Wird ein Patent in der erteilten Fassung und auch in einer beschränkten Fassung erstinstanzlich verteidigt, muss eine etwaige Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen. Der BGH traf eine Leitsatzentscheidung zu der Unzulässigkeit einer Berufung im Patentnichtigkeitsverfahren.
Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Begründung der Berufung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer Leitzsatzentscheidung. Erforderlich sei eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger weshalb bekämpft. Diese Leitsatzentscheidung bringt Klarheit zur Unzulässigkeit der Berufung in Patentnichtigkeitsverfahren.
Berufung in Patentnichtigkeitsverfahren um einen Eierkarton
Der Ursprung der Leitsatzentscheidung liegt in einem Rechtsstreit um ein europäisches Patent auf einen Eierkarton. Das Streitpatent EP 1 373 100 beschreibt eine Schau- und Versandverpackung für Eier oder ähnlich zerbrechliche Gegenstände, die die jeweiligen Vorteile einer Eierschachtel (Muster aus Stützrippen) und eine große Oberfläche für Informationen und gegebenenfalls eine gute Möglichkeiten für Werbung kombinieren soll.
Das Bundespatentgericht hatte das Streitpatent erstinstanzlich für das Hoheitsgebiet in der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig erklärt (3 Ni 10/16 (EP)) und begründete diese Entscheidung mit fehlender Neuheit des Patents, da der Stand der Technik bereits offenbart sei. Konkret bezog sich das BPatG auf die Offenbarungen durch das US-amerikanische Patent 2 978 162 auf einen Eierkarton aus geformter Pulpe (GDM1) und das US-amerikanische Patent 101 892 auf einen Eierkarton mit wabenförmiger Oberfläche (GDM4). GDM1 und GDM4 legten dem Fachmann nahe, die Verpackung aus undurchsichtiger Pulpe herzustellen und mit einer im Wesentlichen ebenen Oberwand auszugestalten, hatte das BPatG in der Urteilsbegründung ausgeführt. Hiergegen richtete sich die Berufung der Inhaberin des Streitpatents.
BGH sieht die Berufungsbegründung als unzulässig an
Der BGH sah jedoch die Berufungsbegründung als unzulässig an. Die Berufungsbegründung griff nur die Erwägungen als fehlerhaft an, mit denen das Patentgericht die Neuheitsschädlichkeit der GDM4 begründet hat, und verwies in Bezug auf die GDM1 lediglich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, stellte der BGH in seinem Leitsatzurteil fest. Denn die Berufungsbegründung auf GDM1 war erst als Replik und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgt. Erforderlich sei aber eine aus sich heraus verständliche Angabe in der Berufung, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger weshalb bekämpft. Habe der Patentinhaber das Streitpatent in erster Instanz sowohl in der erteilten als auch in einer beschränkten Fassung verteidigt, muss er, will er die erteilte Fassung auch vor dem Bundesgerichtshof verteidigen, jede selbständig tragende Begründung angreifen, mit der das Bundespatentgericht das Streitpatent für in der erteilten Fassung nicht rechtsbeständig erachtet und insoweit für nichtig erklärt hat, urteilte der BGH.
Amtlicher Leitsatz
Die Berufung ist unzulässig, wenn der im Patentnichtigkeitsverfahren vor dem Patentgericht unterlegene Patentinhaber mit der Berufungsbegründung nicht jede unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägung angreift, mit der die vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des Streitpatents in dem angefochtenen Urteil begründet ist.
Stützrippen im Eierkarton- Stand der Technik?
Allerdings widersprach der BGH den Erwägungen des BPatG bezüglich GDM4. Das Merkmal eines Musters aus Stützrippen, welche die Grundbereiche der eiförmigen Abteilungen verbinden, ergebe sich aus der Offenbarung durch GDM4, hatte das BPatG geurteilt, und beruhe im Übrigen gegenüber GDM1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da die Erstreckung der Stützrippen in Richtung Packungsboden eine je nach gewünschter Versteifung im Belieben des Fachmanns liegende Maßnahme sei.
Dieser Sichtweise widersprach der BGH. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts liege in der Erstreckung der Stützrippen bis zum Boden keine im Belieben des Fachmanns je nach gewünschter Versteifung liegende Maßnahme. GDM4 offenbare zwar bodentiefe Stützrippen, zeige aber eine von der GDM1 abweichende Ausgestaltung des Eierkartons mit symmetrischem Ober- und Unterteil auf, begründete der BGH seine Entscheidung. Da die Lage der Stützrippen Auswirkungen auf die Stabilität des Eierkartons hat, stelle sich die Erstreckung der Stützrippen bis zum Boden nicht als beliebige Maßnahme des Fachmanns dar, sondern erfordere eine vom Stand der Technik abweichende Konstruktion.
Das europäische Patent 1 373 100 wurde daher mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in der erteilten Fassung des Streitpatents teilweise für nichtig erklärt.
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Quelle:
BGH Urteil „Eierkarton“ X ZR 37/17
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