Sichtbarkeit ist relevant im Designschutz. Geschützt wird genau das, was bei der Anmeldung dargestellt wird. Und was gilt bei der Unterseite eines Sattels? Dies regelt für Elemente in einem komplexen Erzeugnis der § 4 DesignG gesondert– gemäß EU Recht, das aber der Auslegung bedarf.
Grundsätzlich muss ein Design (als europäisches Design „Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ bezeichnet) in seiner Anmeldung in einer Qualität dargestellt sein, die alle Einzelheiten klar erkennen lässt, für die Schutz beansprucht wird. Dies ist auch in höchster Europäischer Rechtsprechung verankert (siehe Mast-Jägermeister vs. EUIPO; EuGH, C:2018:534).
Schon daraus ergibt sich, dass die Sichtbarkeit im Designschutz elementar ist. Ein Designschutz wird im Allgemeinen nur für genau die Darstellung eingetragen, in der das Design mit allen sichtbaren Teilen angemeldet wurde.
Das ist natürlich besonders schwierig bei einem komplexen Erzeugnis, und daher sieht das deutsche Designgesetz auch einen besonderen Paragraphen vor für den Designschutz von komplexen Erzeugnissen: § 4 DesignG. Demnach muss ein Element (wörtlich: Bauelement), das in ein komplexes Erzeugnis eingefügt ist, in der Darstellung des Designs sichtbar sein – und zwar „bei dessen bestimmungsgemäßen Verwendung“. Diese Regelung gilt für jeden komplexen industriellen oder handwerklichen Gegenstand und auch einschließlich von Einzelteilen, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen.
Fall ‚Sattelunterseite‘ vor dem BGH
In der Praxis ist dies allerdings nicht immer eindeutig. Konkret wurde vor dem BGH der Fall „Sattelunterseite“ verhandelt als Revision der Entscheidung des Bundespatentgerichts zur einer Nichtigkeitsklage gegen das Design eines Fahrrad- oder Motorradsattels. In der Nichtigkeitsklage wurde geltend gemacht, diesem geschützten Design fehle es an Neuheit und Eigenart gegenüber dem vorbekannten Formenschatz. Vor allem sei es aber auch nach § 4 DesignG vom Designschutz ausgeschlossen, da es als Bauelement der komplexen Erzeugnisse „Fahrrad“ bzw. „Motorrad“ bei deren bestimmungsgemäßer Verwendung nicht sichtbar sei. Eine bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrrads durch den Endbenutzer umfasse sowohl den Fahrvorgang selbst als auch das Auf- und Absteigen, hatte das BPatG erläutert, doch dabei werde die designgegenständliche Darstellung nicht sichtbar. Denn der strittige Sattel wurde in der Darstellung lediglich als die Unterseite eines Sattels gezeigt, also aus der Perspektive von unten.
Das Bundespatentgericht gab der Klage statt, vor allem mit dem Hinweis auf § 4 DesignG. Ein Sattel werde bei bestimmungsgemäßer Verwendung in dem Erzeugnis, in das er eingebaut werde (also als Fahrrad bzw. Motorrad) nur von oben, möglicherweise auch von der Seite, aber niemals von unten sichtbar, hatte das BPatG erklärt. Aber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 DesignG sei es erforderlich, dass ein in das komplexe Erzeugnis „eingefügtes“ Bauelement sichtbar bleibe. Daher erklärte es das Sattel-Design für nichtig (30 W (pat) 809/18).
Zeitpunkt der Feststellung von Sichtbarkeit
Die Inhaberin des angegriffenen Sattel-Designs ging in Revision gegen diese Entscheidung vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser bestätigte die Feststellung des BPatG, dass es in Bezug auf „Sichtbarkeit in bestimmungsgemäßer Verwendung“ auf die Sichtbarkeit des auf der Sattelunterseite enthaltenen Designs nach dem Einbau des Bauelements (Sattel) in das komplexe Erzeugnis (Fahrrad), nicht aber vor dem Einbau oder nach dem Ausbau des Bauelements ankommt.
Bestimmte Nutzung oder Betrachterperspektive relevant für Sichtbarkeit?
Der BGH betonte, dass sich der durch ein Design vermittelte Schutz nach Erwägungsgrund 12 Satz 1 der Richtlinie 98/71/EG nicht auf Merkmale eines Bauelements erstrecken, die unsichtbar sind, wenn das Bauelement eingebaut ist. Allerdings, so erläuterte das Gericht, lasse sich der EU Richtlinie 98/71/EG nicht zweifelsfrei entnehmen, ob die Feststellung von Sichtbarkeit die Verwendung in bestimmter Nutzung und vor allem auch Betrachterperspektive erfordert oder ob die objektive Möglichkeit genügt, das Design in eingebautem Zustand des Bauelements erkennen zu können.
Daher beschloss der BGH, diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Auslegung „bestimmungsgemäß“: Sicht des Herstellers oder des Verbrauchers?
Sollte der EuGH eine „bestimmungsgemäße“ und bestimmte Nutzung oder Betrachterperspektive als Erfordernis sehen für die Sichtbarkeit im Sinne der Richtlinie, ersucht der BGH zudem um Auslegung und Konkretisierung des Ausdrucks „bestimmungsgemäße Verwendung“:
- Kommt es dabei auf den intendierten Verwendungszweck des Herstellers des Erzeugnisses an oder auf die übliche Verwendung des komplexen Erzeugnisses durch die Verbraucher?
- Wie sind „Nebenverwendungszwecke“ einzuordnen oder mit dem Hauptzweck mittelbar zusammenhängende Handlungen? (Im vorliegenden Fall wären dies z. B. Maßnahmen der Aufbewahrung und des Transports oder eine mögliche Verwendung als Unterseite eines Motorradsattels.)
- Und gibt es Kriterien für die Beurteilung der „bestimmungsgemäßen“ Verwendung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 98/71/EG?
Dies sind in der Tat bisher nicht geklärte Fragen zu den Ausdrücken ‚Sichtbarkeit‘ und ‚bestimmungsgemäß‘, rechtliche Klarheit wäre sehr zu begrüßen. Der Fall „Sattelunterseite“ jedenfalls wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des EuGH zu dieser Vorabentscheidungsvorlage.
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Quellen für Text und Bild:
Vorlagefragen des BGH ‚Sattelunterseite‘, I ZB 31/20
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