Wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms „notwendig“ ist, ist laut EU Recht eine Handlung einschließlich der Fehlerberichtigung zulässig. Zählt also Dekompilierung von Software zur Fehlerberichtigung dazu?
Dekompilierung von Software zur Fehlerberichtigung: illegal?
Der EuGH urteilte nach einer Vorlagefrage aus Belgien zum Recht einer Softwarelizenz und Dekompilierung von Software (C-13/20).
Im Kern stand die Frage: Ist der rechtmäßige Erwerber eines Computerprogramms bzw. der Lizenznehmer einer Softwarelizenz berechtigt, dieses ganz oder teilweise zu dekompilieren, um Programmfehler zu berichtigen? Und darf dazu sogar eine Funktion zu desaktiviert werden, die das ordnungsgemäße Funktionieren der Programm Anwendung beeinträchtigt?
Genau das war passiert in dem vorliegenden Fall um das Recht einer Softwarelizenz und Dekompilierung von Software. 2008 schlossen Selor (Auswahlbüro der Föderalverwaltung, Belgien), die Beklagte im Ausgangsverfahren, und Klägerin Top System (Belgien) einen Vertrag ab, der die Installation und die Konfiguration einer neuen Entwicklungsumgebung sowie die Integration und die Migration der Quellen der Selor-Anwendungen in diese neue Umgebung betraf. Wenige Monate später versuchten beide Parteien, Funktionsprobleme bestimmter Anwendungen zu beheben – doch leider vergeblich.
In der Folge dekompilierte Selor die Software, auch im Bereich mit Ausschließlichkeitsrechte von Top System.
Unter Dekompilierung versteht man eine Umarbeitung eines Computerprogrammes mit der Rückübersetzung des Programms in den Quellcode. Denn Softwarehersteller von Computerprogrammen überlassen ihren Kunden bzw. Lizenznehmern ihr Computerprogramm in der Regel nicht im Quellcode, sondern im sogenannten Objektcode, quasi in der Nutzeransicht. Funktionsfehler aber lassen sich nur im Quellcode beheben.
Dekompilierung von Software und Softwarelizenz
Klägerin Top System erhob Feststellungsklage gegen Selor wegen dieser Rechtsverletzung und forderte Schadensersatz wegen Dekompilierung der Software und Kopie der Software Quellcodes. Dieses Ausgangsverfahren liegt inzwischen beim Cour d’appel de Bruxelles (Appellationshof Brüssel, Belgien), das die Vorlagefrage zum Recht der Softwarelizenz und Dekompilierung von Software vor dem EuGH einreichte.
Die Klägerin beruft sich auf Art. 6 und 7 LPO (Rechtsschutz von Computerprogrammen in belgischem Recht), demnach eine Dekompilierung nur mit Zustimmung des Urhebers oder seines Rechtsnachfolgers oder aber zu Zwecken der Interoperabilität vorgenommen werden. Nicht zulässig aber sei eine Dekompilierung zum Zweck der Berichtigung von Fehlern, die die Funktionsweise des betreffenden Programms beeinträchtigten.
Die Beklagte sieht sich dagegen als berechtigt, die stattgefundene Dekompilierung vorzunehmen, um bestimmte Entwicklungsfehler zu berichtigen, die dessen bestimmungsgemäße Verwendung unmöglich gemacht hätten. Selor beruft sich auf das Recht nach Art. 6 Abs. 3 LPO, das Funktionieren des betreffenden Programms zu beobachten, zu untersuchen oder zu testen, um die den betreffenden Funktionen des Programms zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln und damit die durch diese Fehler verursachten Blockaden verhindern zu können.
EU Richtlinie 91/250: Computerprogramme unter Urheberrecht
Grundsätzlich stehen gemäß EU Richtlinie 91/250 Quellcode und der Objektcode eines Computerprogramms als zwei Ausdrucksformen dieses Programms unter dem urheberrechtlichen Schutz für Computerprogramme. In Deutschland ist dies in Umsetzung der EU Richtlinie nach § 69 e UrhG geregelt, im belgischen Recht nach LPO.
Dieser Fall erforderte daher vom EuGH eine Auslegung Art. 5 der Richtlinie 91/250 (Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991) in Abwägung zu Art. 4 Buchst. a und b der Richtlinie 91/250. Der Art. 5 der Richtlinie 91/250 besagt, dass die Dekompilierung von Software für deren bestimmungsgemäße Benutzung durch den rechtmäßigen Erwerber „notwendig“ sein muss, um zulässig zu sein. Zudem nennt dieser Artikel Handlungen als zulässig, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms einschließlich der Fehlerberichtigung durch den rechtmäßigen Erwerber „notwendig“ sind. Zählt also Dekompilierung zur Fehlerberichtigung dazu?
Denn die Dekompilierung eines Computerprogramms impliziert Handlungen (nämlich die Vervielfältigung des Codes dieses Programms und die Übersetzung der Codeform), die unter die Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers im Sinne von Art. 4 Buchst. a und b der Richtlinie 91/250 fallen, was auch der EuGH im vorliegenden Urteil bestätigte.
Fehlerberichtigung darf nicht vertraglich ausgeschlossen werden
Wenn dies aber Wirksamkeit gegen einen rechtmäßigen Erwerber des Programms beeinträchtigt, die ihn an einer Fehlerberichtigung hindern, widerspricht das dem Recht auf Fehlerberichtigung gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/250, erläuterte das höchste Europäische Gericht. Die Parteien dürfen nicht vertraglich jede Möglichkeit einer Berichtigung dieser Fehler ausschließen, betonte der EuGH. Insofern sei die Dekompilierung von Software zulässig, urteilte der EuGH, soweit dies zur Berichtigung von Fehlern im Programm notwendig ist, die dessen Funktionieren beeinträchtigen – und zwar ausdrücklich auch ohne vorherige Zustimmung des Rechtsinhabers.
Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/250 sei dahin auszulegen, entschied der EuGH, dass der rechtmäßige Erwerber eines Computerprogramms berechtigt ist, dieses ganz oder teilweise zu dekompilieren, um Fehler, die das Funktionieren dieses Programms beeinträchtigen, zu berichtigen, einschließlich in dem Fall, dass die Berichtigung darin besteht, eine Funktion zu desaktivieren, die das ordnungsgemäße Funktionieren der Anwendung, zu der dieses Programm gehört, beeinträchtigt.
Zudem muss der rechtmäßige Erwerber eines Computerprogramms, der die Dekompilierung dieses Programms zur notwendigen Fehlerbehebung vornehmen möchte, nicht den Anforderungen nach Art. 6 dieser Richtlinie genügen. Allerdings muss er die Dekompilierung jedoch nur in dem für die Fehlerberichtigung erforderlichen Ausmaß vornehmen, ergänzte der EuGH, und gegebenenfalls unter Einhaltung der mit dem Inhaber des Urheberrechts an diesem Programm vertraglich festgelegten Bedingungen.
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