Medizinprodukte oder Arzneimittel – das ist oftmals ein Streitverfahren auch um Wettbewerbsrechte. Der BGH hat in diesem Kontext 2018 als Leitsatz festgelegt, dass Werbung erlaubt ist für gegenständliche und auch für stoffliche Medizinprodukte – auch solche, die bioresorbierbar sind.
Die Frage, ob es sich bei einem Produkt um Medizinprodukte oder Arzneimittel handelt, ist häufiger gar nicht so leicht zu beantworten (lesen Sie dazu gerne auch: Mucosolvan – Tatbestandswirkung eines Bescheides des BfArM). Auch rechtlich gibt es Spielraum für die Entscheidung Medizinprodukte oder Arzneimittel, denn diese Einordnung wird zwar bestimmt durch die EU Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte sowie die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. Aber die Entscheidung gerade über die Einordnung insbesondere sogenannter Funktionsarzneimittel ist eine Einzelfallentscheidung der nationalen Gerichte – auch gemäß EuGH (Oktober 2013 – C-109/12).
Für Hersteller im Pharmabereich ist diese Einordnung gerade in Bezug auf den Vertrieb absolut relevant, denn für Medizinprodukte stellt § 11 Abs. 1 Satz 2 HWG eine sogenannte lex specialis dar. Das Werbeverbot, das klassisch für Arzneimittel gilt, wird auf Medizinprodukte nicht angewendet (nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 HWG). Das beruht auf der Annahme, dass bei Medizinprodukten ein geringeres Gefährdungspotential vorliegt als bei Arzneimitteln.
Außerdem müssen auch Laien Medizinprodukte selbstständig anwenden und gebrauchen können, ohne ärztliche Anleitung. Die dafür notwendige Sachinformation soll daher auch dem Hersteller des Medizinprodukts möglich sein. Daher ist eine Anwendung des Werbeverbots auf Medizinprodukte durch § 11 Abs. 1 Satz 2 HWG explizit ausgeschlossen, erklärte der BGH, u. a. in seiner Leitsatzentscheidung ‚Gefäßgerüst‘ von 2018.
BGH: gegenständliche und stoffliche Medizinprodukte
Dies präzisierte der BGH in seinem Leitsatz. Werbung ist demnach erlaubt für gegenständliche und auch für stoffliche Medizinprodukte. Und das gilt auch für das Medizinprodukt Gefäßgerüst, wenn es ein Arzneimittel freisetzt – und auch wenn es nach einiger Zeit von selbst zerfällt im Körper, also bioresorbierbar ist. Ein Gefäßgerüst (Stent), erklärte der BGH als Leitsatz, dessen Hauptwirkung auf physikalischem Wege erreicht wird, sei auch dann kein Arzneimittel, sondern ein Medizinprodukt, wenn zur Vorbeugung eines übermäßigen Gewebewachstums ein Wirkstoff ausgebracht wird und das Gefäßgerüst bioresorbierbar ist.
Denn weder die Wirkstofffreisetzung noch die Bioresorption führe das Medizinprodukt Gefäßgerüst aus dem Anwendungsbereich des § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG, erläuterte der BGH. Mit der Wirkstoffbeschichtung werde lediglich die Wirkungsweise der Vorrichtung durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG unterstützt. Die Beschichtung mit dem Wirkstoff stelle nicht die primäre Zweckbestimmung dar, erklärte das Gericht.
Die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Gefäßgerüsts bestand nach Ansicht des BGH vielmehr darin, dass es als Implantat in der Gefäßwand an der verengten Stelle der Arterie den Blutdurchfluss verbessert. Und das sei eine physikalische Funktion, die weder metabolisch noch pharmakologisch oder immunologisch erreicht werden könne.
Medizinprodukte mit Wirkstoff Freisetzung
Schließlich verwies der BGH auch noch auf § 3 Nr. 2 MPG. Demnach können Medizinprodukte auch Produkte sein, die einen Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen enthalten oder auf die solche aufgetragen sind, die für sich allein genommen Arzneimittel wären (im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG). Aber auch in Ergänzung zu den Funktionen des Produkts können solche Stoffe eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten.
Allerdings muss in diesem Zusammenhang differenziert werden. Denn bereits 2009 hatte der BGH in seiner Entscheidung CE Zertifizierung (I ZR 193/06) entschieden, dass Gegenstände, obwohl sie die begrifflichen Voraussetzungen von Medizinprodukten erfüllen, dann Arzneimittel darstellen, wenn sie dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im Körper dessen Beschaffenheit, Zustand oder Funktionen oder seelische Zustände erkennen zu lassen (§ 2 Abs. 3 Nr. 7 i.V. mit Abs. 1 Nr. 2 AMG; § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG).
In seiner Entscheidung ‚Gefäßgerüst‘ von 2018 betonte der BGH jedenfalls, dass die Bioresorption die Einordnung als Medizinprodukt jedenfalls nicht verhindert. Dieser Vorgang entspreche nicht der vorrangigen Zweckbestimmung der Einbringung in die Arterie, sondern stelle eine – wenn auch erwünschte – Folge des Zeitablaufs dar.
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Quellen:
BGH, ‚Gefäßgerüst‘, I ZR 82/17
Bild:
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