Der BGH urteilte als Leitsatzentscheidung in FRAND II erneut zwischen Sisvel vs. Haier: mit Details zur Lizenzwilligkeit für SEP Lizenzen und vor allem mit einer Entscheidung, ob Vertriebspartner eine auf ihre eigene Tätigkeit beschränkte Lizenz hätten beanspruchen müssen.
BGH Urteil FRAND II: SEP im Mobilfunk Bereich
Hintergrund des BGH Urteils FRAND II (KZR 35/17) ist ein mehrjähriges Verfahren zwischen Sisvel und Haier. Im Mittelpunkt steht das – inzwischen erloschene – Europäische Patent EP 1264504, das im Februar / März 2000 von der Nokia Oy angemeldet wurde; seit 2012 ist Sisvel die eingetragene Patentinhaberin zu diesem ursprünglich von Nokia gehaltenen Patent, das eine unverzichtbare Erfindung für den Mobilfunk enthält in Bezug auf UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) und dem Standard 3GPP TS 25.331. Dieser Standard wird von dem European Telecommunication Standard Institute (ETSI) verantwortet, das Klagepatent gilt als sogenanntes standard-essentielles Patent (SEP).
SEPs sind vor allem im Bereich Telekommunikation bereits seit vielen Jahren unverzichtbar. Solche Patente werden vom Patentinhaber dem ETSI gemeldet; dabei muss sich der Patentinhaber schriftlich verpflichten, diese Patente zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden (FRAND) Bedingungen in Übereinstimmung mit der IPR-Richtlinie von ETSI an Wettbewerber zu lizenzieren.
Der Sachverhalt
Wegweisend in der Rechtsprechung dazu ist Urteil Huawei vs. ZTE des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2015 und das damit vorgegebene „Ping-Pong-Verfahren“ zwischen den Streitparteien: Lizenzinhaber wie auch Lizenznehmer müssen eindeutig willig sein, eine Lizenzvereinbarung zu erreichen für ein SEP. Andernfalls kann ein Patentinhaber nicht mit einer Patentverletzungsklage und Unterlassungsanspruch gegen einen Patentnutzer ohne Lizenz vorgehen. Besonders häufig ist daher die Lizenzwilligkeit der Streitparteien ein Streitfall vor Gericht.
Dies war auch im jetzt entschiedenen SEP Urteil FRAND II der relevante Aspekt. Im Dezember 2012 hatte Klägerin Sisvel den Beklagten Haier (der Haier-Konzern mit der Qingdao Haier Telecom Co. Ltd. und der Qingdao Haier Electronics Co. Ltd.) signalisiert, eine FRAND konforme Lizenzvereinbarung treffen zu wollen. Im April 2013 erklärte Sisvel diese Bereitschaft auch gegenüber ETSI, und spätestens seit Dezember 2013 wurden mit dem Haier-Konzern Gespräche über ein Lizenzabkommen geführt.
Haier jedoch bot im September 2014 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin Mobiltelefone sowie Tablets an – ohne eine Lizenz. Darin sah Klägerin Sisvel eine Patentverletzung und machte Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie die Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz erfolgreich vor dem Landgericht Düsseldorf geltend, darüber hinaus auf Vernichtung und Rückruf der Geräte.
Haier ging in die Berufung und bekam dort teilweise recht. Die Entscheidung des LG wurde abgeändert, insbesondere wurde die Klage hinsichtlich der auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf gerichteten Klageanträge ebenso als derzeit unbegründet abgewiesen wie die auf Auskunft und Rechnungslegung gerichteten Anträge, soweit damit Angaben zu Kosten und Gewinn verlangt wurden. Das Berufungsgericht ließ allerdings Revision zu, davon machte Sisvel auch Gebrauch: sie forderte vor dem BGH die Wiederherstellung des Urteil des Landgerichts. In einer Anschlussrevision forderte Haier das Gegenteil, nämlich eine vollständige Klageabweisung.
BGH: ausführlich – und Leitsatzentscheidung
Der BGH führte seine Entscheidung detailliert aus und bestätigte mit seinem Urteil FRAND II seine bisherige Rechtsprechung mit hohen Anforderungen an eine Lizenzwilligkeit. Der BGH wies die Revisionsforderung von Haier ab und bestätigte die Revision von Sisvel. Das Urteil des LG Düsseldorf werde wieder hergestellt, urteilte der BGH.
Eine auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gerichtete Patentverletzungsklage wegen eines SEP ist kein Missbrauch der Marktmacht, wenn der Lizenznehmer nicht eindeutig willig ist zur Lizenzvereinbarung, entschied der BGH und formulierte dies auch als SEP Leitsatzentscheidung.
Der BGH definierte die Lizenzwilligkeit noch genauer. „Die Lizenzwilligkeit des Verletzers darf sich grundsätzlich ebenso wenig wie die Lizenzierungsbereitschaft des Patentinhabers in der einmaligen Bekundung des Lizenzierungsinteresses oder der Vorlage eines (Gegen-) Angebots erschöpfen“, urteilte der BGH, auch als Teil seiner Leitsatzentscheidung.
Konzernweite Lizensierung oder selektiv: entscheidender Punkt
Insbesondere widersprach der BGH der Auffassung des Berufungsgerichts, gegen eine konzern- und weltweite Portfolio-Stücklizenz bestünden grundsätzlich keine Bedenken. Hintergrund dazu ist, dass Haier im Schriftverkehr mit Sisvel die Üblichkeit einer Konzernlizenz bestritten hatte und argumentierte, da die Klägerin aktiv nicht konzernweit lizensiere (sondern vielmehr einem Konzern angehöre, dessen Gesellschaften verschiedene Lizenzprogramme vermarkteten), könne sie auch keine Lizenzierung durch den Haier-Konzern erwarten. Stattdessen solle die Lizenzvereinbarung die europäische Vertriebstätigkeit erfassen.
Anders als das Berufungsgericht entschied der BGH, dass Klägerin Sisvel erwarten durfte, dass die Beklagten zumindest Sachgründe dafür anführten, warum sie meinten, eine solche selektive Lizenzierung sei interessengerecht. Dies entspreche auch aus der objektiven Sicht eines an einem Vertragsschluss interessierten Verhandlungspartners, erläuterte der BGH. Haier habe nicht annehmen können, ergänzte das Gericht, mit der so vorgeschlagenen Vertragsgestaltung selbst ein FRAND-konformes Angebot gemacht zu haben. Dieses Angebot habe nicht erkennen lassen, dass Haier ein berechtigtes Interesse an einem Lizenzvertrag haben könnten.
Vertriebspartner: Anspruch auf ihre eigene Tätigkeit beschränkte Lizenz?
Dabei sei nicht relevant, ob den Beklagten als Vertriebsunternehmen neben dem Haier-Konzern überhaupt ein eigener Lizenzierungsanspruch zustand, betonte der BGH.
In Anbetracht der fehlenden Lizenzbereitschaft von Haier konnten die Vertriebsunternehmen jedenfalls billigerweise keine auf ihre eigene Tätigkeit beschränkte Lizenz beanspruchen, die für den Haier-Konzern mit der Gefahr einer Umgehung der eigenen Vertriebsgesellschaften durch Haier verbunden war, erläuterte der BGH und verwies auf das UK Urteil des UK Supreme Court vom 26. August 2020, [2020] UKSC.
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Quellen:
BGH Urteil FRAND II (KZR 35/17)
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