Die Große Beschwerdekammer hat entschieden zu wichtigen Fragen der Doppelpatentierung mit Beanspruchung einer Priorität: Das Verbot der Doppelpatentierung gilt auch für Stamm- und Teilanmeldungen sowie für Anmeldungen, die dieselbe Priorität beanspruchen – in gemeinsamen Bestimmungsstaaten.
EPO und EPÜ: Verbot der Doppelpatentierung
Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat am 22. Juni 2021 eine wichtige Entscheidung (G 4/19 (Doppelpatentierung)) zur Doppelpatentierung erlassen. Eine europäische Patentanmeldung kann demnach aufgrund des Verbots der Doppelpatentierung zurückgewiesen werden. Dieses Verbot gilt aber nur dann, wenn das bereits erteilte und das zusätzlich angemeldete Patent gemeinsame Bestimmungsstaaten haben.
Diese Entscheidung basiert auf der Beschwerdesache T 0318/14 vom 7. Februar 2019 (ABl. EPA 2020, A104). In diesem Ausgangsverfahren hatte die Patentabteilung des EPO die Erteilung eines zweiten Patents abgelehnt, dass mit demselben Patentanspruch angemeldet wurde wie das erste, bereits erteilte Patent (Nr. 2 251 021, Patentinhaberin ist Nestlé (Schweiz)), aus der die streitige Anmeldung für das zweite Patent Priorität beanspruchte. Die Prüfungsabteilung vertrat dabei die Auffassung, dass sich das Verbot der Doppelpatentierung auch auf europäische Anmeldungen erstreckt, die eine interne Priorität aus einer anderen europäischen Anmeldung beanspruchen.
Die Rechtsmittelführerin Nestlé wiederum machte geltend, dass das Verbot bei einer internen Priorität nicht anwendbar sei. Die Entscheidungen G 1/05 und G 1/06 beträfen Teilanmeldungen und seien nur in diesem Zusammenhang anwendbar. Zudem sei Artikel 125 EPÜ grundsätzlich keine geeignete Rechtsgrundlage für das Verbot der Doppelpatentierung, da es sich um eine Frage des materiellen Rechts handele.
Die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPO) legte daher der Großen Beschwerdekammer diesen Fall mit einer interessanten Fragestellung zur Doppelpatentierung vor.
Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer
Konkret lautete die erste Vorlagefrage:
Kann eine europäische Patentanmeldung nach Artikel 97 (2) EPÜ in Verbindung mit Artikel 125 EPÜ zurückgewiesen werden, wenn sie denselben Gegenstand beansprucht wie ein europäisches Patent, das demselben Anmelder erteilt wurde und nicht zum Stand der Technik gehört?
Anders ausgedrückt wurde gefragt, ob das Verbot einer Doppelpatentierung auch für europäische Patentanmeldungen gilt, die eine interne Priorität aus einer anderen europäischen Anmeldung beanspruchen?
Verbot der Doppelpatentierung gemäß Artikel 125 EPÜ?
Zur Beantwortung legte die Große Beschwerdekammer den Artikel 125 EPÜ aus mit Blick auf die Artikel 31 und 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Die Große Beschwerdekammer bekräftigte, dass sich der Begriff „Verfahrensvorschriften“ in Artikel 125 EPÜ auf Vorschriften erstrecken kann, die eine materielle Prüfung des beanspruchten Gegenstands erfordern. Sie stellte fest, dass das Verbot der Doppelpatentierung einen Grundsatz des Verfahrensrechts im Sinne des Artikels 125 EPÜ darstellt und in den Vertragsstaaten allgemein anerkannt ist. Ausdrücklich wurden als Beleg für diese Auslegung die Versionen des Artikels 125 EPÜ in den Originalsprachen Deutsch und Französisch angeführt: im Deutschen heißt es „Vorschriften über das Verfahren“, im Französischen „Disposition[s] de procédure“.
Verbot der Doppelpatentierung – auch mit derselben Priorität
Entgegen der Ansicht der Rechtsmittelführerin entschied dann die Große Beschwerdekammer, dass das Verbot der Doppelpatentierung nicht auf Anmeldungen beschränkt ist, die auf denselben Gegenstand gerichtet sind und am selben Tag eingereicht wurden. Das Verbot der Doppelpatentierung erstrecke sich vielmehr ebenso auch auf Stamm- und Teilanmeldungen sowie auf Anmeldungen, die dieselbe Priorität beanspruchen, präzisierte die Große Beschwerdekammer.
Verbot – aber nur in gemeinsamen Bestimmungsstaaten
Damit erweiterte die Große Beschwerdekammer das Verbot der Doppelpatentierung in einer bisher nicht vorliegenden Klarheit. Dieses Verbot der Doppelpatentierung gilt aber nur dann, ergänzte die Große Beschwerdekammer, wenn das bereits erteilte und das zusätzlich angemeldete Patent gemeinsame Bestimmungsstaaten haben. Das ist eine wichtige Ergänzung zu der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer, gerade mit Blick auf die Regelungen für internationale Patentanmeldungen (PCT). Denn Artikel 8 des PCT sieht für internationale Anmeldungen ausdrücklich vor, die Priorität einer früheren europäischen Patentanmeldung in Anspruch zu nehmen.
Die Große Beschwerdekammer ist die höchste gerichtliche Instanz nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ). Ihre Hauptaufgabe ist es, die einheitliche Anwendung des EPÜ sicherzustellen.
Dies geht weit über die politische Europäische Union hinaus; im Europäischen Patentübereinkommen sind insgesamt 38 Vertragsstaaten vereint. Darunter befinden sich alle 27 Mitgliedstaaten der EU sowie 11 weitere Staaten. Darunter sind sehr EU-nahe Länder wie UK, Norwegen und die Schweiz, und auch die Länder Island, San Marino, Nordmazedonien, Albanien, Serbien und die Türkei gehören dazu, ebenso auch das Fürstentum Monaco und Zypern (Cy).
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Quellen:
Press Communiqué of 22 June 2021 on decision G 4/19
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