In einem Nichtigkeitsverfahren um ein europäisches Patent entschied das BPatG über die Fortführung des Nichtigkeitsverfahrens in Bezug auf alle Unteransprüche, auch wenn die Patentinhaberin im parallelen Verfahren die dortige Klage nur auf den Hauptanspruch stützt: eine Leitsatzentscheidung.
Leitsatzentscheidung im Nichtigkeitsverfahren
In einer Leitsatzentscheidung urteilte das Bundespatentgericht (BPatG), dass ein Nichtigkeitsverfahren in fortgeführt wird, auch wenn dies sämtliche Unteransprüche des inzwischen erloschenen Streitpatents umfasst, obwohl die Patentinhaberin im parallelen Verletzungsstreitverfahren die dortige Klage nur auf den Hauptanspruch stützt und die Unteransprüche im Nichtigkeitsverfahren nicht gesondert verteidigt. Nichtigkeitsgründe bilden eigenständige Streitgegenstände.
Die Geltendmachung mehrerer Nichtigkeitsgründe gegen identische Patentansprüche mit der Nichtigkeitsklage begründe eine zulässige alternative Antragshäufung entsprechend § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 260 ZPO.
Streitpatent auch in paralleler Verletzungsklage
Da das Streitpatent infolge Zeitablauf seit dem 19. September 2017 erloschen ist („ex nunc“, d. h. ab dem Zeitpunkt), sah das Gericht ein besonderes, eigenes Rechtsschutzbedürfnis seitens des Klägers, denn er könne sich nicht mehr auf das Rechtsbedürfnis der Allgemeinheit berufen. Als eine sogenannte Popularklage war das Nichtigkeitsverfahren ausgestaltet, in dessen Mittelpunkt das europäische Patent für einen Blasenkatheter stand. Es sei nämlich zu berücksichtigen, so das BPatG, dass in den als Popularstreitverfahren ausgestaltenden Bestandsverfahren Antragsteller oder Kläger nur einen einzigen Anspruch auf Nichtigerklärung bzw. Löschung gemäß §§ 21,22 PatG oder Art. II § 6 IntPatÜG haben, damit seien keine keine unterschiedliche Rechtsfolgen verbunden.
Zudem ist gegenwärtig ist eine auf Patentanspruch 1 gestützte parallele Verletzungsklage beim OLG Düsseldorf nach erstinstanzlicher Entscheidung des LG Düsseldorf anhängig, in dem eine Verletzung des Streitpatents bejaht wurde.
Das Gericht wies darauf hin, dass die Nichtigkeitsgründe bzw. Widerrufsgründe eigene Streitgegenstände bilden gemäß der Rechtsprechung des BGH. Bei einheitlichem Antragsziel stehe es den mit der Entscheidung befassten Senaten – oder auch dem DPMA – frei, selbst die Auswahl und Reihenfolge der für die Beurteilung des Rechtsbestands in Rede stehenden Nichtigkeitsgründe bzw. Widerrufsgründe zu treffen.
Eine anfängliche oder nachträgliche im Wege der Klageänderung nach § 263 ZPO nur hilfsweise zur Entscheidung gestellte Geltendmachung weiterer Nichtigkeitsgründe (eventuelle Antragshäufung) sei grundsätzlich unzulässig. Eine zulässige alternative Antragshäufung entsprechend § 99 Abs. 1 PatG liege jedoch bei Geltendmachung mehrerer Nichtigkeitsgründe gegen identische Patentansprüche vor.
Streitpatent im Hauptanspruch nicht patentfähig
Im Nichtigkeitsverfahren selbst erklärte das BPatG das europäische Streitpatent EP 1 145 729 (deutsches Aktenzeichen DE 697 34 737) „Blasenkatheterset“ für das Hoheitsgebiet in Deutschland teilweise für nichtig. Das Patent habe wegen fehlender Patentfähigkeit keinen Bestand, da sich die nach Patentanspruch 1 zulässig verteidigte Lehre nicht als erfinderisch erweise (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, § 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ, Art. 54 EPÜ), urteilte das BPatG.
Das Streitpatent beschreibt ein Blasenkatheterset (in der englischen Verfahrenssprache „A ready-to-use urinary catheter assembly“), bei dem der gebrauchsfertige Katheter in einem besonders sterilen Zustand direkt in die Harnröhre eingeführt werden kann. Aufgabe des Patents war die Bereitstellung eines Verpackungssets für hydrophile Blasenkatheter in gebrauchsfertiger, d. h. gleitfähiger Form, auch nach einer Lagerung und ohne von außen zugefügte Gleitbeschichtung. Wesentlich im Patentanspruch 1 war daher das Verfahren zur Optimierung der Verpackung unter Vermeidung des Verdampfens des darin enthaltenen Quellungsmediums.
Ein solches Verfahren lag aber bereits in der Druckschrift WO 96/30277 A1 (NK 29, im Prioritätsintervall des Streitpatents veröffentlichte Druckschrift) vor, in der explizit als Verpackungsmaterialien Laminate und auch solche mit Metallfolien erwähnt sind, welche sich dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens als besonders dampfundurchlässig anbieten. Somit habe der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag keinen Bestand, weil die darin gegenständliche Lehre ausgehend der NK 29 in Verbindung mit dem Fachwissen des angesprochenen Fachmanns nahelag, urteilte das BPatG. In gleicher Weise – ebenfalls mit Verweis auf NK 29 – entschieden auch bereits der Gerichtshof Den Haag und der High Court Of Justice in UK.
Streitpatent teilweise für nichtig erklärt
Zwar erklärte das BPatG den Patentanspruch 1 für nicht erfinderisch und daher für nicht patentfähig, erkannte jedoch die Verteidigung der Patentinhaberin gemäß Hilfsantrag 3 als erfolgreich an. Mit Hilfsantrag 3 wird die Merkmalsgruppe 3 des Patentanspruchs 1 zusätzlich um die Vorgabe ergänzt, dass das flüssige Quellungsmedium in einem Speicherkörper aus einem schwammartigen- oder gelähnlichen Material in dem Hohlraum aufgenommen ist.
Daher wurde das Streitpatent auch nur teilweise für nichtig erklärt. Denn mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 haben auch die Unteransprüche 2 bis 11 Bestand, die vorteilhafte Ausgestaltungen des Blasenkathetersets beinhalten. Der nach Hilfsantrag 3 als schutzfähig verbleibende Patentgegenstand ist nun dennoch in erheblichem Maß eingeschränkt, denn das Katheterset ist durch das Urteil in der Herstellung wesentlich verkompliziert. Die Patentinhaberin kann Berufung gegen das Urteil einlegen.
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Quellen:
Urteil des BPatG 4 Ni 50/17 (EP)
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