Nach allgemeiner Rechtsprechung des EuG ist der Anfangsbuchstabe besonders gewichtet in der Beurteilung der Verwechslungsgefahr von Wortmarken, umso mehr für kurze Wortmarken. Doch ein Blick in die Fallstudien zeigt: der EuG hat nicht immer nach der viel zitierten Prämisse geurteilt.
In den Jahren 2004 (Urteil Mundicor, T-183/02 und T-184/02) und 2005 (Urteil Flexi AIR, T-112/03) hatte das Europäische Gericht (EuG) eine ständige Rechtsprechung zu ähnlichen Wortmarken vorgegeben, die in der Folge fast stets zitiert wird: demnach zieht der Anfangsteil von Wortmarken die Aufmerksamkeit des Verbrauchers stärker auf sich als die folgenden Teile. Daher sind vor allem die Anfangsbuchstaben besonders gewichtet beim Vergleich der Ähnlichkeit und Verwechslungsgefahr von ähnlichen Wortmarken für ähnliche oder identische Waren und Dienstleistungen, umso mehr, wenn es sich um kurze Wortmarken handelt, wie der EuG in seiner Rechtsprechung betont.
In den beiden zitierten Fällen hatte der EuG geurteilt, dass sowohl im Markenstreit Mundicor gegen Mundicolor als auch im Markenstreit Flex gegen Flexi AIR Verwechslungsgefahr vorliege – eben weil Verbraucher vor allem auf den Anfang von Wortmarken achten.
Also keine Verwechslungsgefahr bei unterschiedlichem Anfangsbuchstaben?
Kann man also einfach mal den Anfang von bekannten Markennamen ändern und eine eigene Marke für ähnliche oder gar identische Waren oder Dienstleistungen anmelden? In der Praxis kommt so etwas immer wieder vor, und in der Folge dann oftmals eine Klage der Markenverletzung durch Verwechslungsgefahr. Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt: der EuG hat nicht immer nach viel zitierten Prämisse geurteilt. Der Anfangsbuchstabe ist nicht alles, auch nicht in sehr kurzen Wortmarken.
Kurze Wortmarken – Ähnlichkeit mit Verwechslungsgefahr
Fall Beispiel: PENTEO vs. XENTEO (T:2012:251, 2012)
Der EuG entschied 2012 im Fall PENTEO vs. XENTEO (T:2012:251), dass der Unterschied bei den Anfangsbuchstaben der Wortmarken nicht ausreichte, um die übrige Ähnlichkeit zu neutralisieren. Das Gericht erkannte Verwechslungsgefahr zwischen den Marken. Die Identität der Gruppe von fünf Buchstaben mit gleicher Aussprache der drei Silben der Zeichen führe zu einer gewissen Ähnlichkeit zwischen diesen Zeichen.
Fall Beispiel: ERGO vs. URGO
Schon ein Jahr vorher, 2011, hatte der EuG ebenfalls eine Verwechslungsgefahr festgestellt zwischen den Wortmarken ERGO und URGO (T:2011:392). Die Erwägung, dass dem Anfang eines Zeichens in dem von diesem hervorgerufenen Gesamteindruck besondere Bedeutung zukommt, könne nicht in allen Fällen gelten, erklärte das Gericht. Noch deutlicher nahm es Bezug auf die eigene Rechtsprechung gemäß Mundicor und Flexi AIR: diese Beurteilung, die speziell für die in diesen Urteilen in Rede stehenden Marken vorgenommen wurde, ist jedoch keine Bestätigung einer allgemeinen Regel, die im vorliegenden Fall angewandt werden könnte, urteilte der EuG. Rhythmus und Sprachmelodie der Marken ERGO und URGO stimmten überein.
Die beiden Wortmarken unterschieden sich zwar in ihrem Anfangsvokal. Doch liege ein hoher Grad an bildlicher Ähnlichkeit zwischen den Zeichen vor in dem von ihnen hervorgerufenen Gesamteindruck und auch ein sehr ähnliche klangliche Ähnlichkeit, da im Englischen ERGO wie der Buchstabe „e“ im Wort „ergonomic“ ausgesprochen werde und damit sehr ähnlich zum englisch gesprochenen „urgo“.
Fall Beispiel: Gitana vs. Kitana
Ähnliche Anfangsbuchstaben stellte der EuG auch im Vergleich der Wort- und Bildmarken Gitana und Kitana fest. „g“ und „k“ sind stimmlich ähnlich, zumindest in Deutschland, entschied das Gericht und erläuterte, es handele sich um sogenannte „velare Verschlusskonsonanten“. Die beiden Marken seien daher bildlich sehr ähnlich, es liege Verwechslungsgefahr vor, urteilte der EuG (T:2013:462, 2013). Auch dieTatsache, dass der Buchstabe „g“ größer gestaltet war in der Wort- und Bildmarke, neutralisierte nach Ansicht des EuG nicht die ansonsten identische bildliche und klangliche Ähnlichkeit der Marken.
Sehr kurze Wortmarken
Doch wie sieht die Rechtsprechung für ganz kurze Wortmarken aus? Auch in dieser Frage gibt es EU Urteile und gute Fallbeispiele.
Fall Beispiel: BASS vs.PASH
Der Fall BASS vs. PASH von 2003 (T:2003:264) entschied sich nicht über den Anfangsbuchstaben, denn der wurde sogar als recht ähnlich gesehen, da zumindest in Deutschland in manchen Regionen die Konsonanten „b“ und „p“ sehr ähnlich ausgesprochen werden, wie der EuG feststellte.
Allerdings sei auch in Deutschland durch das bekannte Wort „Cash“ auch sehr geläufig und üblich, PASH nicht wie „PASS“ zu sprechen, sondern wie „Päsch oder Pasch“, ergänzte das Gericht und urteilte daher, es liege keine Verwechslungsgefahr vor.
Fall Beispiel: ODA vs. RODA
Im Vergleich von so kurzen Wortmarken wie ODA und RODA sei der Unterschied von 3 zu 4 Buchstaben in der Gesamtlänge der Wortmarken nur von geringer Bedeutung, urteilte der EuG (T:2006:335, 2006). Die Ähnlichkeit der Zeichen ist stets nach dem Gesamteindruck zu beurteilen, der insbesondere durch die vollständige Aussprache einer Wortmarke hervorgerufen wird, betonte das Gericht. Im vorliegenden Fall sei auch zu berücksichtigen, dass der Unterschied in der Aussprache der beiden Wortmarken zumindest im Englischen nicht sehr hörbar sei, weil der Vokal „o“ die Eigenschaft hat, die Aussprache des ihm vorausgehenden Buchstabens „r“ weitgehend zu absorbieren. Daher bestätigte der EuG die Verwechslungsgefahr zwischen den kurzen Wortmarken.
Kurze Wortmarken – Ähnlichkeit ohne Verwechslungsgefahr
Fall Beispiel: LITU vs. PITU
Anders urteilte der EuG 2017 im Vergleich der Wortmarken LITU und PITU (T:2017:30). Bei den an den Anfang jedes der Zeichen gestellten Buchstaben, nämlich dem Buchstaben „P“ und dem Buchstaben „L“, handele es sich um deutlich unterschiedliche Buchstaben. Daher liege keine Verwechslungsgefahr der kurzen Wortmarken vor, entschied der EuG, trotz einer gewissen klanglichen Ähnlichkeit.
Bei den Wortmarken PITU und RITU sähe die Sache anders aus, ergänzte das Gericht, die Buchstaben „P“ und „R“ seien bildlich ähnlich. Tatsächlich war der Fall PITU vs. RITU vom Markenamt im UK als Ähnlichkeit beurteilt worden.
Fall Beispiel: Welly gegen Kelly’s
Und auch im Fall Welly vs. Kelly’s entschied das Gericht 2018 trotz identischem Rhythmus und einer identischen Intonation der gesprochenen Marken, dass keine Verwechslungsgefahr der beiden Marken vorliege (T:2018:861). Welly und Kelly’s sind beide Wort- und Bildmarken, bei denen sowohl die Gestaltung als auch die Wortelemente auf Ähnlichkeit geprüft werden. Zwar sah das Gericht bei beiden Streitmarken die bildliche Gestaltung der Marken nicht als unterscheidungskräftig, berücksichtigte aber dennoch im Vergleich der Wortelemente Welly und Kelly’s die unterschiedliche Schreibweise der Anfangsbuchstaben der Marken, die zu unterschiedlicher Form und Kontur führe.
Der EuG bezog sich zudem direkt auf sein Urteil LITU vs. PITU und betonte, dass auch eine ansonsten vorliegende Ähnlichkeit von Zeichen nicht den Unterschied zwischen diesen Zeichen ausgleichen könne, der sich aus ihren unterschiedlichen Anfangsbuchstaben ergibt. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn diese Buchstaben – wie vorliegend – visuell sehr unterschiedlich sind und die fraglichen Zeichen kurz sind.
Fazit
Die Beispiele zeigen, dass es sich keineswegs um eine festgelegte Rechtsprechung handelt, dass ein unterschiedlicher Anfangsbuchstabe im Vergleich von Wortmarken – erst recht in Bezug auf kurze Wortmarken – ausreicht als Argument gegen Verwechslungsgefahr. Dies sollte bedacht werden bei der Anmeldung einer Wortmarke (oder einer Wort- und Bildmarke) ebenso wie der Verteidigung oder Klage gegen eine Markenverletzung durch Verwechslungsgefahr.
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