Wer seine Rechte auf Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses geltend machen möchte, muss nachweisen, dass die Erfindungen oder Verfahren bestmöglich geschützt wurden – durch ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen. Was aber ist „angemessen“? Es gibt erste Rechtsprechung des OLH Hamm dazu.
Statt eine Erfindung als Patent zu schützten, kann es auch als Betriebsgeheimnis bzw. als Geschäftsgeheimnis unter Schutz gestellt werden.
Rechtsgrundlage ist in einem solchen Fall das noch neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, das am 26.04.2019 in Kraft getretene GeschGehG – wir berichteten. Demnach kann der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses den Rechtsverletzer bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch nehmen (§ 6 GeschGehG). Voraussetzung dafür ist, dass ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen vom Unternehmen vorgenommen wurden ((§ 2 Nr. 1b) GeschGehG).
Geschäftsgeheimnis „Flüsteraggregat“
Eben das machte die Klägerin vor dem OLG Hamm geltend. Sie erhob den Vorwurf, dass die Geschäftsführer der Beklagten im Jahr 2012 oder vorher (jedenfalls während ihrer Zeit als Mitarbeiter der Klägerin) als Geschäftsgeheimnisse einzustufende Unterlagen (insbesondere Zeichnungen) unberechtigt mitgenommen bzw. kopiert hatten, sie dann der Beklagten zur Verfügung gestellt und mit diesen Unterlagen als Nachahmung das „Flüsteraggregat“ gebaut haben sollen.
Diese Klage wurde jedoch abgewiesen, da es sich nach Ansicht des OLG weder um eine Nachahmung des Original Produkts handelte noch von der Klägerin nachgewiesen wurde, dass die Beklagten tatsächlich unberechtigt Unterlagen oder Zeichnungen entwendet hatten. Denn diese wiesen den Vorwurf zurück und behaupteten, dass den Geschäftsführern Maße und Toleranzen aus ihrer Tätigkeit bei der Klägerin quasi als Know-How bekannt gewesen seien. Und ein sogenanntes „Reverse Engineering“, also das Nachbauen nach eigenen Kenntnissen, ist kein unredliches Erlangen im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG.
Was sind ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen?
Besonders interessant ist das Urteil des OLG Hamm jedoch in anderer Hinsicht: denn Insbesondere befasste sich das OLG Hamm im Fall ‚Flüsteraggregat‘ mit dem Aspekt, was denn ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen sind. Das ist umso erfreulicher, weil gerade dieser Punkt trotz RL-Vorschlag und trotz GeschGehG eine Einordnung durch die Rechtsprechung erfordert. Das OLG Hamm hat hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet.
Denn praktisch bedeuten „angemessene“ Geheimhaltungsmaßnahmen einen großen Aufwand für die Unternehmen. Die Klägerin hatte umfangreiche Sicherungsmaßnahmen vorgenommen und wies diese auch nach: EDV-Sicherheitsrichtlinie, reglementierter Zugriff zum sog. PZA und Geheimhaltungsvereinbarungen mit Lizenznehmern. Dennoch erkannte das OLG Hamm dies nicht als ausreichend an.
‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen – verhältnismäßig
Die Angemessenheit bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, erläuterte das Gericht, zudem müssen ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen verhältnismäßig sein. Daher ist nicht erforderlich, dass ein optimaler Schutz des Geschäftsgeheimnisses vorliegt, stellte das OLG klar. Doch von besonderer Bedeutung für die Wertung als „angemessene“ Geheimhaltungsmaßnahmen sind die Art und der wirtschaftliche Wert des Geheimnisses, betonte das Gericht. Dies lasse sich nicht durch ein festes Kosten-Wert-Verhältnis definieren, aber die Schwelle zur Unangemessenheit sei jedenfalls dann überschritten, wenn die Kosten für die Schutzmaßnahmen den Wert des Geschäftsgeheimnisses übersteigen.
Weitere Kriterien für ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen
Als weitere Kriterien nannte das Gericht die Wirtschaftsbranche (und die branchenüblichen Sicherheitsmaßnahmen), der Grad des Wettbewerbsvorteils durch die Geheimhaltung, etwaige Schwierigkeiten der Geheimhaltung sowie die konkrete Gefährdungslage.
Auch die Unternehmensgröße und die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens seien in die Betrachtung mit einzubeziehen, ergänzte das OLG Hamm, von einem leistungsstarken Unternehmen seien auch größere und finanziell aufwändigere Geheimhaltungsmaßnahmen zu erwarten. Insgesamt sei die die rechtliche Bewertung mit Sichtweise eines objektiven und verständigen Betrachters aus branchenspezifischen Fach-Kreisen vorzunehmen.
Ebenfalls eine wichtige Feststellung aus dem Urteil des OLG Hamm betrifft die Schutzbedürftigkeit eines Geschäftsgeheimnisses. Konkret äußerte sich das OLG zu der Frage, ob die Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis entfällt, wenn die entsprechenden Informationen in diesem oder auch in anderen Prozessen und Verfahren den jeweiligen Prozessgegnern teils zugänglich gemacht wurden – ohne (zunächst) auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit hinzuweisen. Ein solches Verhalten führe nicht zum Ende der Schutzbedürftigkeit eines Geschäftsgeheimnisses, entschied das OLG Hamm.
Vorliegend ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen nicht entscheidend
Für den vorliegenden Fall waren ‚angemessene‘ Geheimhaltungsmaßnahmen aber gar nicht entscheidend. Denn maßgeblich ist nicht, wie die Kenntnisse zu erlangen gewesen wären, sondern allein, wie die Beklagten tatsächlich die Kenntnisse erlangt haben, fasste das OLG Hamm zusammen. Selbst wenn unterstellt wird, dass ein Vergleich der Fertigungszeichnungen eine Verwendung der Pläne der klägerischen Zeichnungen nahelegt, besage dies nichts über die Herkunft der Pläne, da die Beklagten sich diese Kenntnisse auch auf anderen Wegen verschafft haben können.
Zwar hatten die Beklagten nachweislich noch während ihrer Anstellung bei der Klägerin konkrete Pläne für die Gründung eines Konkurrenzunternehmens, doch dies ist kein Nachweis für unredliches Erlangen von Kenntnissen.
Geschäftsgeheimnis muss geheim sein
Ein Geschäftsgeheimnis gemäß § 2 Nr. 1 GeschGehG ist eine Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist, machte das OLG Hamm nochmals ganz deutlich.
Dies aber hat die Klägerin vorliegend nicht so gehandhabt, zumindest teilweise waren die strittigen Zeichnungen der Klägerin von den maßgeblichen Bauteilen nachweislich verfügbar. In ihrer Klage aber hatte die Klägerin zu der Geheimhaltung für sämtliche Zeichnungen/Pläne einheitlich vorgetragen.
Die Klage wurde daher abgewiesen. Damit steht der Klägerin auch der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, denn dieser könnte allein aus § 6 GeschGehG folgen.
Ein Letztes
Im Übrigen enthält das GeschGehG weder Übergangsfristen noch Übergangsregelungen. Wird also ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht, hängt die Entscheidung über diesen von der Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ab.
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Quellen:
Urteil des OLG Hamm „Flüsteraggregat“, 4 U 177/19
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