Die Analyse der Technischen Funktion von Merkmalen stand mit Mittelpunkt eines Nichtigkeitsverfahrens um ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster aus Industrie und Technik vor dem EuG. Klägerin wie auch der EuG überprüften die Analyse gemäß DOCERAM Urteil.
In der Sache ging es um ein Nichtigkeitsverfahren um ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für das Erzeugnis „Fluidverteilungsanlagen“ der Tinnus Enterprises LLC, das 2015 beim Amt für geistiges Eigentum der Europäischen Union (EUIPO) angemeldet und eingetragen wurde.
Gegen diese Eintragung stellten zwei Parteien (Mystic Products Import & Export, SL und Koopman International BV) einen Antrag auf Nichtigkeit. Sie machten geltend, dass alle Merkmale des streitigen Geschmacksmusters ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingt seien. In so einem Fall ist ein Geschmacksmuster nicht schutzfähig (inzwischen veralteter Begriff; seit 2014 wird ein Geschmacksmuster als „Eingetragenes Design“ bezeichnet).
Die beiden Anträge auf Nichtigkeit hatten vor der Nichtigkeitsabteilung Erfolg, und auch die Beschwerdekammer bestätigte diese Entscheidung: das angefochtene Geschmacksmuster beruhe auf Merkmalen eines Erzeugnisses, nämlich einer Flüssigkeitsverteilungsanlage, die ausschließlich durch die technische Funktion dieses Erzeugnisses bedingt seien.
Diese Entscheidung wurde angefochten von der Inhaberin des angegriffenen Geschmacksmusters und so wurde dieser Fall jetzt vor dem Europäischen Gericht (EuG) verhandelt. Die Klägerin berief sich auf die Entscheidung DOCERAM und forderte einen systematischen und strukturierten Ansatz der Beurteilung mit einer Analyse der technischen Funktion eines Erzeugnisses. Ein solcher Ansatz erfordere
- die Bestimmung der technischen Funktion,
- die Ermittlung der Erscheinungsmerkmale
- und vor allem die Feststellung, ob jedes dieser Merkmale durch die technische Funktion bedingt sei.
Diese strukturierte Prüfung und Analyse der technischen Funktion aber habe die Beschwerdekammer nicht erfüllt. Tatsächlich habe die Beschwerdekammer die technischen Merkmale des Produkts analysiert (und nicht die Merkmale des Erscheinungsbilds) sowie die Funktionen dieser technischen Merkmale analysiert (nicht aber die technische Funktion des Produkts).
EuG: Merkmale können mehrere technische Wirkungen erzeugen
Doch der EuG wies diesen Einwand der Klägerin zurück. Die Tatsache, dass die Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses mit seinen einzelnen Bestandteilen übereinstimmen, bedeute nicht, dass die Beschwerdekammer diese Merkmale fehlerhaft identifiziert hat. Auch müssen sich Erscheinungsmerkmale keineswegs auf eine einzige technische Wirkung beziehen. Merkmale können mehrere technische Wirkungen erzeugen, erläuterte der EuG, solange sie zur Erreichung der mit dem Erzeugnis beabsichtigten technischen Wirkung beitragen.
Entscheidend ist laut Gericht die Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen der technischen Funktion jedes dieser Merkmale und der technischen Funktion des betreffenden Erzeugnisses.
Wenn also ein Merkmal zur technischen Funktion eines Produkts beiträgt, liegt ein Kausalzusammenhang vor, der die Feststellung erlaubt, dieses Merkmal sei durch die technische Funktion bedingt – es sei denn, es ist nachweisbar, dass dieses Merkmal vor allem für visuelle Zwecke und Aspekte notwendig ist. Das aber ist vorliegend nicht der Fall.
Analyse der Technischen Funktion ergab nicht explizit „ausschließlich“
Der Klägerin wandte ein, dass die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses „ausschließlich durch seine technische Funktion bestimmt“ sein müssten gemäß der EU Verordnung 6/2002, die Beschwerdekammer diese ausschließliche Funktion aber eben nicht festgestellt habe in seiner Entscheidung zum angefochtenen Geschmacksmuster.
Die von der Klägerin beanstandete Terminologie sei tatsächlich nicht immer übereinstimmend mit der genannten EU Verordnung, räumte der EuG ein, doch das sei keine fehlerhafte Anwendung der Verordnung. Vielmehr komme die Beschwerdekammer genau mit Bezug zu dieser Verordnung eindeutig zu dem Ergebnis, dass alle Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses nur seine technische Funktion erfüllen.
Angefochtenes Geschmacksmuster Gegenstand einer Sammelanmeldung
Das angefochtene Geschmacksmuster war Teil einer sogenannten Sammelanmeldung; die Klägerin ist dadurch Inhaberin mehrerer visuell unterschiedlicher Gemeinschaftsgeschmacksmuster für die Ware „Fluidverteilungsanlagen“. Zudem hat die Klägerin eine Patentanmeldung für dasselbe Erzeugnis eingereicht, auf das das angefochtene Geschmacksmuster anwendbar ist.
Klägerin Tinnus Enterprises erhob daher in einer weiteren Rüge den Vorwurf, die Nichtigkeitsabteilung habe nur aufgrund der visuell unterschiedlichen Gemeinschaftsgeschmacksmuster eine technische Funktion für alle Erscheinungsmerkmale festgestellt. Und die Beschwerdekammer habe die erforderliche Analyse der Technischen Funktion abgekürzt und aufgrund der Patentanmeldung auf technische Funktion aller Merkmale entschieden. Dies sei eine fehlerhafte Überprüfung.
Der EuG wies diese Rüge zurück. Die Beschwerdekammer – und auch die Nichtigkeitsabteilung – habe sich nicht nur auf die Patentanmeldung gestützt, sondern auch auf andere „relevante objektive Umstände„, die auch im viel beachteten Urteil DOCERAM des EuGH genannt sind. Dazu gehören die Art und Verwendung des betreffenden Erzeugnisses, die Merkmale und ihre Funktion und – laut DOCERAM Urteil – eben auch die anderen Geschmacksmuster. Und in Bezug auf die Patentanmeldung der Klägerin sei insbesondere festgestellt worden, dass das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, bei dem das angefochtene Geschmacksmuster angemeldet wurde, im Vergleich zu der in der Patentanmeldung dargestellten strengen Ausführungsform quasi nicht verändert wurde. Die Beschwerdekammer nutzte daher diese Patentanmeldung für die – erforderliche – Analyse des Erzeugnisses und der Analyse der Technischen Funktion der Merkmale.
Die Klage wurde daher vollständig abgewiesen.
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Quellen:
Urteil des EuG zur Analyse der Technischen Funktion von Merkmalen, EU:T:2020:543
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