Nur wenn sich das BPatG mit der Patentfähigkeit befasst hat, ist ein Urteil des BGH im Berufungsnichtigkeitsverfahren sachdienlich, stellte der BGH in der Leitsatzentscheidung Bausatz klar. Das Streitpatent Bausatz war wegen unzulässiger Erweiterung angegriffen worden.
Das Streitpatent betrifft einen Bausatz bestehend aus einem wandhängenden Objekt und einer hierfür vorgesehenen Befestigungseinrichtung. Das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte Europäische Patent 1 338 711 (das Streitpatent) bietet laut Patentbeschreibung eine präzise und sichere Befestigung, flexibel in der Anwendung.
Streitpatent wurde durch BPatG für nichtig erklärt
Die Klägerin hatte geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und sei unzulässig erweitert worden. Denn die Patentinhaberin hatte als zusätzliches Merkmal gegenüber der erteilten Fassung hinzugefügt, dass die Befestigungseinrichtung versenkbar ist.
Zudem waren in den beschriebenen Ausführungsbeispielen des Patents elastisch verformbare Flügel mit hakenförmigen Enden im Vormontage-Gehäuse vorgesehen. Das Bundespatentgericht hatte daher keine Verallgemeinerung der in der Anmeldung beschriebenen Ausführungsbeispiele zugelassen in Bezug auf den Begriff „Vormontage-Gehäuse“.
Und gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung der Patentinhaberin vor dem Bundesgerichtshof (BGH), die am 13. Februar 2020 entschieden wurde (X ZR 6/18).
BGH sieht keine unzulässige Erweiterung
Der BGH gab der Patentinhaberin Recht. Entgegen der Auffassung des BPatG beruhe der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung nicht auf einer unzulässigen Erweiterung. Außerdem sei er patentfähig, urteilte der BGH.
Verallgemeinerung in Ausführungsbeispielen ist zulässig
Der BGH betonte, dass der maßgebliche Inhalt einer Patentanmeldung anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln ist und sich keineswegs nur auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Ansprüche beschränkt. Außerdem seien auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts zulässig, ergänzte das Gericht.
Daher sei entgegen der Ansicht des BPatG nicht zu beanstanden, dass der Patentanspruch 1 lediglich allgemein ein Vormontage-Gehäuse zum Herstellen eines Kontakts zwischen Hülse und Objekt vorsieht. Denn es komme für die Lösung des Problems gemäß Patentbeschreibung nicht darauf an, dass der Kontakt zwischen Hülse und aufzuhängendem Objekt mit Vormontagemitteln wie den elastischen Flügeln hergestellt wird.
Lehre lediglich beispielhaft mit Vormontagemitteln
In Anbetracht dieser Beispiele ist es laut BGH für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich, dass ein Objekt dann sicher und dennoch auf einfache Weise ohne sichtbare Befestigungspunkte montiert werden kann, wenn ein Vormontagemittel zwischen Hülse und Objekt einen Kontakt vermittelt, bei dem die Hülse nicht nur gegen die Innenwand des Objekts anstößt, sondern darüber hinaus in dem Objekt sicher und korrekt so positioniert ist, dass beim Anziehen des Schraubelements die dadurch hervorgerufene Schubwirkung der Hülse gezielt auf die Rückwand des Objekts aufgebracht werden kann, um dieses gegen die Wand zu spannen.
Dementsprechend erkenne der Fachmann, dass die allgemeine Lehre lediglich beispielhaft anhand von Vormontagemitteln erläutert wird, die in das für die Aufhängung vorgesehene Loch des Objekts einführbare, elastisch verformbare Flügel aufweisen, entschied der BGH.
Daher wurde auch zurecht die verallgemeinerter Form mit der Formulierung „Vormontage-Gehäuse zum Herstellen eines Kontakts zwischen Hülse und Objekt“ verwendet.
Ergänzung ‚versenkbar‘ war offenbart
Auch der Vorwurf einer unzulässigen Erweiterung durch die Ergänzung ‚versenkbar‘ in Bezug auf die Befestigungseinrichtung wurde vom BGH zurückgewiesen. Wie das Patentgericht zutreffend entschieden habe, ist ein solcher Bausatz bereits im Patentanspruch 12 in den Anmeldeunterlagen offenbart.
Leitsatzentscheidung Bausatz: Patentfähigkeit muss vom BPatG beurteilt werden
Der Streitfall weist zudem die Besonderheit auf, dass sich das Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 PatG unter Berücksichtigung des beiderseitigen Vorbringens mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents befasst und diese bejaht hat. In einem solchen Fall ist eine Entscheidung des BGH im Berufungsnichtigkeitsverfahren sachdienlich, stellte das Gericht als Leitsatzentscheidung klar.
Im Patentnichtigkeitsverfahren ist laut Leitsatzentscheidung die Sache im Falle der Aufhebung des patentgerichtlichen Urteils durch den Bundesgerichtshof mangels Sachdienlichkeit regelmäßig zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen, wenn dieses eine Erstbewertung des Stands der Technik unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit noch nicht vorgenommen hat. Dies hatte der BGH auch bereits 2015 in seinem Urteil Bitratenreduktion I festgelegt. Denn die Patentfähigkeit soll zunächst durch das mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet werden.
Patentfähigkeit war vom BPatG bejaht worden
Im vorliegenden Fall habe der Gegenstand von Patentanspruch 1 entgegen der Auffassung der Klägerin durch den Stand der Technik nicht nahegelegen. Vor allem ein Vormontage-Gehäuse gemäß Patentbeschreibung sei nicht durch angeführte Druckschriften nicht nahegelegt worden, ebenso wenig finde sich darin eine Anregung für eine versenkbare Befestigungseinrichtung, erläuterte das Gericht. Insofern sei die Patentfähigkeit zurecht vom BPatG bejaht worden.
Der BGH änderte daher das Urteil des Bundespatentgerichts vom 7. Dezember 2017 ab. Das europäische Patent 1 338 711 wird demnach mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit Patentanspruch 1 über eine Fassung hinausgeht, in der vor dem Wort „Befestigungseinrichtung“ das Wort „versenkbare“ eingefügt ist, und die weiteren Ansprüche auf den so gefassten Anspruch rückbezogen sind.
Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
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Quellen:
Leitsatzentscheidung Bausatz des BGH, X ZR 6/18
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