Nach allgemeiner Rechtsprechung für Unionsmarken ist bei einer Verwechslungsgefahr auch stets die Produktähnlichkeit zu beurteilen, vor allem in der Aufmerksamkeit der Verbraucher. Doch wie sieht die Rechtspraxis aus für bekannte bzw. Luxus Marken oder auch Medikamente? Ein Blick in die Rechtspraxis:
Produktähnlichkeit und Zeichenähnlichkeit: Wechselbeziehung
Bereits seit fast 20 Jahren ist in der Rechtsprechung für Unionsmarken verankert, dass insbesondere stets die Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Produktähnlichkeit zu beurteilen ist bei der Prüfung einer möglichen Verwechslungsgefahr (EuG Urteil von 2003, Giorgio Beverly Hills, T-162/01, EU: T:2003:199).
Zeichenähnlichkeit und Produktähnlichkeit verhalten sich kumulativ, müssen also beide gegeben sein für die Feststellung von Verwechslungsgefahr (Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009), und können sich auch gegenseitig ausgleichen. Gerne wird dazu verwiesen auf das EuG Urteil von 2009 (Commercy/HABM – easyGroup IP Licensing [easyHotel], EU:T:2009:14).
Dennoch nimmt in den Urteilen zur Verwechslungsgefahr von Unionsmarken oft die Zeichenähnlichkeit einen Großteil der Urteilsbegründung ein. Doch ebenso wichtig ist die Produktähnlichkeit. Wir fassen hier wesentliche Punkte aus der Rechtsprechung dazu zusammen.
Häufigster Fall: Verbraucher sind die „allgemeine Öffentlichkeit“
Die Verbraucher werden oft als „allgemeine Öffentlichkeit“ identifiziert. Es liegt auf der Hand, dass sich der Verkauf von Produkten und Markenprodukten in fast allen Fällen an die allgemeine Öffentlichkeit richtet. In dem Fall ist laut Rechtsprechung auf die Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers in den maßgeblichen Verkehrskreisen abzustellen, de facto bedeutet das einen durchschnittlichen Grad an Aufmerksamkeit.
Doch gilt das auch für Verbraucher, die gezielt sehr teure Markenprodukte kaufen, also sogenannte Prestige Marken?
Käufer von Luxus Produkten = höhere Aufmerksamkeit?
Gerade von namhaften Markenherstellern wird in Verfahren um Verwechslungsgefahr gerne argumentiert, der Käufer von „Luxus“ Markenartikeln sei keineswegs als Durchschnittsverbraucher zu sehen und der Aufmerksamkeitsgrad dieser Verbraucher sei überdurchschnittlich hoch.
Ob dieses Argument vor Gericht Bestand hat, hängt davon ab, ob das sehr exklusive Marktsegment wirklich nur maßgeblichen besonderen Verkehrskreisen bekannt ist – und wie das nachgewiesen wird. Denn wenn sich die maßgeblichen Verkehrskreise aus Verbrauchern aus der breiten Öffentlichkeit zusammensetzen und anderem Publikum (wie z. B. Fachleute) ist nach EuG Rechtsprechung der Teil des Publikums zu berücksichtigen, der den geringsten Aufmerksamkeitsgrad aufweist ([ERGO Group], T-221/09, von 2011).
Im Fall von Champagner jedenfalls urteilte der EuG in 2018, zwar treffe es zu, dass eine Ware, insbesondere weil sie teuer ist, von einem kleinen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise gekauft werden kann. Doch auch wenn Marken innerhalb eines sehr exklusiven Marktsegments bekannt seien, bedeute dies dennoch nicht, dass sie nicht auch bei der breiten Öffentlichkeit bekannt sein könnten. Es wäre jedoch widersprüchlich, zu behaupten, dass eine Marke, die in einem sehr exklusiven Segment des Champagnermarktes bekannt ist, einem bedeutenden Teil der betroffenen Verkehrskreise als Champagner bekannt ist, ergänzte damals der EuG.
Als allgemein anerkannt gilt im Übrigen zudem, dass die Aufmerksamkeit des Verbrauchers für den Kauf alltäglicher Konsumgüter durchschnittlich oder normal ist – auch für ein Konsumgut wie Versace (EuG Urteil Versace von 2017, EU: T: 2017: 692).
Sehr bekannte Marken: Die Verbraucher Lieblinge
Einen weiteren Sonderfall stellen die sogenannten sehr bekannten Marken dar, oftmals sind das sehr nachgefragte Lieblingsmarken für Verbraucher.
Der EuGH urteilte dazu bereits 1999 (in General Motors, C-375/97, EU:C:1999:408), dass in allen Unionsländern eine Bekanntheitsschwelle erforderlich ist, um sich auf den Status „bekannte Marke“ berufen zu können. Dieser Status ist begehrt, da aufgrund ihrer Bekanntheit eine „bekannte Marke“ grundsätzlich eine erhöhte Kennzeichnungskraft besitzt, der ihr einen umfassenderen Schutz zugesteht.
Nur wenn eine Marke einen genügenden Bekanntheitsgrad hat, kann das Publikum, wenn es mit der jüngeren Marke konfrontiert wird, gegebenenfalls auch bei nichtähnlichen Waren oder Dienstleistungen, eine Verbindung zwischen den beiden Marken herstellen, so dass die ältere Marke beeinträchtigt werden kann. Denn Artikel 8 Absatz 5 der Verordnung Nr. 207/2009 ist – anders als der Art. 8(1)(b) –dann anwendbar, wenn die maßgeblichen Verkehrskreise eine gedankliche Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken herstellen, ohne diese zwangsläufig zu verwechseln.
Calvin Klein machte daher 2010 vor dem EuGH geltend, die Bekanntheit einer älteren Marke müsse im Rahmen der Bewertung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken gewürdigt werden und nicht erst, nachdem die Ähnlichkeit festgestellt worden sei.
Dem widersprach jedoch der EuGH (CK Calvin Klein EU:C:2010:488). Denn die Zeichenähnlichkeit von Marken ist eine notwendige Voraussetzung für die Anwendung von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 40/94.
Anders gesagt: wenn keine Zeichenähnlichkeit in einem Fall von Verwechslungsgefahr vorliegt, kann man sich nicht auf den Status einer bekannten Marke berufen. Zumindest eine geringe Zeichenähnlichkeit muss dafür also vorliegen.
Pharmazeutische Produkte / Medikamente / rezeptfreie Präparate
Allen pharmazeutischen Produkten und Medikamenten wird ein hoher Grad an Aufmerksamkeit zugestanden nach der allgemeinen Rechtsprechung. Dies gelte sogar dann, wenn pharmazeutische Präparate für die Verbraucher rezeptfrei erhältlich sind, urteilte der EuG 2018 in Tillotts Pharma AG gegen Ferring BV, EU:T:2018:354. Auch in Bezug auf veterinärmedizinische Präparate wiesen die Verbraucher einen relativ hohen Aufmerksamkeitsgrad auf, soweit sie den Gesundheitszustand von Tieren betreffen, entschied der EuG.
Und in Bezug auf Sanitärpräparate der Klasse 5 sei der Grad der Aufmerksamkeit zwar nicht hoch, aber überdurchschnittlich hoch, da diese Präparate sowohl Waren des täglichen Bedarfs als auch Waren für den medizinischen Gebrauch umfassten.
Zum Schluss: Wieviel Europa ist nötig für Verwechslungsgefahr?
Eigentlich gilt für die Prüfung einer Unionsmarke, die sich ja auf das gesamte Gebiet der Europäischen Union erstreckt, wie sie von den Verbrauchern in diesem Gebiet wahrgenommen werden. Also von allen Europäern?
Nein, das ist im Grunde nur eine Ausnahme. Denn ganz Europa muss nur berücksichtigt werden bei dem Nachweis von erworbener Unterscheidungskraft einer Unionsmarke (lesen Sie dazu gerne unseren Beitrag: Erworbene Unterscheidungskraft: Wieviel Europa ist nötig?).
Für den Nachweis der ernsthaften Benutzung einer Marke und auch für die Geltendmachung von Verwechslungsgefahr genügt es dagegen, dies nur in einem Teil der Europäischen Union nachzuweisen, sogar in einem ganz kleinen Teil der EU. Übrigens kann sich die Beschwerdekammer aus Gründen der Verfahrensökonomie daher auch mit der Prüfung der Verwechslungsgefahr auf nur ein EU Hoheitsgebiet beschränken.
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Quellen:
Urteile im Text genannt
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