Eine einstweilige Verfügung (EV) wegen dem Vorwurf einer Patentverletzung kommt nur in Betracht, wenn das angeblich verletzte Patent bereits erstinstanzlich als schutzfähig und rechtsbeständig bestätigt wurde: eine richtungsändernde Leitsatzentscheidung des OLG München im Urteil Anschlussklemme zu Ungunsten des Patentinhabers.
Dies ist eine wichtige Leitsatzentscheidung des OLG München, die seine bisherige Rechtsprechung zu der Begründung einer einstweiligen Verfügung ändert. Eine einstweilige Einstellung wegen einer angeblichen Patentverletzung kommt demnach nur in Betracht, wenn das angeblich verletzte Patent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat und damit seine Schutzfähigkeit erwiesen ist. Denn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Rechtsbeständigkeit des Verfügungsschutzrechts müsse eindeutig zugunsten des Antragstellers zu bejahen sein, urteilte das OLG München in seinem viel beachteten Urteil Anschlussklemme zu den Gründen für eine einstweilige Verfügung in Patentstreitigkeiten als Leitsatzentscheidung.
Sachverhalt zum Urteil Anschlussklemme
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Europäischen Patents EP 3159974 B1 „Elektrische Anschlussklemme“, im vorliegenden Fall ist dies das Verfügungspatent. Die Antragsgegnerin vertreibt im Inland Verbinder zur lösbaren Verbindung eines elektrischen Leiters mit einer Leiterplatte. Darin sah die Antragstellerin eine Verletzung ihres Verfügungspatents.
Allerdings nur 5 Tage nach der Erteilung des Streitpatents beantragte die Klägerin Unterlassungsanspruch und eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin wegen angeblicher Patentverletzung des eigenen Verfügungspatents.
Auch die darauf folgende mündliche Verhandlung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht München I fand sehr schnell, nur 10 Tage nach der Antragstellung statt. Gegen das im Anschluss getroffene Urteil legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein, das Landgericht habe einen Verfügungsanspruch rechtsfehlerhaft bejaht.
Mündliche Verhandlung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung
Das OLG bestätigte in seinem Urteil Anschlussklemme (6 U 4009/19) zunächst einmal, dass über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, der auf ein Patent oder Gebrauchsmuster gestützt wird, in der Regel mündlich zu verhandeln ist. Dem Antragsgegner müsse jedoch ausreichend Gelegenheit gegeben werden, zur Verletzungsfrage und zum Rechtsbestand Stellung nehmen zu können, dafür sind 10 Tage zu kurz, urteilte das OLG München in seinem ersten Leitsatz. Die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zehn Tage nach Eingang des Verfügungsantrags, insbesondere bei einem „druckfrischen“ Verfügungspatent, verletze das rechtliche Gehör der Antragsgegnerin. Allerdings werde dies nicht sanktioniert, ergänzte das Gericht, da die Antragsgegnerin bis zur Verhandlung in zweiter Instanz hinreichend Gelegenheit hatte, sich mit der Verletzungsfrage und der Schutzrechtslage zu befassen und hierzu vorzutragen. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragsgegnerin in erster Instanz sei durch das nachfolgende Verfahren geheilt worden.
Unterlassungsanspruch- Ja, Einstweilige Verfügung- Nein
Entspricht die Verfahrensgestaltung in erster Instanz nicht den Anforderungen an das rechtliche Gehör, beruhe das landgerichtliche Urteil nicht mehr auf diesem Verstoß, wenn der Antragsgegner bis zur Verhandlung in zweiter Instanz hinreichend Gelegenheit hatte, sich mit der Verletzungsfrage und der Schutzrechtslage zu befassen und hierzu vorzutragen, entschied daher das OLG München als zweiten Leitsatz. Das Oberlandesgericht München bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil (mit dem der Antrag auf einstweilige Verfügung bejaht wurde, Akz. 7 O 6409/19), soweit es einen Unterlassungsanspruch festgestellt hat. Die einstweilige Verfügung müsse jedoch aufgehoben werden, da kein Anlass für eine einstweilige Verfügung bestand, urteilte der OLG.
EV nur für erstinstanzlich als rechtsbeständig bestätigtes Patent
Das Gericht betonte ausdrücklich, dass das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach der ZPO nicht darauf ausgerichtet ist, die Schutzfähigkeit eines technischen Schutzrechts vor dem Hintergrund eines komplexen Standes der Technik mit den im Zivilprozessrecht dem Verletzungsgericht zur Verfügung stehenden Mitteln hinreichend gesichert zu beurteilen. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung, gestützt auf ein Patent oder ein Gebrauchsmuster komme also nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Rechtsbeständigkeit des Verfügungsschutzrechts eindeutig zugunsten des Antragstellers zu bejahen ist, urteilte das OLG München als dritter Leitsatz. Im Klartext bedeutet dies, es muss bereits eine die Schutzfähigkeit des Verfügungspatents bestätigende Entscheidung im Einspruchs-/Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) oder des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren vorliegen.
EV ohne erstinstanzliche Entscheidung: nur in besonderen Umständen
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne erstinstanzliche Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren komme nur in besonderen – und in diesem Fall nicht vorliegenden – Fallgestaltungen in Betracht, führte das Gericht in einem vierten Leitsatz aus. Die besondere Umstände liegen vor:
- wenn der Antragsgegner bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt war, dieses sozusagen quasi schon als zweiseitiges Verfahren geführt wurde, d.h. die vorgebrachten Einwendungen auch sachlich geprüft wurden,
- wenn das Verfügungsschutzrecht allgemein als schutzfähig angesehen wird,
- wenn die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts sich schon bei summarischer Prüfung als haltlos erweisen oder
- wenn es dem Antragsteller aufgrund außergewöhnlicher Umstände, z.B. aufgrund der Marktsituation, ausnahmsweise unzumutbar ist, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren abzuwarten.
In ähnlicher Weise haben auch die Oberlandesgerichte Düsseldorf (Urt. v. 14.12.2017 – 2 U 18/17) und Karlsruhe (GRUR-RR 2015, 509) bereits geurteilt, und das OLG München schließt sich dieser Rechtsprechung an. Zudem hat der BGH in eine vielfach beachteten Entscheidung geurteilt, dass eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Betracht komme, wenn die Rechtsbeschwerde dagegen erfolgsversprechend erscheint. Explizit gibt das OLG München seine bisherige Rechtsprechung in Bezug auf einstweilige Verfügungen mit seinem Urteil Anschlussklemme auf.
Letztlich verschiebt dies die Rechtsprechung zu Ungunsten des Patentinhabers, der einer Patentverletzung mit einer einstweilige Verfügung einen Riegel vorschieben möchte. Allerdings hatte sich die vermeintlichen Schutzfähigkeit des Verfügungspatents oftmals im Nachhinein als nicht zutreffend erwiesen, was dann bedeutete, dass eine einstweilige Verfügung unberechtigt und zu Unrecht ausgesprochen wurde – mit erheblichem wirtschaftlichen Schaden für den Beklagten. Die neue Rechtsprechung will dem gerecht werden.
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Quellen:
Urteil Anschlussklemme OLG München, 6 U 4009/19
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