Immer wieder kommt es – vor allem bei Patenten in der mobilen Kommunikation – zu Nichtigkeitsklagen gegen ein bereits erloschenes Patent. Der BGH hat in seiner Leitsatzentscheidung ‚Signalübertragungssystem‘ präzisiert, wann ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse dafür vorliegt.
In dem Fall vor dem BGH ‚Signalübertragungssystem‘ ging es um das Streitpatent „Signalübertragungssystem mit verringerter Komplexität“ – angemeldet im Jahr im Januar 1997 (DE 697 32 746.9). Das Streitpatent der Firma Philipps (Niederlande) betrifft ein aus einem Sender und einem Empfänger bestehendes System zur Übertragung eines auf ein akustisches Signal, wie etwa gewandelte menschliche Sprache, zurückgehenden Eingangssignals.
Bedenkt man die weltweite Anwendung von Smartphones, Computern, Tablets etc., die alle mehr oder weniger eine solche Technik nutzen, erkennt man den Wert, der hinter diesem Patent steht bzw. stand. Kurz gesagt: diese Erfindung kommt u.a. in jedem Android betriebenen Gerät vor.
Nichtigkeitsklage gegen das Patent auf das Signalübertragungssystem
Gegen dieses Philipps Patent wurde – wenig verwunderlich – eine Nichtigkeitsklage gegen das Patent in vollem Umfang erhoben, wegen angeblich fehlender Patentfähigkeit. Das ist ein durchaus übliches Vorgehen, vor allem bei Patenten in der mobilen Kommunikation.
Im Gegenzug machte Patentinhaberin Philipps eine Patentverletzung gegen die Klägerin geltend auf der Grundlage von Patentanspruch 7 (vereinfacht: ein Codierer mit einer zweistufigen Suche mit einem gröberen und einem feineren Raster).
Ende 2017 entschied das Bundespatentgericht in dieser Verletzungsklage, dass das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 7 und 8 für nichtig erklärt werde (6 Ni 32/16 (EP)) – da war das Streitpatent bereits erloschen.
Im Laufe des Berufungsverfahrens hatte dann Philipps (die Beklagte) auf die Geltendmachung von Rechten aus dem Streitpatent verzichtet mit der Erklärung, die Verletzungsklage nicht auf weitere Patentansprüche zu stützen; daraufhin ließen die Kläger und Beklagte einvernehmlich Teile der Klage fallen.
Nichtigkeitsklage gegen ein bereits erloschenes Patent
Dennoch machte die Klägerin (Google; seit 2005 Eigentümerin des Android Systems) gegen das Philipps Patent ein Rechtsschutzbedürfnis geltend. Es gehe um ihr Rechtschutzbedürfnis, zum Schutz der Abnehmer ihres Betriebssystems Android das Streitpatent in vollem Umfang anzugreifen, trotz Ablaufs der Schutzdauer und Beschränkung der in den bereits erhobenen Verletzungsklagen geltend gemachten Ansprüchen auf Patentanspruch 7.
Vor dem BGH wurde daher verhandelt, ob der Patentanspruch 7 zurecht für nichtig erklärt worden waren – und ob eine Nichtigkeitsklage überhaupt geführt werden kann gegen ein inzwischen bereits erloschenes Patent.
In der Frage der Nichtigkeit der Patentansprüche 7 bestätigte der BGH die Entscheidung des BPatG: die in Patentanspruch 7 beschriebene zweistufige Suche stelle für einen Fachmann ein generelles und vielfältiges Mittel dar. Der Patentanspruch 7 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, urteilte der BGH. Gleiches gelte auch für die Patentansprüche 1, 5, 9 und 10, soweit sich diese Ansprüche ebenfalls auf die beschriebene zweistufige Suche beziehen, ergänzte das Gericht.
Berechtigtes Rechtsschutzinteresse nach Ablauf der Schutzdauer
Wichtig ist dazu die Entscheidung des BGH zu einem berechtigtem Rechtsschutzinteresse nach Ablauf der Schutzdauer eines Patents, die das Gericht als Leitsatz formulierte:
„Das nach Ablauf der Schutzdauer eines Patents erforderliche Rechtsschutzinteresse für eine Patentnichtigkeitsklage ist nur dann zu verneinen, wenn eine Inanspruchnahme aus dem Schutzrecht ernstlich nicht mehr in Betracht kommt“.
Positiv formuliert heißt das, man kann auch nach Ablauf der Schutzdauer mit einer Nichtigkeitsklage gegen ein erloschenes Patent vorgehen, wenn man zu befürchten hat, man selbst könnte noch Ansprüchen wegen zurückliegender Handlungen ausgesetzt sein. Die Frage, ob ein eigenes Rechtsschutzinteresse vorliegt, dürfe nicht nach allzu strengen Maßstäben beurteilt werden, erläuterte der BGH. Soll eine Nichtigkeitsklage der vorbeugenden Abwehr von Ansprüchen dienen, sei nicht ausschlaggebend, ob diese bereits geltend gemacht oder auch nur angekündigt sind.
In der vorliegenden Fallkonstellation hat die Beklagte Philipps auf der Grundlage der Patentansprüche 7 und 8 bereits Verletzungsklagen erhoben; zudem unterscheide sich der Gegenstand der übrigen Ansprüche sich nur geringfügig vom Gegenstand dieser beiden Ansprüche, stellte der BGH fest. Daher könne der Klägerin nicht zugemutet werden, die damit begründete Unsicherheit hinzunehmen, sie habe ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse – auch gegen ein bereits erloschenes Patent.
Ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse ist im Übrigen nach Rechtsprechung zumindest für nebengeordnete Patentansprüche jeweils gesondert zu prüfen. Denn bei selbstständigen Ansprüchen muss das Interesse an der Nichtigerklärung des einen Anspruchs nicht notwendigerweise auch das Interesse an der Nichtigerklärung eines anderen Anspruchs begründen (siehe BGH GRUR 2005, 749 – Aufzeichnungsträger).
Und auch in einer erst kürzlich erfolgten Entscheidung des BGH wurde festgelegt, dass eine Nichtigkeitsklage trotz Erlöschens des Streitpatents zulässig ist, wenn der Patentinhaber nach einem erfolglos gebliebenen gerichtlichen Antrag auf Durchführung eines Besichtigungsverfahrens auf Anfrage des Nichtigkeitsklägers hin erklärt, er sei nach wie vor gewillt, alle IP-Rechte bezüglich der betroffenen Produkte zu verteidigen (Januar 2021 – X ZR 24/19).
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Quellen:
Urteil des BGH Signalübertragungssystem, X ZR 90/18
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