Die Erfindung der CRISPR Gen-Schere wurde in diesem Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet; es gilt als bahnbrechender Therapieansatz. Nicht verwunderlich, dass seit Jahren ein Wettkampf um das Prioritätsrecht der Patente stattfindet. Prioritätsrecht kann nicht zerstückelt werden, entschied die Beschwerdekammer.
Die Patenterteilung und Schutzrechtsvergabe in der CRISPR Technologie ist seit Jahren umstritten, zwei Erfindergruppen beanspruchen die Erfinderrechte. Denn die passgenaue CRISPR Genombearbeitung, salopp als Gen-Schere bezeichnet, gilt als die Schlüsseltechnologie im Kampf gegen Krebs.
Hintergrund: Wettlauf um Patenterteilung der CRISPR Technologie
Die Patenterteilung in Bezug auf die CRISPR Gen-Schere war ein enger Wettlauf mit zusätzlichen Verwicklungen durch unterschiedliche Patenterteilungen in der EU und in den USA. Unbestritten ist, dass das Team um die Erfinderinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier als erste das CRISPR Editing Verfahren beschrieben und 2012 als U.S. Patent anmeldeten. In diesem Jahr erhielten sie dafür übrigens den Nobelpreis – absolut verdient.
Eine zweite Erfindergruppe um das renommierte Broad Institute des MIT (Masschusetts Institute of Technology) und der Harvard-Universität meldete 2013 ebenfalls ein U.S. Patent zu CRISPR an – für CRISPR-Anwendungen bei „höheren“ Lebewesen (Eukaryonten). Seitdem führen die beiden Erfindergruppen Widerspruchsverfahren um die erteilten Patente, in den USA und auch in der EU.
In Europa ist das EU Patent (2771468 B1) des Teams MIT/Harvard besonders wichtig; es enthält mehrere Bezüge auch auf ältere Patentrechte. In einer viel beachteten Entscheidung des EPA vom Januar 2018 widerrief das EPA dieses EU Patent und auch die Beschwerdekammer bestätigte im Januar 2020 den Widerruf und wies den Widerspruch des Teams MIT/Harvard ab (T 844/18).
Damit bleibt das eigentlich schon als entschieden geltende Rennen um die Schutzrechte an der CRISPR Gen-Schere und CRISPR-Technologie offen. Im Übrigen arbeiten beide Erfindergruppen mit Hochdruck daran, die CRISPR Gen-Schere noch passgenauer zu machen (Stichwort CasY und CasX der Gruppe Doudna; CRISPR-Cpf1 anstelle des des Cas9 Proteins der Gruppe MIT) und sich ihre Anwendungen durch weitere neue Patente abzusichern. Lesen Sie in diesem Kontext auch gerne den Textabschnitt „Offenes Patentportfolio als Ausweg im CRISPR Dauerkonflikt“ in diesem Beitrag.
Beschwerdekammer: Prioritätsrecht gemäß Artikel 87(1) EPÜ
Vor wenigen Tagen nun – am 6. November 2020 – veröffentlichte die Beschwerdekammer eine Pressemitteilung, in der der Widerruf des CRISPR EU Patents von MIT/Harvard (T 844/18) erläutert wird.
Patentrechtlich ist dies sehr interessant, denn die Beschwerdekammer legt in ihrer Entscheidung das Prioritätsrecht gemäß Artikel 87(1) EPÜ aus und hier vor allem den Begriff „jede Person“.
Ist ein Prioritätsanspruch auch ohne eine Übertragung des Prioritätsrechts von B auf A gültig, wenn nur A Anmelder der Nachanmeldung ist, A und B jedoch Anmelder sind für die Prioritätsanmeldung?
Entscheidend ist dafür die Frage, wie der Ausdruck „jede Person“ in Artikel 87(1) EPÜ zu verstehen ist.
„jede Person“ im Prioritätsrecht
Die Beschwerdekammer hat sich dazu eindeutig positioniert: ein gültiger Prioritätsanspruch setzt demnach voraus, dass alle Personen, die als Anmelder der Prioritätsanmeldung aufgeführt sind, auch als Anmelder der Nachanmeldung aufgeführt sein müssen. Denn nach Artikel 87(1) EPÜ genießt jede Person, die eine Patentanmeldung ordnungsgemäß eingereicht hat, oder ihr Rechtsnachfolger während einer Frist von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag der ersten Anmeldung ein Prioritätsrecht.
Im vorliegenden Fall des CRISPR Patents ist die Situation allerdings noch komplizierter. Denn bei der Patentanmeldung wurde es unterlassen (sowohl in der EU als auch in den USA), den Miterfinder Luciano Marraffini zu nennen, daher erkannte das EPA auf Ungültigkeit des Patents. Aber auch in den USA wurde die gleiche Frage bereits 2017 verhandelt. Und dort entschied ein Schiedsgericht zu Gunsten des Teams um MIT/Harvard und bestätigte die Gültigkeit des Patents.
Die Beschwerdekammer entschied daher auch die Frage, ob das nationale Recht (in diesem Fall also das US-Recht) die Bestimmung „jede Person“ regelt, die nach Artikel 87 (1) EPÜ „ordnungsgemäß angemeldet“ hat. Dem erteilte die Kammer eine klare Absage.
Durch den Artikel 87(1) EPÜ sei das EPA sowohl befugt als auch verpflichtet, die Gültigkeit eines Prioritätsanspruchs zu prüfen, urteilte die Beschwerdekammer. Daher könne ein Prioritätsanspruch nicht in Anspruchsklagen vor nationalen Gerichten geprüft werden, sondern nur vor dem EPA. Und da Artikel 87(1) EPÜ dem Artikel 4A entspreche (der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums), bestimme diese Regelung, wer „jede Person“ ist – nicht aber die U.S. Auslegung.
Das Prioritätsrecht kann nicht zerstückelt werden, lautet die Kurzfassung der Entscheidung, „jede Person“ bedeutet demnach „alle Anmelder“.
Möchten auch Sie Ihre Erfindung schützen oder verteidigen?
Unsere Anwälte verfügen über langjährige Expertise im Patentrecht sowie im gesamten Gewerblichen Rechtsschutz und sind berechtigt, Sie vor jedem Gericht zu vertreten – in Deutschland und auch international.
Nehmen Sie bei Interesse gerne Kontakt auf.
Quellen:
Pressemitteilung der Beschwerdekammer (EPA) zu T 844/18
Bild:
eigener Bildentwurf mit quimono | pixabay.com | CCO License und AnneliseArt | pixabay.com | CCO License
Schreiben Sie einen Kommentar