Der EuG erläuterte in einem Nichtigkeitsverfahren um ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für die Hantelform des Flaschendesigns die Eigenart nach EU Verordung 6/2002: muss sich der Gesamteindruck „deutlich“ unterscheiden? Und hat die Hantelform des Flaschendesigns eine technische Funktion?
Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist der Begriff für den europäischen Schutz eines Designs. Grundsätzlich kann ein Design nur als Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden, wenn es neu ist – und wenn es sich von anderen Designs unterscheidet.
In der relevanten EU Verordnung (Art. 25 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 6/2002) heißt es dazu, dass die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmackmusters mit einem älteren Geschmacksmuster kollidiert, wenn kein anderer Gesamteindruck erweckt wird – und zwar beim informierten Benutzer und unter Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es gerade um die Eigenart eines Designs immer wieder zu Nichtigkeitsverfahren kommt.
In dem jetzt vom EuG entschiedenen Fall um das Gemeinschaftsgeschmackmuster ‚Getränkeflasche‘ ging es vor allem um die Frage, wie „deutlich“ denn ein Unterschied beim Gesamteindruck sein muss im Sinne der EU Verordnung – und ob die Hantelform des Flaschendesigns einer technischen Funktion dient.
Der Sachverhalt
Die Benkomers OOD (Bulgarien) meldete 2017 ein Gemeinschaftsgeschmackmuster ‚Getränkeflasche‘ beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) an, das Schutzanspruch erhob für „Getränkeflaschen“. Gegen diese Schutzeintragung stellte die Klägerin, die Bibita-Gruppe (Albanien), einen Antrag auf Nichtigkeit und berief sich auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. d Ziff. iii der Verordnung Nr. 6/2002. Dem jüngeren Gemeinschaftsgeschmackmuster ‚Getränkeflasche‘ fehle die notwendige Eigenart, daher kollidiere diese Schutzeintragung mit dem eigenen älteren Geschmacksmuster.
Vereinfacht gesagt warf die Klägerin dem angefochtenen späteren Geschmacksmuster vor, der innovativen Hantelform des eigenen Flaschendesigns zu ähnlich zu sehen und forderte daher die Nichtigkeitserklärung für das jüngere Gemeinschaftsgeschmackmuster ‚Getränkeflasche‘ gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. d der EU Verordnung.
Doch vergeblich; sowohl die Nichtigkeitsabteilung wie auch die Beschwerdekammer wiesen die Anträge der Klägerin zurück. Jetzt urteilte das Europäische Gericht (EuG) in diesem Fall.
Wie „deutlich“ muss ein Unterschied sein?
Die Klägerin machte vor dem EuG geltend, dass das ältere Geschmacksmuster nach Art. 6 in Verbindung mit dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 einen besonders weiten Schutz genieße. Denn nach dem 14. Erwägungsgrund muss sich der Gesamteindruck, den ein informierter Benutzer beim Betrachten des Geschmacksmusters hervorruft, „deutlich“ unterscheiden. Und das sei doch vorliegend der Fall, da die innovative Hantelform des Flaschendesigns bei Anmeldung des eigenen älteren Designs völlig neu gewesen sei.
Doch der EuG wies dies zurück. Der Wortlaut von Art. 6 dieser EU Verordnung sei klar und eindeutig, betonte das Gericht. Demnach ist einzig relevant, ob ein Design beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck erweckt als ein älteres Geschmacksmuster – trotz des Hinweises im 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 auf das Vorliegen eines „deutlichen“ Unterschieds.
Zudem machte der EuG deutlich, dass Neuheit oder Originalität einer Erscheinungsform keinerlei Einfluss auf die Beurteilung der Eigenart haben. In der Beurteilung der Eigenart ist dagegen der Grad der Gestaltungsfreiheit durchaus zu berücksichtigen.
Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers – unbegrenzt in diesem Fall?
Die Klägerin argumentierte, die eigene innovative Hantelform des Flaschendesigns zeige, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des eigenen Entwerfers im Grunde unbegrenzt war – denn erstmalig wurde eine Hantel ähnliche Flaschenform entwickelt.
Der EuG wies jedoch diesen Klagepunkt zurück. Für den Vergleich sei keineswegs die Gestaltungsfreiheit bei der Entwicklung des älteren Geschmacksmusters relevant, sondern nur die Gestaltungsfreiheit bei der Entwicklung des jüngeren, angefochtenen Designs.
Und beide Designs wiesen gemeinsame nicht gestaltbare Merkmale auf, gewissermaßen sogar standardisierte Merkmale, denn eine Flasche muss den genormten Mengen entsprechen, in denen das jeweilige Getränk verkauft wird, und einen festsitzenden Verschluss und einen abgeflachten Boden haben. Die Beschwerdekammer habe daher zu Recht festgestellt, dass der Freiheitsgrad des Entwerfers zwar erheblich, aber entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht unbegrenzt war.
Hantelform des Flaschendesigns- innovative Gestaltung oder technische Funktion?
Ganz wesentlich war insofern die Beurteilung der Hantelform. Ist ein solches Flaschendesign innovative Gestaltungsfreiheit oder hat es auch eine technische Funktion? Die Klägerin behauptete, die Hantelform des Flaschendesigns ergebe keineswegs durch eine sich aus Funktionalitäten oder Mengenstandardisierungen ergebenden Einschränkung, sondern sie sei vielmehr innovativ und frei entwickelt worden, um dem Erzeugnis ein sportliches Image zu verleihen.
Doch der EuG folgte den Argumenten der Klägerin nicht. Die Form der fraglichen Geschmacksmuster, die einer Hantel ähnelt, habe auch eine technische Funktion, entschied der EuG – nämlich einen festeren Griff an der betreffenden Flasche zu ermöglichen. Für den Gesamteindruck habe daher die Hantelform des Flaschendesigns nur eine geringe Bedeutung, und ohnehin lehne das angefochtene jüngere Geschmacksmuster im Gesamteindruck auch weniger an eine Hantel an.
Das Gericht wies darauf hin, dass sich der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters umgekehrt proportional auf die Eigenart auswirkt. Es ist also umso wahrscheinlicher, dass schon geringfügige Unterschiede zwischen den fraglichen Geschmacksmustern ausreichen, um bei einem informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck zu erwecken, je stärker die Freiheit des Entwerfers bei der Entwicklung eines Geschmacksmusters eingeschränkt ist. Anders gesagt: Je größer die Freiheit des Entwerfers bei der Entwicklung eines Geschmacksmusters ist, desto deutlicher müssen die Unterschiede wahrnehmbar sein.
Gesamteindruck: Hantelform spielt keine Rolle
Das war vorliegend wohl der Fall. Es würden zahlreiche Unterschiede zwischen dem älteren und dem jüngeren Flaschendesign wahrgenommen, führte das Gericht aus. Das angegriffene Geschmacksmuster habe ein kantiges Aussehen, das es von dem älteren Geschmacksmuster unterscheide, erklärte der EuG. Das ältere Geschmacksmuster sei durch die zylindrische Form seines oberen und unteren Teils und dementsprechend durch die kreisförmige Form seiner Abschnitte gekennzeichnet, die ihm ein runderes und glatteres Aussehen verleihen.
Für den Vergleich von zwei Geschmacksmustern und die Beurteilung des erweckten Gesamteindrucks müssen alle offenbarten Merkmale zugrunde gelegt werden – jedoch ohne die vom Schutz ausgeschlossenen technischen Merkmale zu berücksichtigen. Entscheidend ist das Vorliegen oder Fehlen eines „Déjà-vu„.
Der EuG betonte in diesem Zusammenhang auch, dass sich der Vergleich nicht auf den analytischen Vergleich einer Aufzählung von Ähnlichkeiten und Unterschieden beschränken dürfe, sondern „synthetisch“ sein müsse. Nicht zu berücksichtigen sind außerdem diejenigen Unterschiede, die nicht markant genug sind, um den Gesamteindruck zu beeinträchtigen.
Schlussendlich entschied der EuG, dass die fraglichen Geschmacksmuster erhebliche Unterschiede aufwiesen; die Hantelform hat ja nach Ansicht des Gerichts nur eine sehr geringe Bedeutung. Die Beschwerdekammer habe daher zurecht entschieden, dass das streitige Geschmacksmuster im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 keineswegs mit dem älteren Geschmacksmuster kollidierte. Die Klage wurde vollständig abgewiesen.
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Quelle für Text und Bild:
Urteil des EuG, Hantelform des Flaschendesigns, EU:T:2021:208
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