die Streitmarke geführt. Dazu gibt es eine klare Rechtsprechung: das Bestehen eines Rechtsstreits zwischen den Inhabern der älteren Marken schließt die Feststellung einer Koexistenz aus (ARTHUR AND FELICIE, oben in Randnr. 15 angeführt, EU: T:2005:420).
Auch ohne ein tatsächliches Verfahren kann der Nachweis, dass es zwischen den Streitmarken verschiedene Konflikte gab, als Argument dafür herangezogen werden, dass die Koexistenz der Marken nicht friedlicher Art war, urteilte der EuG im Fall Castellblanch (EU:T:2005:438).
Gilt daher der Umkehrschluss, dass keine Verwechslungsgefahr geltend gemacht werden kann, wenn vom älteren Markeninhaber nicht Widerspruch gegen die Eintragung der jüngeren Marke eingelegt wurde oder ein Nichtigkeitsverfahren gegen diese Marke eröffnet wird? Nein, urteilte der EuG im Fall Tropical (RandNr 84), daraus alleine lasse sich nicht das Fehlen von Verwechslungsgefahr ableiten.
Koexistenz in einem Teil der EU – keine Verwechslungsgefahr in ganzer EU?
Kann man aus der friedlichen Koexistenz in einem EU Mitgliedsland schließen, dass es auch in den anderen EU Länder keine Verwechslungsgefahr gibt?
Auch zu dieser Frage gibt eine klare Rechtsprechung. Der EuGH verneinte dies deutlich in seiner Entscheidung Kerrygold von 2018 – wir berichteten. Das Gericht betonte, dass die Wirkung einer Unionsmarke in der gesamten EU gelte. Möchte sich der Unionsmarkeninhaber auf dieses Recht berufen, sei es ausdrücklich keineswegs erforderlich, dass die Verwechslungsgefahr in der gesamten Union erfolgt. Eine Verwechslungsgefahr kann für ein EU Land oder mehrere Unionsmitgliedsstaaten vorliegen, aber stets gilt das nicht für die gesamte EU, sondern muss für die einzelnen Nationen bestimmt werden.
Gleiches gilt für friedliche Koexistenz: auch wenn zwei Marken in einem Teil der Union als friedliche Koexistenz zu sehen sind, kann dennoch Verwechslungsgefahr zwischen diesen Marken bestehen in einem anderen Teil der Union.
Der EuGH verwies in diesem Urteil explizit auf die Möglichkeit für Markeninhaber einer Unionsmarke hin, in der gesamten EU Dritten zu verbieten, dass ein ähnliches oder gleiches Zeichen verwendet wird – vorausgesetzt, dass ihre Unionsmarke „in einem wesentlichen Teil der Union“ bekannt ist. Dieser „wesentliche Teil der Union“ könne gegebenenfalls sogar dem Gebiet nur eines einzigen Mitgliedstaats entsprechen, erläuterte das Gericht.
Lesen Sie in diesem Kontext gerne auch unseren Beitrag Erworbene Unterscheidungskraft: Wieviel Europa ist nötig für Nachweis?
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Quellen:
Text: Rechtsurteile im Text genannt
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