Ein Patent der Audi AG auf virtuelles Eingeben von Schriftzeichen wird gewährt. Audi war erfolgreich mit der Beschwerde vor dem BPatG in der entscheidenden Frage der Erfinderischen Tätigkeit: hätte ein Fachmann leicht auf die gleiche Idee kommen können gemessen am Stand der Technik?
Prüfung der Erfinderischen Tätigkeit
Grundsätzlich ist die berührungslose Bedienung bzw. Steuerung von Gerätefunktionen, die auch der Erfindung des Streitpatents zugrunde liegt, bekannter Stand der Technik. Und für die Prüfung der Erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG) ist genau der Stand der Technik heranzuziehen und die Frage zu klären, ob die Erfindung für einen Fachmann nahegelegen hätte. Dabei werden grundsätzlich nur solche Druckschriften bzw. Veröffentlichungen berücksichtigt, die eindeutig vor dem Anmeldetag öffentlich gemacht wurden (nicht aber Patentanmeldungen, die noch nicht veröffentlicht worden sind).
Wichtig ist in diesem Kontext, dass ein mosaikartiges Zusammenstellen von Merkmalen aus verschiedenen Druckschriften einem fiktiven Fachmann nicht möglich ist. Denn als Ausgleich dafür, dass ein fiktiver Fachmann per Definition den gesamten Stand der Technik kennt, wird dessen Kombinationsfähigkeit in der Fiktion per se beschränkt. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit ist übrigens sehr häufig der Streitpunkt mit den Patentbehörden, wenn es um die Patent Erteilung und auch um die Aufrechterhaltung von Patenten geht.
Bekannter Stand der Technik
Das Streitpatent mit der Bezeichnung „Vorrichtung zum berührungslosen Eingeben von Schriftzeichen“ (Nr. 10 2013 013 697) der Audi AG wurde von der Prüfstelle des DPMA zunächst abgelehnt. Der Erfindung fehle es an erfinderischer Tätigkeit, hieß es im ablehnenden Beschluss, vor allem gegenüber dem bekannten Stand der Technik aus den Druckschriften D1 und D3. Audi legte gegen diesen Beschluss Beschwerde vor dem Bundespatentgericht ein – erfolgreich.
Die Druckschrift D1 (DE 10 2011 121 585 A1) beschreibt eine Vorrichtung zum berührungslosen Eingeben von Schriftzeichen mit einem Display und einer Erkennungseinheit zum Erkennen einer Schriftspur. Druckschrift D3 (WO 2009 / 24 112 A2) beschreibt eine Anzeigeeinrichtung mit Bildfläche und mit Näherungssensoren; die Position und Entfernung eines Bedienelements wird durch die Näherungs-Sensorik detektiert. Zudem nennt Druckschrift D4 (US 2011 / 254 765 A1) eine Vorrichtung zum berührungslosen Eingeben von Schriftzeichen, indem der Benutzer mit seiner Hand im freien Raum wie auf einer „virtuellen Tafel“ schreibt.
Patent der Audi AG: virtuelle Schrifteingabe von mehreren Perspektiven
In diesem bekannten Technikbereich stellte sich Audi der Aufgabe, eine verbesserte Schrifteingabe und Bedienung bereitzustellen, die ohne klassische, erst zu lernende Gesten auskomme. Insbesondere sollte dabei eine Bedienung durch Personen aus mehreren Perspektiven heraus möglich sein, beispielsweise Fahrer und auch Beifahrer im Auto.
Der Schlüssel für diese Erfindung und das Streitpatent liegt in einer adaptiven Festlegung abhängig von der erkannten virtuellen Schreibebene gemäß Merkmal (K). Dafür wird mit einer „virtuellen Schreibebene im Raum“ gearbeitet, wobei eine Erkennungseinheit die Spur einer Fingerspitze oder eines Stiftes frei im Raum z.B. mittels Infrarotsensoren verfolgt und daraus die Schriftspur selbst erkennt und auch die Schreibebene im Raum bestimmt.
Die Prüfungsstelle argumentierte im Zurückweisungsbeschluss, dieses Merkmal sei „zwingend notwendig um eine korrekte Funktion der Vorrichtung zu erhalten, die von einer korrekten Anordnung der Display-Blattebene zwischen Display und der anhand der Eingabe definierten Schreibebene nach Merkmal (I) abhängt“.
Doch dieses Argument ließ das BPatG nicht gelten. Dem zitierten Stand der Technik sei keine Anregung zu entnehmen, diese beiden Maßnahmen derart zu kombinieren, dass auch die virtuelle BedienEbene genauso wie die virtuelle Schreibebene adaptiv für jeden Bedienvorgang erneut festgelegt würde, und dies auch noch „in Abhängigkeit von der Lage der virtuellen Schreibebene“ (Merkmal (K)). Beispielsweise beschränke sich die Druckschrift D3 darauf, diese virtuelle Bedien-Ebene „fest“ anzuordnen.
BPatG: Patentanspruch und Beschreibung wie ursprünglich offenbart
Irgendwelche Hinweise auf eine konkrete Verbindung zwischen einer erkannten virtuellen Schreibebene und einer Bedienebene für virtuelle Bedienelemente liefere der Stand der Technik nicht, entschied das BPatG. Im Übrigen finde sich das zusätzliche Merkmal (K) auf der ursprünglichen Seite 12 Zeile 10 bis 14, ergänzte das Gericht. Und auch die neuen Merkmale (H) und (I) ergeben sich aus den Anmeldeunterlagen sowie aus Figur 2, erläuterte das BPatG.
Diese Feststellung ist wichtig, denn das Gericht bestätigte damit, dass die Patentansprüche und die überarbeitete Beschreibung innerhalb des Rahmens der ursprünglichen Offenbarung bleiben.
Der Beschluss des Prüfungsamts wurde aufgehoben und das Patent wurde in folgender Fassung gewährt:
Patentansprüche 1 bis 9 vom 24. Juni 2020, Beschreibung Seiten 1 bis 13 vom 24. Juni 2020, sowie 2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 und 2 vom Anmeldetag.
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