Der EuGH urteilte heute über die technische Wirkung der Marke im Fall von ‚Form der Ware mit technischer Wirkung‘ in einer 3 D Unionsmarkenanmeldung, die als dekorativer Gegenstand angemeldet war. Die Wahrnehmung der Verkehrskreise ist zwar relevant für die Feststellung der Merkmale, nicht aber für das Eintragungshindernis, urteilte der EuGH.
In dem heute vor dem EuGH entschiedenen Fall ging es im ausgehenden Rechtsstreit um einen dreidimensionalen Körper, im Aussehen wie ein dekorativer Stein mit glatten und gebogenen Flächen, der 2015 von der Klägerin Gömböc Kft. (Ungarn) als 3 D Unionsmarke für die Waren Dekoratives und Spielzeug angemeldet worden war.
Der Sachverhalt
Die gewünschte Markenanmeldung wurde abgelehnt mit der Begründung, der dreidimensionale Körper kehre stets in seine Gleichgewichtslage zurück; die gesamte Form der Ware diene dem technischen Ziel, dass sich der Körper aus jeder Lage wieder aufrichte. Zudem verkörpere die dargestellte dreidimensionale Form ein ansprechendes und auffälliges Design und stelle ein zentrales Element für die Vermarktung der betreffenden Waren dar.
Diese Funktion der Form der Ware wurde durch die Website der Markenanmelderin und durch umfangreiche Presseveröffentlichungen den Verbrauchern bekannt gemacht.
Gömböc Kft. beantragte eine Überprüfung der Entscheidung. Fraglich sei insbesondere, ob eine solche Prüfung nur auf der Grundlage der grafischen Darstellung in der Anmeldung des Zeichens zu beruhen habe, denn die beanstandete Form der Ware bestehe mit technischer Wirkung könne nicht allein anhand der grafischen Darstellung der Form der Ware in der Anmeldung festgestellt werden, sondern erfordere die Kenntnis zusätzlicher Informationen über die Ware selbst.
Das Ungarische Gericht bat daher den Europäischen Gerichtshof um Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii und iii der Richtlinie 2008/95/EG und die Überprüfung, ob ein Zeichen ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Die Frage war, ob für diese Überprüfung lediglich die grafische Darstellung dieses Zeichens zu berücksichtigen ist oder auch andere Informationen wie die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise.
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden ungarische Gericht Kúria anhängigen Rechtsstreit.
Wesentliche Merkmale entsprechen technischer Funktion: Eintragungshindernis
Nach der allgemeinen Rechtsprechung ist die Eintragung eines Zeichens als Marke abzulehnen, wenn die ‚wesentlichen Merkmale‘ seiner Form einer technischen Funktion entsprechen. Die entscheidende Behörde muss dafür die ‚wesentlichen Merkmale‘ des Zeichens ordnungsgemäß ermitteln und auch bestimmen, ob diese Merkmale einer technischen Funktion der Ware entsprechen, erläuterte der EuGH. Dabei könne die zuständige Behörde sich entweder unmittelbar auf den hervorgerufenen Gesamteindruck stützen oder zunächst alle Bestandteile des Zeichens nacheinander prüfen, führte das Gericht aus. Die Ermittlung der technischen Funktionen der betreffenden Ware durch die zuständige Behörde müsse dabei auf objektiven und verlässlichen Informationen beruhen. Dazu zählen zum einen zuvor gewährte Schutzrechte – im vorliegenden Fall war das Zeichen ein geschütztes Muster – ebenso wie analoge und digitale Veröffentlichungen, die deren technische Funktionen beschreiben.
Der EuGH führte aus, dass zwar die Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines solchen Zeichens grundsätzlich mit der Prüfung der grafischen Darstellung des Zeichens beginnen muss. Doch könne die zuständige Behörde auch auf andere zweckmäßige Informationen Bezug nehmen, die es ermöglichen, diese Merkmale zutreffend zu bestimmen.
Wahrnehmung der Verkehrskreise: relevant für die Merkmale, nicht für Eintragungshindernis
In diesem Zusammenhang kann die vermutete Wahrnehmung des Zeichens durch die maßgeblichen Verkehrskreise ein nützliches Beurteilungskriterium sein, sie ist jedoch kein entscheidender Faktor in der Anwendung des Eintragungshindernisses in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Richtlinie 2008/95, entschied der EuGH. Mehr noch, die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise sei in der Anwendung dieses Eintragungshindernisses auszuschließen. Jedoch sei dieses Eintragungshindernis anwendbar, wenn aus objektiven und verlässlichen Gesichtspunkten hervorgeht, dass die Entscheidung der Verbraucher, die betreffende Ware zu kaufen, in sehr großem Maß durch ein festgestelltes Merkmal bestimmt wird.
Außerdem sei dieses Eintragungshindernis sogar dann anzuwenden, wenn die grafische Darstellung der Form der Ware nur die Wahrnehmung eines Teils ihrer Form ermöglicht, ergänzte der EuGH – sofern der sichtbare Teil der Form notwendig ist, um die technische Wirkung der Ware zu erreichen, auch wenn er für sich genommen für die Erreichung dieser Wirkung nicht ausreicht. Somit sei dieses Eintragungshindernis auf ein Zeichen anwendbar, das aus der Form der betreffenden Ware besteht, die nicht alle für die Erreichung der beabsichtigten technischen Wirkung erforderlichen wesentlichen Merkmale zeigt, sofern die grafische Darstellung der Form der Ware zumindest eines der für die Erreichung dieser technischen Wirkung erforderlichen wesentlichen Merkmale erkennen lässt.
Bestehender Musterschutz und dekorativer Gegenstand
In einem weiteren Aspekt war auch die Frage zu klären, ob dieses Eintragungshindernis – Zeichen ausschließlich aus der Form der Ware – systematisch auch dann anzuwenden ist, wenn das Erscheinungsbild dieser Ware musterrechtlich geschützt ist oder wenn das Zeichen ausschließlich aus der Form eines dekorativen Gegenstands besteht. Das Gericht verneinte diese Vorlagefrage, und beantwortete die Aspekte Musterschutz und dekorativer Gegenstand voneinander getrennt.
Geschütztes Muster kann für Markeneintragung abgelehnt werden
Grundsätzlich ist ein Nebeneinander mehrerer Schutzrechte möglich, dies bestätigte auch der EuGH und wies gleichzeitig darauf hin, dass die unionsrechtlichen Regeln für die Eintragung von Mustern und die für die Eintragung von Marken geltenden Regeln voneinander unabhängig sind, es liege daher keinerlei Hierarchie zwischen ihnen vor. Und: ein Muster kann wegen eines Eintragungshindernis im Markenrecht als Markeneintragung abgelehnt werden.
Denn ein Muster ist durch ein Musterrecht geschützt, wenn es neu ist und Eigenart hat, gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/71. Das aber ist etwas ganz anderes als die Prüfung einer Markenanmeldung, ob ein Zeichen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 ausschließlich aus der Form besteht, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht.
Dekorativer Gegenstand – wesentlicher Wert der Ware?
Im vorliegenden Fall hatte das ungarische Amt festgestellt, dass die Form ein ansprechendes und auffälliges Design verkörpere. Und tatsächlich ziele die Formulierung ‚Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht‘ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 insbesondere auf Zeichen mit künstlerischem oder dekorativem Wert, erläuterte heute der EuGH.
Dies sei aber nicht erreicht durch eine Anmeldung von Zeichen, die aus der Form einer Ware bestehen, wie im vorliegenden Fall beispielsweise unter „Dekorativer Gegenstände“ bzw. „Dekorativer Gegenstände aus Glas und Keramik“ der Nizza Klassen 14 und 21. Vielmehr müsse das zuständige Amt prüfen, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für die Anwendung des Eintragungshindernisses in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 erfüllt sind. Entsprechend müsse das Amt klären, ob das angemeldete Zeichen ausschließlich aus der Form besteht, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht, entschied der EuGH.
Mehr Klarheit in Bezug auf Überprüfung der technischen Wirkung einer Marke
Das heutige Urteil gibt einmal mehr Klarheit in der Auslegung der von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii und iii der Richtlinie 2008/95/EG, insbesondere in Bezug auf die Überprüfung, ob das Zeichen aus der Form der Ware bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei.
Erst kürzlich wurden vor dem EuG zwei weitere wichtige Urteile über 3 D Marken mit technischer Wirkung getroffen. In einem Fall um konzentrische Kreise urteilte der EuG, dass erworbene Unterscheidungskraft einer Marke durch Benutzung keine technische Wirkung aus der Form der Ware ausgleichen kann. Und dass es alternative Formen gibt, mit denen die gleiche technische Wirkung erzielt werden kann, verhindert keinen Markenausschluss wegen technischer Wirkung aus der Form der Ware, urteilte der EuG im Fall Tecnodidattica.
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Quellen:
Urteil des EuGH ‚Form der Ware mit technischer Wirkung‘, EU:C:2020:296
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