Wird ein Berufungsurteil aufgehoben, welches ein vorläufig vollstreckbares erstinstanzliches Urteil aufgehoben hat, lebt die vorläufige Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils wieder auf, urteilte der BGH als Leitsatzurteil.
Wiederauflebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit strittig in der Rechtsprechung
Es ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob nach Aufhebung eines vorläufig vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteils durch das Berufungsgericht und Aufhebung des Berufungsurteils durch den Bundesgerichtshof und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht die (vorläufige) Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils wiederauflebt. Gegen das Wiederaufleben der vorläufigen Vollstreckbarkeit spricht das Argument, die vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigende Richtigkeitsvermutung der Erstentscheidung sei durch die – wenn auch ihrerseits aufgehobene – abweichende Zweitentscheidung weiterhin erschüttert. Andererseits wird vertreten, mit der Aufhebung der Berufungsentscheidung fielen deren Wirkungen insgesamt weg, also auch die Tatbestandsvoraussetzungen.
Bisher hatte der Bundesgerichtshof nur den umgekehrten Fall entschieden, dass das Berufungsgericht die Berufung gegen das für vorläufig vollstreckbar erklärte erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen hat und dieses Urteil durch den BGH aufgehoben wurde (BGH, Urteil vom 28. Oktober 1958 – VIII ZR 431/56; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1981 – V ZR 113/80). Diese Entscheidungen legen aber nahe, dass mit der Aufhebung des Berufungsurteils das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang wieder wirksam wird, erläuterte der BGH und postulierte dies jetzt in seinem Urteil IX ZR 135/19 als Leitsatzurteil: Wird ein Berufungsurteil aufgehoben, welches ein vorläufig vollstreckbares erstinstanzliches Urteil aufgehoben hat, lebt die vorläufige Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils wieder auf.
Sachverhalt: Urkundenprozess in der Berufungsinstanz
In dem zu Grunde liegenden Fall dieses Urteils ging es um das Abstehen vom Urkundenprozess in der Berufungsinstanz. Ein Rechtsanwalt, Kläger vor dem BGH, war für seinen Mandanten, welcher Alleinaktionär einer Schweizer Aktiengesellschaft ist, als Organ dieser Gesellschaft zu dem Zweck tätig, eine Vereinbarung mit einem Vertragspartner auszuhandeln. Beklagten sind die Erben des Mandanten und Alleinaktionärs. Zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten wurde eine Honorarvereinbarung für eine Alleinvertretung der Schweizer Aktiengesellschaft unterzeichnet, doch die darin vereinbarten Zahlungen wurden bei der Aktiengesellschaft weder angefordert noch von ihr erbracht. Der Kläger hat machte seine Ansprüche im Urkundenprozess geltend.
Streitpunkt vor dem BGH waren die im Urkundenprozess vom Rechtsanwalt eingebrachten Beweismittel; die Echtheit der Unterschrift des Erblassers war von dessen Erben wirksam bestritten worden.
Sachdienlichkeit der Abstandnahme im Urkundenprozess
Der BGH urteilte in diesem Fall, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die von dem Kläger im Berufungsverfahren erklärte Abstandnahme vom Urkundenprozess als nicht sachdienlich und daher unzulässig angesehen. Das Berufungsgericht verkenne, dass es sich zum Zeitpunkt seiner Entscheidung über die Sachdienlichkeit der Abstandnahme im Urkundenprozess befunden hat, erklärte der BGH und verfügte die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und die Zurückverweisung.
Denn erst nach zulässiger Abstandnahme wird der Rechtsstreit insgesamt in der Berufungsinstanz im ordentlichen Verfahren weitergeführt, entschied der BGH. Zulässig ist die Abstandnahme jedoch erst, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht es für sachdienlich erachtet.
Außerdem könne die Sachdienlichkeit der Abstandnahme vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren nicht mit der Begründung verneint werden, dass im in erster Instanz anhängigen Nachverfahren bereits ein Sachverständigengutachten über die Echtheit der Unterschriften unter der Urkunde eingeholt worden ist, ergänzte der BGH. Ebenso wenig führe es zur Verneinung der Sachdienlichkeit, wenn die Beklagten für das Nachverfahren angekündigt haben, hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen aufzurechnen, durch welche ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird.
Der BGH verwies auf die Rechtsprechung, demnach die Beurteilung der Sachdienlichkeit eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen erfordere. Der Sachdienlichkeit stehe dabei grundsätzlich nicht entgegen, dass aufgrund der Klageänderung neue Parteierklärungen und gegebenenfalls Beweiserhebungen notwendig werden und die Erledigung des Prozesses verzögert wird.
Das Gericht ergänzte, die Sachdienlichkeit könne deshalb in der Regel auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Beklagte durch die Zulassung einer Klageänderung oder -erweiterung eine Tatsacheninstanz verlöre.
Vollstreckbarkeit eines ausländischen Schiedsspruchs
In diesem Kontext möchten wir auch auf ein weiteres Leitsatzurteil des BGH (I ZB 64/19) hinweisen, das vor wenigen Tagen publik geworden ist. Darin geht es um die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs und die Heilung eines Zustellungsmangels. Denn auch im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs hat das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG umfassend Wirkung.
Für den tatsächlichen Zugang als Voraussetzung der Heilung eines Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO ist nicht der Zugang des zuzustellenden Originals erforderlich. Die erfolgreiche Übermittlung einer (elektronischen) Kopie in Form – beispielsweise – eines Telefaxes, einer Fotokopie oder eines Scans ist ausreichend, urteilte der BGH in seiner Leitsatzentscheidung. Eine bloße mündliche Überlieferung oder eine handschriftliche oder maschinenschriftliche Abschrift des zuzustellenden Originals seien dagegen nicht ausreichend wegen der Fehleranfälligkeit.
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Quellen:
BGH I ZB 64/19, Heilung des Zustellungsmangels
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