Ein deutsches Patent von 2005 zur Fahrstabilität im Bremsvorgang bleibt vorerst widerrufen. Die Beschwerde des Patentinhabers Knorr Bremse wurde vom BPatG abgewiesen wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
Das im Mittelpunkt stehende Patent 10 2005 029 716 mit der Bezeichnung „Verfahren zur Erhöhung der Fahrstabilität eines Fahrzeugs“ wurde im November 2018 nach Anhörung vom Patentamt widerrufen. Gegen diesen Beschluss legte der Patentinhaber, die Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH, Beschwerde ein. Mit seinem Urteil 19 W (pat) 17/19 wies das Bundespatentgericht die Beschwerde jedoch zurück. Entscheidend für das Urteil sind die Druckschriften D1 und D7.
D1 (eine deutsche vorveröffentlichte Offenlegungsschrift DE 199 07 633) betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Stabilisierung eines Fahrzeuges, insbesondere zur Vermeidung des Umkippens eines Fahrzeuges um eine in Längsrichtung des Fahrzeuges orientierte Fahrzeugachse, in der auch unter anderem Bremseneingriffe an wenigstens einem Rad beschrieben werden. D7 beschreibt ebenfalls ein Verfahren zur Erhöhung der Fahrstabilität eines Fahrzeugs, ein sogenanntes „Sensitives Elektronisches Stabilitätsprogramm“ SESP.
Zusammenschau der Druckschriften D1 und D7
Eine Weiterentwicklung des Verfahrens zur Erhöhung der Fahrstabilität sei geprägt durch einen Kompromiss zwischen einer hohen Verzögerung beim Bremsen, einer möglichst hohen Spurtreue und einer möglichst geringen Rückwirkung auf das Lenkrad, wertete das Gericht als Ausgangspunkt für einen Fachmann. Dies sei bereits enthalten in der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift als gattungsbildend bezeichnete Druckschrift D1.
Nicht entnehmbar sei der Druckschrift D1 der Teil des Merkmals M9.1, ergänzte das BPatG, wonach der Bremswert am kurveninneren Rad auf einen Minimalwert von 30 % des – 16 – Grundwerts reduziert wird, und das Merkmal M9.2, wonach der Bremswert an dem wenigstens einen kurvenäußeren Rad auf einen Maximalwert von 170 % des Grundwerts erhöht wird. Doch der Fachmann habe Veranlassung, die Lehre der Druckschrift D7 bei der Weiterentwicklung des aus der Druckschrift D1 bekannten Verfahrens zu berücksichtigen.
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Das Gericht bezog sich daher genau auf den Bereich im Patentanspruch, in dem beispielhaft eine SESP-Realisierung erläutert wird. Darin werde explizit auch eine Variante angegeben, bei der im Druckabbaumodus der Radbremsdruck an dem kurveninneren Hinterrad reduziert wird, und ‒ falls das Potential durch Druckabbau nicht ausreicht ‒ auch der Druckaufbau ausdrücklich möglich sein soll. Dabei sei dem Fachmann klar, dass der Druckaufbau am kurvenäußeren Hinterrad erfolgt, so wie es auch im unmittelbar darauffolgenden Gliederungspunkt „Druckaufbaumodus“ näher erläutert werde, erklärte das BPatG. Somit lägen bei Ausführung dieser Stabilisierungsvariante zur gleichen Zeit an einem kurveninneren Rad an der Hinterachse ein gegenüber einem Grundwert reduzierter und an einem kurvenäußeren Rad ein erhöhter Bremswert vor, unabhängig davon, ob der Übergang von Druckabbau fließend oder schlagartig erfolge, betonte das Gericht.
Explizite Prozentangaben tragen nicht zur Lösung bei
Als Unterschied zum Stand der Technik nach der Zusammenschau der Druckschriften D1 und D7 verblieben somit lediglich die Teile der Merkmale M9.1 und M9.2, fasste das BPatG zusammen, wonach ein Minimalwert von 30 % und ein Maximalwert von 170 % des Grundwerts für die Grenzwerte der Bremswertbereiche an dem wenigstens einen kurveninneren bzw. kurvenäußeren Rad beansprucht werden.
Diese expliziten Prozentangaben tragen jedoch nicht zur Lösung der im Streitpatent angegebenen Aufgabe bei und können die notwendige erfinderische Tätigkeit nicht begründen, urteilte das Bundespatentgericht. Es sei nicht zu unterscheiden, ob es sich um mittels Fachwissen bestimmte oder um rein empirische Werte handelt, stellte das Gericht fest. Die beanspruchten Bremswertbereiche müssten zudem sehr groß gewählt werden, um allen Arten von Fahrzeugen gerecht zu werden und bei allen Fahrzeugen die Fahrstabilität wie gewünscht zu erhöhen. Eine jeweilige Bestimmung von geeigneten Bremswerten je Fahrzeugtyp liege nach Ansicht des Gerichts jedoch für den Fachmann im Rahmen fachgemäßer Überlegungen nahe.
Patentanspruch auf Bremswerte aus Intervall: „höchstens“
In der Fassung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag werde trotz der präzisierten Angaben „auf einen Minimalwert von höchstens 30 %“ bzw. „auf einen Maximalwert von höchstens 170 % des Grundwerts“ dieselbe technische Lehre wie mit der Fassung nach Hauptantrag beansprucht, erläuterte das BPatG. Entscheidend ist hier das Wort „höchstens“. Denn schon gemäß Hauptanspruch des Streitpatents sei jeweils ein Bremswert aus dem Intervall zwischen 30 % und weniger als 100 % für das kurveninnere und ein Bremswert aus dem Intervall von zwischen mehr als 100 % und 170 % für das kurvenäußeren Rad einzustellen.
Beschwerde gegen Widerruf des Patents abgewiesen
Die Beschwerde der Patentinhaberin Knorr Bremse wurde daher zurückgewiesen. Das BPatG sah mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 nach Hauptantrag als erwiesen an durch naheliegende Zusammenschau der Druckschriften D1 und D7 und mit dem entsprechendem Wissen und Handeln eines Fachmanns.
Gegen diesen Beschluss steht den an dem Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Abs. 2, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 PatG). Das Urteil des BPatG ist daher noch nicht rechtskräftig.
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Quellen:
Urteil des BPatG 19 W (pat) 17/19
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