Leitsatzentscheidungen des OLG Karlsruhe zum Marktmissbrauch SEP Datenpaketverarbeitung: es sind wesentliche Vorgaben zum Inhalt eines Lizenzangebots des SEP Inhabers, zur Antwortzeit des Patentnutzers und seine Pflicht zur Mitwirkung – und zu der Möglichkeit, versäumte Pflichten „nachzuholen“.
In zwei Leitentscheidungen des OLG Karlsruhe zum Marktmissbrauch SEP Datenpaketverarbeitung handelt es sich um einen komplexen Fall mit grundsätzlichen Überlegungen und Vorgaben in Bezug auf SEP und Lizenzverhandlungen unter FRAND Bedingungen. Das OLG sieht die Fallkonstellation um das SEP Datenpaketverarbeitung so an, dass der Verletzer eine Verzögerungstaktik betreibt, die dazu führt, dass die Durchsetzung der kartellrechtlich gebundenen Ansprüche ein Marktmissbrauch wäre.
Worum geht es?
Die Klägerin, ein weltweit operierendes und eine Vielzahl von Patenten u.a. auf dem Gebiet der Mobilfunktechnik haltendes Elektronikunternehmen, ist als alleinige Inhaberin des deutschen Teils des Klagepatents in dem beim Deutschen Patent- und Markenamt geführten Register eingetragen – für UMTS-/LTE-Standard.
Die Beklagte (die Unternehmensgruppe A) vertreibt im Inland LTE-fähige Mobiltelefone. Quasi zwangsläufig nutzte daher die Beklagte die patentgemäße Lehre für Datenpaketverarbeitung im Mobilfunkverkehr und dem LTE-Netz.
Dennoch kam zwischen der Klägerin und der Unternehmensgruppe A kein Lizenzvertrag zustande.
Vielmehr führten die bisher erfolgten Lizenzbemühungen zu einem sehr umfangreichen und interessanten Rechtsverfahren um patentrechtlichen Schadensersatz für standard-essentielle Patente (SEP), das durch das OLG Karlsruhe mit 2 Urteilen in diesem Rechtsstreit wichtige rechtliche Leitsätzen für SEP und die Verhandlungspflichten um eine Lizenzvereinbarung für SEP unter FRAND Bedingungen beiträgt.
Komplexer Rechtsstreit
Die Klägerin und SEP Patentinhaberin machte eine Patentverletzung der Beklagten geltend; die Beklagte bestritt das, auf jeden Fall jedoch stehe der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand einer Durchsetzung der Unterlassungs-, Ruckruf- und Vernichtungsansprüche entgegen. Außerdem habe die Klägerin vor Klageerhebung nie erläutert, weshalb die von ihr geforderte Stücklizenz FRAND-Bedingungen entspreche.
Tatsächliche Kontaktaufnahme wiederum geschah von beiden Parteien: am 28. Juli 2015 wies die Klägerin die Unternehmensgruppe A erneut auf eine Patentverletzung hin und offerierte einen Entwurf eines „license agreement“ in Bezug auf UMTS-/LTE-Patente. Da die Beklagte darauf nicht reagierte bis zum 19. Oktober 2015, reichte die Klägerin Klage wegen Patentverletzung ein. Am 20. Oktober 2015 (Datum des Postwegs) versicherte daraufhin die Beklagte, „nach Treu und Glauben“ eine Lizenzvereinbarung abschließen zu wollen; fast ein Jahr später, im August 2016, legte die Beklagte A der Klägerin dann ein eigenes Angebot für eine Lizenzvereinbarung vor.
Die Beklagte erhob nach diesen Geschehnissen ihrerseits eine Widerklage (Art. 7 Nr. 2, 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) gegen die Patentinhaberin und warf ihr vor, einen Missbrauch einer durch ein SEP Patent erreichten marktbeherrschenden Stellung begangen zu haben, indem sie die Klage wegen Patentverletzung gegen die Beklagte erhob. Zudem erhob sie mit der Widerklage einen Anspruch auf Vorlage der Lizenzverträge der Klägerin mit anderen.
Doch das erstinstanzliche Landgericht Karlsruhe (7 O 115/16) wies diese Klage ab. Die erforderliche Lizenzbereitschaft von Seiten der Unternehmensgruppe A (Lizenzierungsbitte) sei nicht rechtzeitig zum Ausdruck gebracht worden, daher habe die Patentinhaberin zurecht mit einer Klage reagiert, dies sei nicht als Missbrauch ihrer Stellung zu sehen.
OLG Karlsruhe mit 2 Leitsatzurteilen: Marktmissbrauch SEP Datenpaketverarbeitung
Die Beklagte brachte eine Beschwerde gegen diese Entscheidung ein vor dem OLG Karlsruhe, zu der das Gericht Ende 2019 urteilte (6 U 183/16). Gegen dieses Urteil wurde auch wieder eine Beschwerde eingelegt, die erst kürzlich entschieden wurde (6 U 103/19). Aus diesen beiden Urteilen trägt das OLG Karlsruhe mit wichtigen Leitsätzen für SEP und für Lizenzvereinbarungen unter FRAND Bedingungen bei, die wir hier zusammenfassen.
Lizenzangebot des SEP Inhabers: an wen und mit welchem Inhalt
Grundsätzlich gilt die Verhandlungsverpflichtung für eine Lizenzvereinbarung für SEP demnach als erfüllt, wenn der Inhaber eines SEP an die Konzerngesellschaft herantritt, die für solche Lizenzverhandlungen zuständig ist. Inhaltlich muss der SEP Inhaber in seinem Lizenzangebot auch Darlegungen beifügen zu den objektiven Umständen, warum das unterbreitete Angebot FRAND-Kriterien entspricht. Dabei ist es ausreichend, wenn das Lizenzangebot für den durchschnittlichen Lizenznehmer FRAND-Bedingungen entspricht und dies auch für den für einen SEP Patentnutzer aus dem vorgelten Lizenzabkommen nachvollziehbar ist. Dazu müsse der SEP Inhaber selbst deutlich machen, warum er sein Lizenzangebot als nicht diskriminierend erachtet.
Sind bereits Lizenzverträge mit dritten Unternehmen zu unterschiedlichen Bedingungen abgeschlossen, habe der SEP-Inhaber regelmäßig zumindest den Inhalt der wesentlichen Lizenzvertragsbedingungen jener Verträge so darzulegen und zu erläutern, dass der Patentnutzer dem entnehmen kann, ob und – wenn ja – wie er wirtschaftlich ungleiche Konditionen vorgelegt bekommt. Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Anspruch auf Vorlage von Drittlizenzverträgen besteht (siehe GRUR 2020, 166 Rn. 146 ff. – Datenpaketverarbeitung), so ein Anspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
Patentnutzer/Verletzer: Begrenzte Antwortzeit und Mitwirkung an Lizenzvereinbarung
Ein Patentnutzer hat nach der Meinung des OLG nur begrenzt Zeit, auf ein Lizenzangebot des SEP Inhabers zu reagieren: Die dem Patentbenutzer für die Lizenzierungsbitte einzuräumende Prüfungs- und Erwägungsfrist wird demnach regelmäßig zwei Monate nicht überschreiten.
Einem Patentnutzer wiederum obliegt es nach Ansicht des OLG Karlsruhe schon dann, ein Gegenangebot an den SEP Inhaber zu unterbreiten, wenn das Lizenzangebot des SEP-Inhabers eindeutig FRAND-widrig ist und der SEP-Inhaber den Verletzer durch die Erläuterung seines Lizenzangebots in die Lage versetzt hat, seinerseits ein Gegenangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten. Auch ohne die Abgabe eines Gegenangebots muss ein Patentnutzer zielgerichtet mitwirken; tut er dies nicht, kann er den Ansprüchen des SEP-Inhabers einen FRAND-Einwand grundsätzlich nicht mit Erfolg entgegenhalten.
Diese „zielgerichtete Mitwirkung“ des Patentnutzers führte das OLG Karlsruhe als Leitsatzentscheidung noch weiter aus. Ein Patentnutzer muss demnach vom SEP-Inhaber angebotene Informationsmöglichkeiten wahrnehmen und ihm etwaige Beanstandungen im Rahmen der Verhandlungen mitteilen; insbesondere dürfen keine Beanstandungen für eine spätere Rechtsverteidigung zurückgehalten werden.
Pflichten nicht erfüllt – können dennoch „nachgeholt“ werden
Ebenfalls als Teil der Leitsatzentscheidung des OLG wird auch festgestellt, dass nicht erfüllte Pflichten zur Lizenzvereinbarung noch „nachgeholt“ werden können – während eines anhängigen Verletzungsrechtsstreits. Die (erstmalige) Erfüllung der Verhandlungspflichten nach Klageerhebung setzt demnach voraus, dass die klagende Partei eine druckfreie Verhandlungssituation durch eine entsprechende Prozesslage sicherstellt.
Die Anerkennung der „Nachholbarkeit“ von Pflichten und Obliegenheiten fügt sich zudem ein in das nationale Prozessrechtsverständnis und korrespondiert mit der Rechtslage bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer patentrechtlichen Zwangslizenz nach § 24 PatG (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 2019 – X ZB 2/19, Alirocumab).
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen und die Begründetheit eines Leistungsklage- / Verfügungsantrags – und damit die Unbegründetheit von Einwendungen – ist insoweit allein der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung.
Gesamturteil: Urteil des LG Mannheim teilweise aufgehoben
Im Gesamturteil wurde im Übrigen durch das letzte Urteil des OLG Karlsruhe (6 U 103/19) das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 04.09.2019, Az. 7 O 115/16, im Kostenpunkt aufgehoben und sowie dahin abgeändert, dass sowohl dessen Verurteilung zur Unterlassung entfällt als auch dessen Verurteilung zur Auskunft/Rechnungslegung. Außerdem wird dessen festgestellte Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz (Ziff. 3. des landgerichtlichen Tenors) jeweils auf Handlungen bis zum 18.09.2018 beschränkt.
OLG lässt ausdrücklich Revision zu: Grundsätzliche Bedeutung für SEP
Das OLG Karlsruhe betont zudem selbst die grundsätzliche Bedeutung der hier verhandelten Rechtsfragen, die weit über einen Einzelfall hinausgehen. Vor allem betreffe die Entscheidung maßgeblich die zutreffende Umsetzung der vom EuGH in der Rechtssache „Huawei/ZTE“ aufgestellten Grundsätze, besonders zur Frage: wann liegt Verzögerungstaktik vor?
Insbesondere stelle sich die Frage, schloss das OLG seine Ausführungen, ob es Mitwirkungsobliegenheiten des Lizenzsuchers unterhalb der Schwelle der Abgabe eines Gegenangebots gibt, bei deren Nichtbeachtung sich der Lizenzsucher nicht erfolgreich auf einen kartellrechtlichen FRAND-Einwand berufen kann und die selbst dann bestehen, wenn der SEP-Inhaber ein Angebot unterbreitet, das FRAND-Bedingungen nicht entspricht.
Daher lässt der OLG Karlsruhe ausdrücklich Revision zu.
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Quelle:
OLG Karlsruhe, Leitsatzentscheidung, 6 U 103/19
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