Ist die Arznei „Mucosolvan PHYTO Complete“ als Arzneimittel oder Medizinprodukt einzustufen – wenn doch der „Mucosolvan“ Hustensaft unstreitig ein Arzneimittel ist? Das OLG Frankfurt entschied über die Tatbestandswirkung eines Bescheides des BfArM.
Mucosolvan PHYTO Complete: Arzneimittel oder Medizinprodukt?
Die Beklagte in diesem Fall (OLG Frankfurt, 6 U 126/20) ist ein pharmazeutisches Unternehmen, die das streitgegenständliche Produkt als Medizinprodukt vertreibt. Es handelt sich dabei um die Arznei „Mucosolvan PHYTO Complete“.
Die Klägerin wiederum ist ein Verein gegen unlauteren Wettbewerb. Sie machte geltend, das Produkt sei als Präsentationsarzneimittel zu klassifizieren und verwies auf den der „Mucosolvan“ Hustensaft der Beklagten, der unstreitig ein Arzneimittel ist und den Verbrauchern auch bekannt sei. Die streitgegenständliche Arznei „Mucosolvan PHYTO Complete“ enthalte als anerkannte Wirkstoffe mit pharmakologischer als auch immunologischer Wirkung. Durch die Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3 AMG sei von einem Funktionsarzneimittel auszugehen. Darüber hinaus liege eine Irreführung nach 5 UWG vor.
Vor allem aber beriefen sich beide Parteien auf einen Bescheid des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), mit dem das BfArM im September 2019 feststellte, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Präparat nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele.
Daraufhin erhob die Klägerin einen Unterlassungsanspruch des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Produkts als Medizinprodukt.
Klage vor dem Frankfurter Gericht
Doch vergeblich. Das Landgericht Frankfurt hatte die begehrte Unterlassung durch Urteil vom 1.7.2020 abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte könne sich auf die Tatbestandswirkung des Bescheides des BfArM von 2019 berufen, wonach das streitgegenständliche Produkt kein zulassungspflichtiges Arzneimittel sei.
Hiergegen wand sich die Klägerin mit der Berufung vor dem OLG Frankfurt und machte geltend, dieser Verwaltungsakt sei nichtig. Auch das Bundesinstitut gehe in seinem Bescheid davon aus, dass es sich um ein klassisches Präsentationsarzneimittel handele, habe dies jedoch rechtlich falsch bewertet. Die Tatbestandswirkung sei nicht eingetreten, da der Verwaltungsakt nach § 40 Abs. 1 VwVfG wegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers nichtig sei.
Kein Unterlasssungsanspruch aus AMG und UWG
Aber das OLG Frankfurt wies die Klage zurück. Ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, 3a UWG i.V.m. § 21 Abs. 1 AMG stehe der Klägerin nicht zu, urteilte das Gericht, da das streitgegenständliche Produkt „Mucosolvan Phyto Complete“ ein Medizinprodukt nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und kein Arzneimittel ist, urteilte das OLG Frankfurt.
Das Gericht betonte, es sei wichtig, dass ein einheitlicher Vollzug des AMG bei den einzelnen Landesvollzugsbehörden in diesen Grundsatzfragen gewährleistet sei, denn ohne eine verbindliche Klärung des Produktstatus würden diese sich der Gefahr der Begehung einer Straftat (§ 96 Nr. 5 AMG) aussetzen (Kügel/Müller/Hofmann AMG, § 21 Rn 96, 97).
Die Bundesoberbehörden haben damit mittelbar auch eine Entscheidungskompetenz darüber, ob es sich bei dem Produkt um ein (zulassungspflichtiges) Arzneimittel handelt, oder ob ein Nicht-Arzneimittel, z. B. ein Lebensmittel, Kosmetikum oder Medizinprodukt vorliegt.
Kein zulassungspflichtiges Arzneimittel => Medizinprodukt
Die Bundesbehörde aber habe mit einem Verwaltungsakt (Bescheid des BfArM von 2019) das Marktverhalten der Beklagten ausdrücklich erlaubt: Die Beklagte verwendet – jedenfalls seit Rechtskraft des Bescheides des BfArM – eine Bezeichnung, die ihr jedenfalls insoweit erlaubt worden ist, als sie von Arzneimitteln abgegrenzt ist. Der Beklagten ist die Bezeichnung des Produkts als Medizinprodukts rechtlich erlaubt, entschied das Oberlandesgericht.
Denn die Frage, ob der Verwaltungsakt inhaltlich rechtmäßig ergangen ist, ist für die Tatbestandswirkung regelmäßig irrelevant, erklärte das OLG Frankfurt.
Ist der Verwaltungsakt nicht nichtig, sondern nur fehlerhaft, so ist das Verhalten als rechtmäßig anzusehen (Tatbestandswirkung), erläuterte das OLG Frankfurt – solange der Verwaltungsakt nicht in dem dafür vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Verfahren von der Behörde oder dem Verwaltungsgericht aufgehoben worden ist (siehe auch BGH WRP 2014, 429 – Atemtest II; BGH WRP 2016, 44 Rn 19 – Äquipotenzangabe in Fachinformation).
Daher wurde die Klage vollständig zurückgewiesen. Es sei zudem schon fraglich, ob das Verhalten der Beklagten überhaupt nach § 96 AMG tatbestandsmäßig ist, nachdem das BfArM insoweit rechtskräftig festgestellt hatte, dass kein Arzneimittel vorliegt.
Auf jeden Fall aber liege keine Rechtswidrigkeit des beklagten Pharmaunternehmens vor, entschied das OLG Frankfurt, und wies auch den Verwurf der Irreführung zurück (Irreführung nach §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, 3, 5 UWG). Das Gericht verwies ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BGH, demnach eine Irreführung ausscheidet, wenn gesetzliche Kennzeichnungsvorschriften eine bestimmte Bezeichnung vorschreiben und das so gekennzeichnete Produkt den gesetzlichen Kriterien entspricht (GRUR 2020, 432 – Kulturchampignons II). Denn in einem solchen Fall genießt das Kennzeichnungsrecht Normvorrang, daher sei eine unlautere Irreführung auch dann nicht anzunehmen, wenn relevante Teile des Verkehrs die verwendete Bezeichnung falsch verstehen, schloss das OLG Frankfurt.
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