Wird in einem Patentnichtigkeitsverfahren ein Hinweis auf die technische Lehre des Streitpatents aus einem einzelnen technischen Gesichtspunkt hergeleitet, ist bei einer Entgegenhaltung nicht der einzelne Punkt, sondern der gesamte technische Sachverhalt zu beachten, urteilte der BGH in seiner Leitsatzentscheidung Bitratenreduktion II.
Eine Patentanmeldung enthält häufig Ausführungen zu möglichen Abwandlungen der beschriebenen technischen Lehre. Bei der Ermittlung des Offenbarungsgehalts sei einer Entgegenhaltung – wie bei jedem Text – der Zusammenhang der Darstellung eines bestimmten technischen Sachverhalts zu beachten, urteilte der BGH, da auch wortgleiche Sätze oder Wendungen je nach diesem Zusammenhang unterschiedliche Bedeutung gewinnen können (X ZR 11/17, März 2019).
Diese Leitsatzentscheidung wurde im Rahmen einen Patentnichtigkeitsverfahrens getroffen um das europäische Streitpatent „Verfahren und Schaltungsanordnung zur Bitratenreduktion“ (EP 0 260 748 von 1987). Das Streitpatent ist vor Erhebung der Nichtigkeitsklage erloschen. Bitratenreduktion ist gleichbedeutend mit Datenreduktion und betrifft quasi alle Bereiche in der digitalen Welt, vor allem die Kompression von Audio-, Bild- und Videodaten.
Vorinstanzen zu Patentnichtigkeitsverfahren Bitratenreduktion
Das Patent beschreibt ein Codierverfahren, das zu einer weiteren Bitratenreduktion für Bilddaten führt. In Patentanspruch 1 wird dazu explizit als Kennzeichen des Verfahrens genannt, dass mindestens ein Huffman-Codewort gebildet wird oder eine Folge von Huffman-Codeworten. Das Streitpatent erzielt die angestrebte weitere Bitratenreduktion dadurch, dass als zu codierendes Ereignis nicht die ununterbrochene Folge von Signalwerten, sondern diese Folge und zusätzlich der nachfolgende andere Signalwert behandelt werden. Dabei wurde auch der Fall berücksichtigt, in dem die Teilfolge die Länge Null hat.
Das Patentgericht hatte das Streitpatent zunächst 2013 wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig erklärt (5 Ni 58/11 (EP), März 2013). Gegenüber diesem ursprünglich offenbarten Verfahren mit der offensichtlich als erfindungswesentlich offenbarten Bildung von Huffman-Codeworten aus Ereignissen mit Auftreten von Teilfolgen der Länge Null werde nunmehr ein Verfahren beansprucht, bei dem die Codierung der in Rede stehenden Ereignisse offengelassen wird, urteilte damals das BPatG.
Bitratenreduktion I
Der BGH hob 2015 jedoch dieses Urteil auf, verneinte eine unzulässige Erweiterung und verwies den Rechtsstreit an das Patentgericht zurück unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit gemäß PatG § 119 Abs. 3, Abs. 5 (Urteil vom 7. Juli 2015 – X ZR 64/13). Dieses Urteil X ZR 64/13, auch bekannt als Bitratenreduktion I, legte als Leitsatzentscheidung fest, dass im Patentnichtigkeitsverfahren die Sache im Falle der Aufhebung des patentgerichtlichen Urteils durch den BGH zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen ist, wenn bisher keine Erstbewertung des Standes der Technik unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit vorgenommen wurde. Nachfolgend erklärte das Patentgericht das Streitpatent 2016 erneut für nichtig, dieses Mal, weil es nicht patentfähig sei (30.11.2016 – 5 Ni 58/11 (EP)).
BGH ändert Urteil des BPatG
Das BPatG hatte das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit mit einer Offenbarung durch die US-amerikanische Patentschrift 4 420 771 (K14) begründet, die ein Verfahren zum Codieren von Signalen beschreibt, bei denen ein Wert sehr häufig auftrete. Das Verfahren sei insbesondere zur Codierung von Bilddaten geeignet und lehre die Verwendung einer alternativen Definition eines Laufs („runs“).
Der BGH änderte auch dieses Urteil des BPatG. Das Patentgericht habe sich nur in sehr allgemeiner Weise mit der technischen Lehre der K14 befasst, urteilte der BGH, und seine Entscheidung im Wesentlichen auf den letzten Absatz der Beschreibung gestützt. Aber erst in der ausführlichen Beschreibung erläutere K14 anschaulich ein „Hybridverfahren“, das es erlaubt, die Vorteile der üblicherweise nur in Verbindung mit binären Signalen verwendeten Lauflängencodierung für mehrwertige Signale zu nutzen.
K14 befasse sich daher nicht mit der Codierung eines Signalwerts, sondern mit der Definition eines Laufs, stellte der BGH klar. Dabei lehre K14 neben der Codierung der Länge eines Laufs (von nur zwei möglichen Lauftypen) auch die Codierung der Werte der vergleichsweise seltenen Nicht-Null-Wörter. Indem das Patentgericht die Codierung eines Signalwerts in die „modifizierte Laufdefinition“ einbezog, habe es die Grundlagen der in der Entgegenhaltung K14 offenbarten technischen Lösung verlassen.
Die Leitsatzentscheidung des BGH lautet:
„Wird im Patentnichtigkeitsverfahren die Vorwegnahme der Erfindung oder ein Hinweis auf die technische Lehre des Streitpatents aus einem einzelnen technischen Gesichtspunkt hergeleitet, der in einer Entgegenhaltung dargestellt ist, darf bei der Prüfung des Offenbarungsgehalts der Entgegenhaltung zur Vermeidung einer rückschauenden Betrachtungsweise grundsätzlich nicht dieser einzelne technische Gesichtspunkt isoliert in den Blick genommen werden; maßgeblich ist vielmehr der technische Sinngehalt, der ihm im Zusammenhang mit dem gesamten Inhalt der Entgegenhaltung zukommt. “
Einschränkung des Patentanspruchs begründet Nichtigkeit
Dennoch erklärte der BGH das Streitpatent für teilweise für nichtig. Denn in der Berufung verteidigte die Patentinhaberin beschränkt den Patentanspruch 1 im Hauptantrag, indem in den Patentansprüchen 1 und 10 vor dem kennzeichnenden Teil eingefügt wurde: „wobei es sich bei dem Signal um eine Folge von Koeffizienten handelt, die sich nach der blockweisen Cosinus-Transformation von Bildpunkten eines Videosignals mit anschließender Quantisierung ergibt, und wobei der bestimmte Signalwert (A) der Wert Null ist“.
Der BGH erklärte das Streitpatent durch diese einschränkende Einfügung mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise für nichtig, soweit sich die Patentansprüche auf diese Einfügung rückbeziehen.
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Quellen:
Bitratenreduktion II, Urteil des BGH X ZR 11/17, März 2019
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