Arzneimittelhersteller können nur mit gut begründetem und belegtem Missbrauchsverdacht verhindern, dass Informationen aus Zulassungsanträgen für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels anderen Wettbewerbern zugänglich gemacht werden. Die Dokumente sind nicht zwingend vertraulich, urteilte der EuGH.
Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels
Die Zulassung für neue Medikamente und die entsprechende Genehmigung für das Inverkehrbringen liegt in der Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Die Arzneimittelhersteller müssen mit dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen detaillierte Berichte über das Medikament einreichen.
Um die Vertraulichkeit eines solchen Berichtes und den Zugang zu diesem Bericht auch für Mitbewerber drehte sich die Verhandlung zwischen der Rechtmittelführerin PTC Therapeutics International Ltd (Irland) und der EMA, die gestern vom Europäischen Gericht (EuGH) entschieden wurde.
Dokumente vertraulich oder Zugangsrecht für andere?
Im vorliegenden Fall um das Inverkehrbringen des Arzneimittels Translarna war ein entsprechender Antrag zunächst von der EMA abgelehnt worden. Im Folgenden beantragte ein anderes pharmazeutisches Unternehmen Zugang zum dem Medikamentenbericht. Die EMA informierte PTC Therapeutics, daraufhin beantragte das Unternehmen bei der EMA, den streitigen Bericht in seiner Gesamtheit als vertraulich zu behandeln. Dies wurde durch Beschluss abgelehnt, und die EMA gewährte Zugang zum gesamten streitigen Bericht, vorbehaltlich gewisser Schwärzungen.
Das Europäische Gericht hatte daher zu entscheiden, ob die in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen vom Zugangsrecht für diesen Fall hätte gelten müssen. Gleichzeitig machte der EuGH deutlich, inwieweit die Allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit gilt.
Die EMA vertrat die Auffassung, dass Ausnahmen vom Zugangsrecht nur für diesen Bericht in seiner Gesamtheit hätte gelten müssen, wenn nachgewiesen worden wäre, dass jeder Bestandteil des streitigen Berichts eine vertrauliche geschäftliche Information darstelle. Dies war jedoch nicht erfolgt.
Zurückweisung nur bei begründetem Missbrauchsverdacht
Die EMA war nicht verpflichtet, sich auf eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit zu stützen, stellte das Gericht klar, sondern durfte eine konkrete und individuelle Prüfung des betreffenden Dokuments vornehmen, um festzustellen, ob und inwieweit es zugänglich gemacht werden durfte. Auch habe die EMA eine konkrete und individuelle Prüfung des gesamten streitigen Berichts vorgenommen, denn sie veranlasste die Unkenntlichmachung und Schwärzung bestimmte Textbereiche, erläuterte das Gericht.
Zudem sei hervorzuheben, dass die jede Einrichtung wie die EMA, die einen Antrag auf Zugang zu einem Dokument zurückweist – auf der Grundlage einer der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 – eine solche Zurückweisung begründen muss. Es muss darin erläutert werden, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch diese Ausnahme geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte. Dies ist auch kein Ausüben der EMA im eigenen Ermessen, wie PTC Therapeutics vor Gericht argumentierte, sondern eine konkrete und individuelle Prüfung der strittigen Dokumente.
Zwar könne die missbräuchliche Verwendung von Daten, die durch Zugang zu einem Dokument erlangt wurden, die geschäftlichen Interessen eines Unternehmens unter bestimmten Umständen beeinträchtigen, räumte der EuGH ein. Jedoch könne ein nicht belegter Hinweis auf ein allgemeines Risiko der missbräuchlichen Verwendung nicht zu einer Zurückweisung des Zugangs von Dokumenten führen.
Das Vorbringen der Rechtmittelführerin PTC Therapeutics wurde daher vollständig vom EuGH zurückgewiesen. Arzneimittelhersteller können nur mit gut begründetem und belegtem Missbrauchsverdacht verhindern, dass Informationen aus Zulassungsanträgen für das Inverkehrbringen von Medikamenten anderen Wettbewerbern zugänglich gemacht werden.
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Quellen:
Urteil des EuGH „Vertraulichkeit für Dokumente zur Arzneizulassung“, EU:C:2020:23
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