Der EuGH nennt in seinem aktuellen Urteil Beurteilungskriterien für den Begriff ‚Erzeugnis‘, das durch ein Grundpatent geschützt ist – auch wenn es nicht ausdrücklich in den Ansprüchen des Grundpatents erwähnt ist. Dies ist daher auch wichtige Entscheidung in Bezug auf SPC.
Der Schutzbereich für ein europäisches Patent wird nach Art. 69 EPÜ durch die Ansprüche eines solchen Patents bestimmt. Die Vorlagefrage, die von dem höchsten Europäischen Gericht (EuGH) in dem aktuellen Urteil EU:C:2020:327 entschieden wurde, betrifft die Auslegung nach Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009.
Vorabentscheidungsersuchen des BPatG:
Ist ein ‚Erzeugnis‘ durch ein in Kraft befindliches Grundpatent im Sinne dieser Bestimmung geschützt, wenn es einer in einem der Ansprüche des Grundpatents verwendeten allgemeinen funktionellen Definition entspricht und notwendigerweise zu der durch dieses Patent geschützten Erfindung gehört, aber nicht individualisiert als konkrete Ausführungsform aus der Lehre des Patents zu entnehmen ist?
Das Ausgangsverfahren
Im Mittelpunkt dieses Verfahrens steht das europäische Patent (DE) EP 1 084 705, 1997 angemeldet von der Royalty Pharma. Dies ist das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Grundpatent auf ein Verfahren zur Senkung des Blutzuckerspiegels durch die Verabreichung von DP-IV‑Inhibitoren wie z. B. Sitagliptin. Dieses Erzeugnis wurde von einer Lizenznehmerin des Grundpatents der Royalty Pharma erst nach der Anmeldung des Grundpatents entwickelt. Die Lizenznehmerin erhielt ein neues Patent für Sitagliptin, das als Grundpatent für die Erteilung eines SPC diente.
Zum Rechtsstreit kam es, als 2014 Royalty Pharma auf Grundlage seines Grundpatents aus dem Jahr 1997 ein SPC (dt: ESZ) für Sitagliptin in Deutschland beantragte. Das DPMA lehnte die gewünschte SPC Erteilung ab und war der Auffassung, dass Sitagliptin zwar der in den Ansprüchen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Grundpatents angegebenen funktionellen Definition des DP-IV‑Inhibitors entspreche, es in diesem Patent aber an jeglicher spezifischer Offenbarung dieses Erzeugnisses fehle, so dass der konkrete Wirkstoff für den Fachmann daraus nicht hervorgehe. Der Schutzgegenstand des Patents entspreche somit nicht dem später entwickelten und unter dem Namen Januvia vertriebenen Arzneimittel.
Royalty Pharma legte Beschwerde vor dem deutschen Patentgericht ein. Für die Inanspruchnahme des von einem in Kraft befindlichen Grundpatent verliehenen Schutzes sei es nicht erforderlich, dass dieses die chemische Bezeichnung oder die Struktur des geschützten Wirkstoffs angebe, argumentiere Royalty Pharma. Vielmehr reiche eine Darstellung der funktionellen Merkmale des Wirkstoffs hierfür aus. Und Sitagliptin entspreche der funktionellen Definition der entsprechenden Wirkstoffklasse und gehöre daher zum „Kern der patentgemäßen Erfindung“.
Das BPatG unterstrich grundlegende Unterschiede, die bei der Auslegung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 entwickelten Kriterien zwischen den EU Mitgliedstaaten bestünden. Es verwies u. a. auf die vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (patents court) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery [Patentgericht], Vereinigtes Königreich), hierzu vertretene Auslegung, nach der der Begriff „Kern der erfinderischen Tätigkeit“ auf Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 Anwendung finde.
Das BPatG stellte daher dem EuGH die Vorlagefrage und verwies auf die Rechtsprechung durch den EuGH, das der Schutzgegenstand des Grundpatents zu betrachten sei, der in Auslegung der Ansprüche dieses Patents zu ermitteln sei.
‚Erzeugnis‘ muss der funktionellen Definition entsprechen
Der EuGH bestätigte diese vom BPatG genannte Rechtsprechung und folgt mit seinem jetzigen Urteil zu den Beurteilungskriterien für den Begriff ‚Erzeugnis‘ der bisherigen die Rechtsprechung in Bezug auf den Begriff ‚Wirkstoff‘. Ein Wirkstoff, der einer in den Ansprüchen eines erteilten europäischen Grundpatents enthaltenen funktionellen Definition entspricht, kann als durch dieses Patent geschützt angesehen werden –wenn sich die Ansprüche auf diesen Wirkstoff beziehen, hatte der EuGH in dem viel beachteten Urteil Teva UK (EU:C:2018:585) geurteilt.
Bezogen auf den Begriff ‚Erzeugnis‘ müssen daher zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Erzeugnis durch ein Grundpatent geschützt ist:
- Zum einen muss das ‚Erzeugnis‘ für den Fachmann im Licht der Beschreibung und der Zeichnungen des Grundpatents notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst sein.
- Zum anderen muss der Fachmann in der Lage sein, das ‚Erzeugnis‘ im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben nach dem Stand der Technik am Anmelde- oder am Prioritätstag des Patents in spezifischer Weise zu identifizieren.
Sitagliptin im Ausgangsverfahren werde zwar nicht ausdrücklich in den Ansprüchen des Grundpatents erwähnt, aber entspreche der in einem der Patentansprüche verwendeten funktionellen Definition. Daher erfülle es die erste Bedingung, urteilte der EuGH.
Nicht so klar sei aber die Erfüllung der zweiten Bedingung, ergänzte das Gericht.
Ist Sitagliptin für den Fachmann identifizierbar, obwohl es in der Patentschrift des Grundpatents nicht als konkrete Ausführungsform individualisiert ist? Dazu müsse das vorlegende nationale Gericht insbesondere prüfen, ob der Gegenstand des betreffenden SPC sich innerhalb der Grenzen dessen bewegt, was ein Fachmann ableiten kann, entschied der EuGH. Der Fachmann müsse in der Lage sein, unmittelbar und zweifelsfrei aus der Patentschrift – wie eingereicht – abzuleiten, dass das ‚Erzeugnis‘, das Gegenstand des SPC ist, unter den Schutzgegenstand dieses Patents fällt.
Daraus ergebe sich im Übrigen, dass die Erteilung eines SPC grundsätzlich auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn das Erzeugnis, das Gegenstand des SPC ist, nicht individualisiert als konkrete Ausführungsform aus der Lehre des Grundpatents zu entnehmen ist, ergänzte das Gericht.
‚Erzeugnis‘ nach dem Anmelde- oder am Prioritätstag entwickelt? Kein Schutz
Ein Erzeugnis, dass erst nach dem Anmelde- oder am Prioritätstag des Grundpatents entwickelt wurde, könne daher nicht als durch das Grundpatent geschützt angesehen werden, führte der EuGH aus. Denn die zweite Bedingung sei ja nicht erfüllbar, es gab am Anmelde- oder am Prioritätstag noch gar kein Erzeugnis, dass identifizierbar war. Gleiches gelte auch für ein Erzeugnis, das nach der Anmeldung oder dem Prioritätstag des Grundpatents nach einer eigenständigen erfinderischen Tätigkeit entwickelt wurde.
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Quellen:
Urteil des EuGH zum Begriff ‚Erzeugnis‘, EU:C:2020:327
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