In einem Fall um eine zunächst nicht beachtete Abmahnung, auf die eine Einstweilige Verfügung folgte, urteilte das OLG München mit relevanter Rechtsprechung: Grundsätze zur prozessualen Waffengleichheit sind auch in kennzeichenrechtlichen Verfügungsverfahren zu beachten – und Weiterleitung von allen relevanten Schriftsätzen an das Gericht ist Pflicht.
Der Sachverhalt: kommt in der Praxis oft vor
Die dem Urteil des OLG München zugrunde liegende Fallkonstellation kommt oftmals vor und hat insofern einen großen Bezug zur Praxis. Am Anfang stand eine Abmahnung wegen einer Markenverletzung – aber die Abgemahnte reagierte nicht. Die Antragstellerin stellte daher einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung.
Es folgte ein Schriftwechsel zwischen der dafür zuständigen Kammer des LG München und der Antragstellerin, in deren Folge das LG – antragsgemäß ohne mündliche Verhandlung – die Beschlussverfügung und eine Einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin erließ, und zwar ohne dass zuvor die Antragsgegnerin seitens des Gerichts am Verfahren beteiligt worden war.
Zwischenzeitlich (13 Tage nach der Antragstellung auf die Einstweilige Verfügung) gab es zudem dann doch noch einen außergerichtlichen Schriftverkehr zwischen Antragstellerin mit dem Anwalt der Gegenseite, der erst jetzt auf die Abmahnung reagierte und sie als unbegründet zurückwies. Diesen außergerichtlichen Schriftverkehr legte die Antragstellerin dem Landgericht gar nicht vor – schließlich war diese außergerichtliche Stellungnahme erst weit nach Einreichung des Verfügungsantrags auf Einstweilige Verfügung erfolgt.
Leitsatz: prozessuale Waffengleichheit und Verfügungsverfahren
Doch das ist Verstoß gegen die Pflicht zu redlichen Prozessführung, entschied das Landgericht München, vor dem die Antragsgegnerin Berufung gegen den Beschluss zur Einstweiligen Verfügung und gegen das erstinstanzliche entsprechende Urteil des LG München (Az. 33 O 4112/20) einlegte – und das mit Erfolg. Das Oberlandesgericht München hob die angefochtene Entscheidung auf und gab der Antragsgegnerin Recht (OLG München, 29 U 6406/20).
Gleichzeitig nutzte das OLG München diesen Fall für eine grundsätzliche Rechtsprechung in Bezug auf Verletzung prozessualer Rechte, prozessuale Waffengleichheit und Verfügungsverfahren. Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur prozessualen Waffengleichheit sind auch in kennzeichenrechtlichen Verfügungsverfahren zu beachten, bestimmte das OLG München als Leitsatzentscheidung. Unter den Rechtsbegriff „Kennzeichen“ fallen Marken, geografische Herkunftsangaben und auch geschäftliche Bezeichnungen (§ 1 Abs. 1 MarkenG).
Dieser Leitsatz ergänzt die rechtlichen Grundsätze zur prozessualen Waffengleichheit in relevanter Weise, denn das BVerG hat zwar bereits festgelegt, dass prozessuale Waffengleichheit auf im UWG zu beachten ist, ließ aber offen, ob dies auch für das Kennzeichenrecht gilt (BVerG 2020, 1379/20). Das Urteil des OLG München schließt nun diese bisherige Lücke in der Rechtsprechung.
Prozessuale Waffengleichheit in der Praxis= welche Pflichten im gerichtlichen Verfahren?
Erfreulicherweise enthalten die Ausführungen des OLG Urteils viele konkrete Hinweise zu den Pflichten im gerichtlichen Verfahren und der Prozessualen Waffengleichheit in der Praxis.
Wesentliche Aspekte sind:
Weiterleitung von allen relevanten Schriftsätzen an das Gericht
Die unverzügliche Weiterleitung von Schriftsätzen an das Gericht ist zwingend, denn es soll stets in der Lage sein, aufgrund der geänderten Umstände entscheiden zu können, wie weiter zu verfahren ist. Ausdrücklich müssen auch außergerichtliche Schriftsätze dem Gericht vorgelegt werden – also Schriftverkehr zwischen Abmahner und Abgemahntem und auch überhaupt jede Abmahnung, die außergerichtlich geschickt wurde oder wird. Alle Schriftsätze sind dem Gericht unverzüglich und ohne Aufforderung vorzulegen, betonte das OLG München.
Einseitig geführtes einstweiliges Verfügungsverfahren
Gerade wenn ein einstweiliges Verfügungsverfahren von Seiten des Gerichts einseitig geführt wird – klassisch dann, wenn die abgemahnte Partei nicht reagiert hat – hat ja die abgemahnte Partei bzw. Gegenpartei keine Chance, sich zum Verfahren zu äußern. Daher hat bei einem einseitig geführten Verfügungsverfahren der Antragsteller „alles ihm Zumutbare und Mögliche“ zu unternehmen, damit das Gericht imstande ist, eine sachgerechte Entscheidung darüber zu treffen, ob, wann und wie der Antragsgegner vor einer Entscheidung in der Sache einzubeziehen ist. Auch dies formulierte das OLG München als Leitsatz.
Übrigens: Auch wenn das Gericht berechtigterweise von einer mündlichen Verhandlung absieht, darf dies jedoch nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag generell herausgehalten wird. Die mit Verfügungsanträgen befassten Gerichte sind demnach gehalten, nach Antragseingang in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob und wie eine förmliche Beteiligung des Gegners zu erfolgen hat.
Schriftsätze sind dem Gericht vorzulegen – bis zur Entscheidung des Gerichts
Die prozessuale Wahrheitspflicht und Pflicht zur Vorlage von allen relevanten Schriftsätzen eines Antragstellers endet entsprechend nicht mit der Antragstellung, sondern besteht solange fort, bis das Gericht entweder den Gegner in das Verfahren förmlich einbezogen hat oder eine Beschlussverfügung ohne Beteiligung des Gegners erlassen hat.
Dazu gehört regelmäßig das unaufgeforderte und unverzügliche Einreichen eines die Streitsache betreffenden Schriftsatzes der bislang nicht am Verfahren beteiligten Gegenseite auch dann, wenn das Verfahren bereits in Gang gesetzt wurde und der außergerichtliche Schriftsatz der Gegenseite erst danach, aber vor einer Entscheidung des Gerichts die Antragstellerseite erreicht, legte das OLG München fest.
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Quellen:
OLG München ‚Prozessuale Waffengleichheit‘, 29 U 6406/20
Bild:
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