Das Inverkehrbringen von Waren unter Verletzung von IP Rechten wird oftmals mit einstweiligen Maßnahmen geahndet. Was aber ist ein angemessener Schadensersatz, wenn diese Maßnahmen nachträglich unberechtigt sind, z. B. weil ein Patent später für nichtig erklärt wird? Und darf der Schadensersatz von nationalen Gerichten festgelegt werden?
Die Auslegung des EuGH (EU:C:2019:722) zu der Frage, was ein angemessener Schadensersatz für unberechtigte einstweilige Maßnahmen ist, ist eine Antwort auf ein Vorabentscheidungsersuchen aus Ungarn zu der Auslegung von Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48/EG – die EU Richtlinie zur Durchsetzung der IP Rechte.
Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48/EG:
„Werden einstweilige Maßnahmen aufgehoben oder werden sie auf Grund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig, oder wird in der Folge festgestellt, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag, so sind die Gerichte befugt, auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat.“
Das Recht auf angemessenen Ersatz für durch die einstweiligen Maßnahmen entstandenen Schaden wirkt auf den ersten Blick auf diese Weise geregelt, aber der Teufel liegt – wie so oft – auch hier im Detail. Liegt es in der Hand der nationalen Gerichte, Umfang und die Art des Schadensersatzes festzulegen?
Was ist angemessener Schadensersatz?
Insbesondere der Begriff „angemessener Ersatz“, also ein angemessener Schadensersatz für unberechtigte einstweilige Maßnahmen wurde bisher von den nationalen Gerichten unterschiedlich interpretiert.
Das vorlegende ungarische Gericht war der Auffassung, dass die allgemeinen Vorschriften des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Haftung und zum Schadensersatz gemäß Art. 9 Abs. 7 der EU Richtlinie 2004/48 auszulegen sind, denn das ungarische Recht hat keine Regelung für den Fall von unberechtigten einstweiligen Maßnahmen.
Das vorlegende Gericht war jedoch nicht sicher, ob die nationalen Gerichte nur dafür zuständig sind, grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz festzustellen, oder ob sie darüber hinaus auch Art und Höhe des Schadensersatzes festlegen können.
Angemessener Schadensersatz: Art und Höhe EU einheitlich
Der EuGH gab mit seinem Urteil eine klare Antwort. Zwar sei es Sache der nationalen Gerichte zu beurteilen, ob der Antragsteller unberechtigter einstweiliger Maßnahmen überhaupt zu Schadensersatz zu verurteilen ist. Ein solcher Schadensersatz muss dann allerdings angemessen sein.
Grundsätzliche Entscheidung national – Art und Höhe EU einheitlich
Damit dieser „angemessene Ersatz“ dem Gleichheitsgedanken in der Union folgt, sei dieser Begriff einer autonomen und einheitlichen Auslegung zu unterziehen, erläuterte das Gericht.
Seine Auslegung könne nicht den einzelnen Mitgliedstaaten obliegen, urteilte der EuGH.
Mit anderen Worten: Art und Höhe von Schadensersatz für unberechtigte einstweilige Maßnahmen werden einheitlich und nach Unionsrecht festgelegt, nicht nach nationalen Regeln.
Kein Verstoß gegen TRIPS Übereinkommen
Dies verstoße auch nicht gegen die Verpflichtungen aus dem TRIPS Übereinkommen, machte das Gericht deutlich. Zwar stelle das TRIPS Übereinkommen seinen Mitgliedern frei, „die für die Umsetzung dieses Übereinkommens in ihrem eigenen Rechtssystem und in ihrer Rechtspraxis geeignete Methode festzulegen“ (Art. 1 Abs.1). Aber es sehe auch die Möglichkeit vor, einen umfassenderen Schutz als den durch dieses Übereinkommen geforderten aufzunehmen, erklärte der EuGH.
Diese Möglichkeit wendete das Gericht mit seiner vorliegenden Auslegung der Richtlinie zur Durchsetzung der IP Rechte an. Ziel der EU ist es, die Gewährleistung eines hohen, gleichwertigen und homogenen Schutzniveaus für geistiges Eigentum in der Rechtsordnung der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu gewährleisten, betonte der EuGH.
Ausgangsverfahren: Bayer Pharma AG vs. Richter und Exeltis
Das eigentliche Ausgangsverfahren zu der vorliegenden Auslegung des EuGH betrifft ein Patentverfahren mit vielen Wendungen zwischen Bayer Pharma AG (Deutschland) und Richter und Exeltis (Ungarn). Bayer Pharma vermutete das Inverkehrbringen von Erzeugnissen unter Verletzung der Rechte aus einem Patent und forderte einstweilige Maßnahmen gegen die vermeintlichen Verletzer Richter und Exeltis.
Letztlich kam es zu einer späteren Nichtigerklärung des Bayer Patents, die sich bereits im Verlauf des Verfahrens andeutete, woraufhin Richter und Exeltis Schadensersatz für unberechtigte einstweilige Maßnahmen forderte. Bayer Pharma wies dies zurück, da Bayer zum Zeitpunkt der Beantragung einstweiliger Maßnahmen berechtigte Inhaberin des Patents war, das dann später für nichtig erklärt wurde. Allerdings hatten Richter und Exeltis zu diesem Zeitpunkt bereits beantragt, dieses Patent für nichtig zu erklären.
Interessant wird die Beurteilung der Situation, wenn man die Ereignisse in der Zeitachse betrachtet: Im August 2000 reichte Bayer in Ungarn eine nationale Patentanmeldung für ein Arzneimittelerzeugnis mit einem empfängnisverhütenden Bestandteil ein. Veröffentlicht wurde diese Anmeldung am im Oktober 2002, der Patentschutz wurde erteilt am 4. Oktober 2010.
Richter aber begann im November 2009 und Exeltis im Oktober 2010 mit der Vermarktung empfängnisverhütender Arzneimittel in Ungarn.
Nach ungarischem Patentgesetz beginnt der Patentschutz übrigens mit der Veröffentlichung der Anmeldung und wirkt auf den Tag der Antragstellung zurück.
Rechtmäßigkeit von einstweiligen Maßnahmen
Der EuGH äußerte sich daher auch noch grundsätzlich zur Rechtmäßigkeit von einstweiligen Maßnahmen. Diese seien vor allem dann gerechtfertigt, wenn jegliche Verzögerung einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums mit sich bringen würde, erläuterte das Gericht. Daher setze die Feststellung, ob ein Antrag auf einstweilige Maßnahmen ungerechtfertigt ist, vor allem die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens voraus, der bei einer Verzögerung von einstweiligen Maßnahmen für den Inhaber eines IP Rechts entsteht.
Das vorlegende ungarische Gericht müsse daher prüfen, ob Richter und Exeltis ihre Produkte vertrieben, obwohl ein Patent von Bayer beantragt worden war oder ein Patent bestand, das dieser Vermarktung entgegenstand, erklärte der EuGH. Wenn ja, sei dies als ein objektives Indiz für die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens zu bewerten. Auch sei von den nationalen Gerichten zu beachten, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist, ergänzte das Gericht.
Es bleibt also abzuwarten, wie im Ausgangsverfahren geurteilt werden wird. In jedem Fall bringt diese Auslegung des EuGH verbindliche Klarheit in die Zuständigkeiten in der EU im Fall von unberechtigten einstweiligen Maßnahmen wegen der Verletzung von IP Rechten.
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