Die Große Beschwerdekammer des EPA hat eine wichtige neue Stellungnahme zu der Patentierbarkeit als Biopatent veröffentlicht: sie hebt ihre Grundsatzentscheidungen G 2/12 und G 2/13 auf und löst den Konflikt zwischen Regel 28 und Art. 53 EPÜ.
Pflanzen und Tiere, die ausschließlich durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen wurden, sind in der EU nicht patentierbar – aber nicht rückwirkend für Ansprüche, die vor dem 1. Juli 2017 erteilt wurden. Bemerkenswert daran ist, dass dies auch nach nach Art. 53(b) EPÜ gilt, der von jetzt an „dynamisch“ ausgelegt wird. Dies ist die wesentliche Botschaft in der neuen Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer des EPA zur Patentierbarkeit von Pflanzen und Tiere als Biopatent.
Hintergrund dazu ist die novellierte EU Patentrichtlinie auf Leben im Jahr 2017. Darin wurde Regel 28 geändert bzw. Regel 28(2) neu hinzugefügt (in Kraft seit 1. Juli 2017), mit der Folge, dass „europäische Patente nicht für Pflanzen oder Tiere erteilt werden, die ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen werden“.
Doch Artikel 53(b) EPÜ gewährt Europäischen Patentschutz zwar keinen Patentschutz für Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren. Mikrobiologische Verfahren und die mithilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse sind jedoch nach Art. 53(b) EPÜ patentierbar. Das EPA hat inzwischen schon mehr als 1.000 Biopatente erteilt.
Konflikt zwischen Regel 28 und Art. 53 EPÜ aufhoben
Der Konflikt zwischen Regel 28 und Art. 53 EPÜ war bisher ein rechtliches Durcheinander, aufgrund dessen 2019 der Präsident des Europäischen Patentamts António Campinos eine Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer zur Klärung und Auslegung im Hinblick auf die neue Regel 28(2) EPÜ stellte. Die Große Beschwerdekammer ist die höchste gerichtliche Instanz im Europäischen Patentamt (EPA).
Diese Rechtsfrage wird durch die jetzt veröffentlichte neue Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer bemerkenswert beantwortet. Die Große Beschwerdekammer hebt ihre Grundsatzentscheidungen G 2/12 und G 2/13 zur Auslegung des Artikels 53(b) EPÜ auf und beschließt eine zukünftig dynamische Auslegung des Artikels 53 EPÜ. Der Widerspruch zwischen Regel 28 und Art. 53 EPÜ ist damit aufgehoben.
Um Rechtssicherheit zu gewährleisten wird diese neue Auslegung von Artikel 53 b) EPÜ keine rückwirkende Wirkung auf europäische Patente haben mit Ansprüchen, die vor dem 1. Juli 2017 erteilt wurden, oder auf anhängige europäische Patentanmeldungen, die vor diesem Datum eingereicht wurden.
Sachverhalt: Biopatent von Syngenta auf Pfeffer
Diese Stellungnahme erfolgt in Bezug auf den Fall G 3/19, in dem es um das Biopatent von Syngenta auf Pfeffer (EP2753168) geht, „Neue Pfefferpflanzen und Früchte mit verbessertem Nährwert“. Das Europäische Patent auf Pfeffer hätte nicht auf der Grundlage von Regel 28 des Europäischen Patentübereinkommens beim EPA abgelehnt werden dürfen, entschied die Beschwerdekammer des EPA in der viel beachteten Entscheidung vom Dezember 2018 (T-1063/18), und berief sich auf Art. 164 EPÜ, demnach ein Artikel des EPÜ Vorrang vor einer Regel des EPÜ hat, wenn beide im Widerspruch stehen.
Mutation erlaubt – Kreuzung und Selektion nicht
In der Praxis ist dies nicht so eindeutig, wie dies auf den ersten Blick scheint. Denn Biotechnische und Gentechnische Eingriffe sind im Pflanzen- und Mikroorganismenbereich alltäglich, man denke an optimiertes Saatgut, Anpassungen an Klimaänderungen sowie gegen Schädlinge und Leistungssteigerungen von Pflanzen und auch Tieren. Es sind vor allem technische Auswahlverfahren oder Product-by-Process-Ansprüche, die Patentschutz erwirken. Doch gibt es beispielsweise einen Erzeugnisanspruch auf Pflanzen oder Pflanzenteile, die durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wurden?
Gemäß Abschnitt G-II, 5.4.2 führt zwar jeder implizite oder explizite Kreuzungsschritt zu einem Einwand nach Artikel 53 b) EPÜ. Technische Schritte vor oder nach dem Kreuzungs- und Selektionsverfahren sind jedoch patentierbar. Auch technische Verfahren zur Gewinnung der Pflanze oder des Tiers, das einem Erzeugnis ein technisches Merkmal verleiht, kann als Product-by-Process-Anspruch Patentschutz erlangen.
Transgene Pflanzen oder Tiere und technisch induzierte Mutanten sind demnach patentierbar; dies bedeutet, dass auch die technischen Verfahren dazu patentiert werden können: gezielte Mutationen, z. B. mit CRISPR/Cas, sowie auch die zufällige Mutagenese, wie etwa die UV-induzierte Mutation. Ebenso ist auch die Verwendung molekularer genetischer Marker patentierbar – sofern dieser technische Schritt vor oder nach dem Kreuzungs- und Selektionsverfahren ausgeführt wird.
Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch das wichtige EuGH Urteil von Juli 2018: EuGH zählt Mutagenese zur Gentechnik
Negative Auswirkung auf Erzeugnisanspruch und Product-by-Process-Anspruch
Die neue dynamische Auslegung des 53(b) EPÜ wird sich ausdrücklich negativ auf die Zulässigkeit von Produktansprüchen oder Product-by-Process-Ansprüchen auswirken, die auf Pflanzen, Pflanzenmaterial oder Tiere gerichtet sind, wenn das beanspruchte Produkt ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wird oder wenn das beanspruchte Verfahrensmerkmal ein im Wesentlichen biologisches Verfahren definiert.
Und auch in Bezug auf das Ausgangsverfahren um das Biopatent von Syngenta auf Pfeffer enthält die Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer eine klare Entscheidung. Art. 164 sei – entgegen der Annahme der Beschwerdekammer – nicht relevant, da die Regel 28(2) EPÜ nicht im Widerspruch zu der neuen Auslegung des Art. 53(b) EPÜ stehe.
Es darf daher mit Spannung erwartet werden, wie die nächsten Entscheidungen zu Biopatenten ausfallen werden: das Biopatent auf Melonen mit einer bestimmten Resistenz gegen Pflanzenviren, das Syngenta Biopatent auf Pfeffer und auch das Biopatent auf Lachse mit erhöhten Gehalt an Omega-3-Fettsäuren – die Liste mit Europäischen Biopatenten ist lang, die der offenen Entscheidungen auch.
Als erstes Biopatent seit neuer EU Richtlinie von 2017 wurde im Übrigen das Patent auf geköpften Brokkoli widerrufen.
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