Ein spanischer Schuhhersteller verliert den Rechtsstreit um das Geschmacksmuster für Ballerinaschuhe vor dem BGH. Der Bundesgerichtshof trifft mit diesem Urteil aber auch eine sehr viel weiter reichende Entscheidung: Im Internet angebotene Produkte gehören zum vorbekannten Formenschatz. Dies hat große Auswirkungen im Designschutz.
Denn der vorbekannte Formenschatz wird durch die Musterdichte innerhalb der Erzeugnisklasse bestimmt und steht damit dem neuen Muster und Design gegenüber. Es gilt die einfache Orientierung: Ist die Musterdichte sehr hoch, dann sind die Anforderungen an die Unterscheidbarkeit geringer. Ist die Musterdichte dagegen gering, dann sind die Anforderungen an die Unterscheidbarkeit sehr hoch. Der Schutzbereich eines Geschmacksmusters und Designschutzrechts kann nicht so weit reichen, dass er auch den vorbekannten Formenschatz abdeckt. Indem der BGH als Leitsatzentscheidung festlegt, dass im Internet angebotene Produkte zum vorbekannten Formenschatz zählen, wird es deutlich erschwert, seine Produkte überhaupt noch mit Designschutz zu verteidigen.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin ist ein spanischer Schuhhersteller, der Schuhe mit zweifarbiger Sohle und Designschutz herstellt und vertreibt. Die Klägerin ist Inhaberin eines Gemeinschaftsgeschmackmusters (Nr. 001212351-0004). Die Beklagte ist ein deutsches Unternehmen, das 2014 ein sehr ähnliches Schuhmodell anbot. Dieses strittige Schuhmodell hatte eine internationale Reise hinter sich: Nach Behauptung der Klägerin lieferte die in China geschäftsansässige Beklagte das strittige Schuhmodell nach Deutschland – über eine Zwischenstation in den Niederlanden.
Die Klägerin machte geltend
- Verletzung ihres Gemeinschaftsgeschmacksmusters
- und eine unlautere Nachahmung des von ihr nach diesem Muster gefertigten und vertriebenen Schuhmodells.
Das beklagte deutsche Unternehmen forderte in der Berufungsinstanz widerklagend die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Klägerin wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung. Nach Verfahrensabschnitten vor dem Landesgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf (I-20 U 134/15) hat nun der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 11. Januar 2018 (I ZR 187/16) der Beklagten Recht gegeben und dabei weitreichende Grundsätze für online angebotene Produkte und den vorbekannten Formenschatz aufgestellt.
Begründung des BGH
Nach Art. 10 Abs. 1 GGV erstreckt sich der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erwecke. Bei der Beurteilung sei nach Art. 10 Abs. 2 GGV der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Das Gericht wies auch darauf hin, dass für die Frage, welchen Abstand das Klagemuster zum vorbekannten Formenschatz einhält, es nicht auf einen Vergleich einzelner Merkmale des Klagemusters mit einzelnen Merkmalen eines vorbekannten Musters ankomme.
Erforderliche Eigenart und vorbekannter Formenschatz
Nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 2 GGV hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den sein Design beim informierten Benutzer hervorruft, von einem anderen Design unterscheidet. Die Eigenart erfordert somit keine besondere und definierte Gestaltungshöhe, sondern ergibt sich aus dem Vergleich mit dem vorbekannten Formenschatz und mit strittigen Designs. Grundsätzlich zählen gemäß BGH alle Muster zum vorbekannten Formenschatz, die der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung des Geschmacksmusters zur Eintragung offenbart und damit zugänglich gemacht worden sind (vgl. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b, Art. 7 Abs. 1 GGV). Das bedeutete aber auch, dass auch ein im Berufungsverfahren als Entgegenhaltung eingeführtes Schuhmodell der Klägerin grundsätzlich zum vorbekannten Formenschatz zähle.
Es sei von einem großen Schutzumfang des Klagemusters auszugehen, wenn der Verletzer kein vorbekanntes, dem Klagemuster annähernd ähnliches Muster in den Rechtsstreit einführt. Denn der Kläger muss den vorbekannten Formenschatz zu seinem Design nicht offenbaren, sondern der Beklagte muss diesen Nachweis führen. Aber das Schuhmodell, auf das sich die Beklagten als Entgegenhaltung berufen haben, war von der Klägerin im Internet zum Verkauf angeboten worden. Es sei deshalb für jedermann, auch für die Beklagten, auffindbar gewesen. Und damit zählt es zum vorbekannten Formenschatz.
Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
Wie kam es überhaupt dazu, dass dieser Fall vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde? Denn immerhin ist dieser Fall international und kompliziert, weil die Klägerin Sitz in Spanien hat und zwei der drei Beklagten in den Niederlanden und in China ansässig sind. Die Antwort ist kurz: weil die international Beteiligten dies nicht rügten und damit akzeptierten. Die Beklagte aus den Niederlanden ließ sich auf das Verfahren vor den deutschen Gerichten ein, ohne deren fehlende internationale Zuständigkeit zu rügen (Art. 82 Abs. 4 Buchst. b GGV in Verbindung mit Art. 24 Brüssel-I-VO [jetzt Art. 26 Brüssel-Ia-VO]). Auch die spanische Klägerin hatte sich ohne Rüge eingelassen (Art. 24 Brüssel-I-VO (jetzt Art. 26 BrüsselIa-VO). Denn nach Art. 82 Abs. 2 GGV wären eigentlich die spanischen Gerichte für diesen Fall international zuständig, weil die Klägerin in Spanien und wiederum die chinesische Beklagte in keinem der Mitgliedstaaten ansässig ist. Da die chinesische Beklagte sich jedoch auf das Designschutz Verfahren vor einem deutschen Gericht eingelassen hat, sind damit die deutschen Gerichte zur Entscheidung international zuständig geworden.
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