Hitachi Patent wurde teilweise für DE für nichtig erklärt und bleibt in Hilfsfassung gültig: es geht um das Patent ‚Kodeverteilung für mobile Kommunikation‘. Interessant ist der Fall um das Hitachi Patent wegen dem relevanten Thema für mobile Kommunikation – und weil das Patent bereits erloschen ist.
Das europäische Patent „Mobile Kommunikationsanordnung mit Kodeverteilung Mehrfachzugriffsverfahren“ (Nr. 0 957 594) von Hitachi Ltd. wurde mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise hinsichtlich der angegriffenen Patentansprüche 3, 7 und 9 für nichtig erklärt, und hinsichtlich der angegriffenen Patentansprüche 1 und 8 soweit es über die Fassung nach Hilfsantrag B.6‘ hinausgeht.
Interessant ist dieses Urteil des BPatG (6 Ni 1/17 (EP), verbunden mit 6 Ni 12/17 (EP), verbunden mit 6 Ni 27/18 (EP)) zum einen wegen dem – noch heute relevanten – Thema Kodeverteilung für mobile Kommunikation, zudem aber auch, weil die Klagen gegen dieses Hitachi Patent trotz Erlöschen des Streitpatents am 26. Februar 2019 zulässig sind. Auch ein interessanter Aspekt: Hilfsantrag B.6‘, gestellt in der mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2020, wurde trotz Rüge der Klägerinnen nicht als verspätet zurückgewiesen (§ 83 Abs. 4 PatG).
Der Sachverhalt
Drei Klägerinnen wollen das europäische Patent 0 957 594 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1, 3, 7, 8, und 9 für nichtig erklären lassen; im Dezember 2016, Februar 2017 und im April 2018 wurden entsprechende Nichtigkeitsklagen erhoben. Zuvor hatte im Juli 2016 Hitachi Ltd. Verletzungsklagen gegen die Klägerinnen begonnen aus den Patentansprüchen 1 und 8 des Streitpatents.
Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2020 hat die Klägerin zu 1 ihren Angriff auf die Patentansprüche 3, 4, 7 und 9 erweitert und ihren Angriff auf den Patentanspruch 12 für erledigt erklärt. Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2020 hat die Klägerin zu 2 ihren Angriff auf die Patentansprüche 3, 7 und 9 erweitert. Die Beklagte hat den Erweiterungen der Nichtigkeitsklagen sowie der Teilerledigterklärung zugestimmt.
Kurz danach haben die drei Klägerinnen erneut die Nichtigkeit des Streitpatents gefordert im Umfang der Patentansprüche 1, 3, 7, 8, und 9; Pateninhaberin Hitachi forderte die Abweisung der Klagen, zumindest jedoch die Abweisung der Klagen nach einer der Hilfsfassungen, darunter auch nach dem Hilfsantrag B.6‘ aus der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2020.
Das Hitachi Patent: Kodeverteilung für mobile Kommunikation
Das Streitpatent von Hitachi trägt den Titel „Mobile Kommunikationsanordnung mit Kodeverteilung Mehrfachzugriffsverfahren“ (engl: Code division multiple access mobile communication system). Das Streitpatent betrifft die Synchronisation eines mobilen Endgeräts mit einer Basisstation eines CDMA-Mobilfunksystems.
Hitachi, ursprünglich vor allem als namhafter Konzern für Baumaschinen und Autoelektronik bekannt geworden, ist bereits seit Jahrzehnten auch als Anbieter von Anbieter von Speicherlösungen und Speichermedien (Computerchips und Computer Laufwerke) etabliert.
In dem Hitachi Streitpatent geht es um die verbesserte Synchronisation der Zeitfenster in der Kodeverteilung für mobile Kommunikation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Spreizfaktor des vorbestimmten Kurzzeitcodes einen niedrigeren Wert als ein Spreizfaktor des ersten Kurzzeitcodes hat.
War das neu genug, um patentfähig zu sein? Die Klägerinnen führten verschiedene Druckschriften zum Gegenbeweis an.
Mobile CDMA-Kommunikationssysteme
Grundsätzlich waren Mobile CDMA-Kommunikationssysteme (gemäß Merkmal 1 im Streitpatent) am Prioritätstag bereits bekannt. Doch während die Chiprate in einem mobilen CDMA-Kommunikationssystem fest vorgegebenen ist, wird der Spreizfaktor im Betrieb auf den einzelnen Verkehrskanälen gemäß Merkmal 4 bedarfsweise verändert, womit sich variable Symbolraten realisieren lassen. Insofern sei das vorstehend beschriebene Spreizen jedes zu übertragenden Symbols durch den Langcode und den ersten Kurzcode eine Konkretisierung des „Abbildens“ dieser Codes, erläuterte das BPatG.
Von den Klägerinnen geltend gemacht wurde auch, der Patentanspruchs 1 in erteilter Fassung des Streitpatents sei gegenüber dem im ARIB-Standard dargestellten TDD-Modus bzw. gegenüber dem ARIB TDD-Modus in Kombination mit der Druckschrift Higuchi_IEEE nicht patentfähig.
Und vor allem die Druckschrift Nakamura_IEEE stehe der Patentfähigkeit des Streitpatents in der Fassung nach Hilfsantrag B.6‘entgegen; das darin vorgeschlagene mobile CDMA-Kommunikationssystem ähnelt demjenigen des ARIB-Standards.
In erteilter Fassung nichtig, gültig jedoch in Hilfsfassung
Das BPatG erklärte das Streitpatent in der erteilten Fassung für nichtig, in der Fassung gemäß Hilfsantrag B.6‘ jedoch für gültig. In der erteilten Fassung gehe Patentanspruchs 1 über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, erläuterte das Gericht, insbesondere in Bezug auf die Offenlegungsschrift EP 0 957 594 A2.
Der erteilten Fassung stehen daher die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c) EPÜ und auch der fehlenden Patentfähigkeit gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) i. V. m. Art. 52, 54 EPÜ entgegen.
Hitachi Patent: nach Hilfsantrag B.6‘ schutzfähig
In der Fassung nach Hilfsantrag B.6‘ aber sei das Hitachi Patent schutzfähig, entschied das BPatG. Insbesondere stehe dem die Druckschrift Nakamura_IEEE nicht entgegen; denn zu dem Spreizfaktor finden sich darin keine Angaben. Ein Fachmann aber würde gerade aufgrund des Fehlens einer speziellen Definition dem ARIB-Standard für den TDD-Modus einen vorgegebenen Kurzcode der Länge 1 Symbol (= 256 Chips) für die beiden Chipraten 8,192 und 16,384 Mcps entnehmen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag B.6‘ sei daher durch keine der im ARIB-Standard offenbarten Varianten neuheitsschädlich getroffen, erläuterte das Gericht. Und auch die Merkmale 4 und 2.3.1 der Gegenstände der Ansprüche 1 und 8 nach Hilfsantrag B.6‘ seien nicht bekannt. Ohnehin beansprucht das Hitachi Patent einen Prioritätstag, der wenige Tage vor der Veröffentlichung der Druckschrift Nakamura_IEEE liegt.
83 Abs. 4 PatG : Hilfsantrag B.6‘ verspätet gestellt?
Die Klägerinnen rügten den Hilfsantrag B.6 grundsätzlich als verspätet gestellt, da er erst in der mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2020 gestellt wurde. Denn gemäß § 83 Abs. 4 PatG ist verspätetes Vorbringen zurückzuweisen.
Doch das BPatG wies den Hilfsantrag dennoch nicht zurück. Die Anwendung des § 83 Abs. 4 PatG erfordere, dass das Vorbringen unter Versäumung der nach § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist erfolgt, die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt sowie die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des Termins zur mündlichen Verhandlung erfordert hätte. Das aber war hier nicht der Fall; es sei zu keinen Verzögerungen der Verhandlungen gekommen und die Klägerinnen haben zudem weiter rügelos zur Sache verhandelt, erklärte das Gericht.
Hitachi Patent erloschen seit 2019 – Klagen dennoch zulässig
Interessanter Aspekt in diesem Fall ist auch, dass das Hitachi Patent nach Zeitablauf seit 2019 erloschen ist, das BPatG aber dennoch Klagen als zulässig einordnet. Damit entspricht das BPatG der BGH Rechtsprechung gemäß ‚Signalübertragung‘ vom Juli 2020 (X ZR 90/18): Klagen sind trotz Erlöschen des Streitpatents zulässig – wenn der Kläger Anlass zu der Besorgnis hat, er könne auch nach Ablauf der Schutzdauer noch Ansprüchen wegen zurückliegender Handlungen ausgesetzt sein.
Dies dürfe nicht nach allzu strengen Maßstäben beurteilt werden, ergänzte das Bundespatentgericht. Soll eine Nichtigkeitsklage der vorbeugenden Abwehr von Ansprüchen dienen, ist nicht ausschlaggebend, ob diese bereits geltend gemacht oder auch nur angekündigt sind, erläuterte das BPatG.
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Quellen:
Text:
Urteil des BPatG, 6 Ni 1/17 (EP) verbunden mit 6 Ni 12/17 (EP) verbunden mit 6 Ni 27/18 (EP)
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