Wird mit einer Nichtigkeitsklage ein Patent auf die zugrunde liegende erfinderische Tätigkeit geprüft, wird das Wissen eines Fachmannes angenommen. Ist die Erfindung naheliegend für den Fachmann? Das BPatG urteilte über das EP Patent für Mobilfunk von Intellectual Ventures.
Wird ein Patent wegen mangelnder Patentfähigkeit mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen, wird neben dem Stand der Technik zum Anmeldetag bzw. Prioritätstag auch die erfinderische Tätigkeit berücksichtigt. Bedeutsam ist hier immer das Wissen eines qualifizierten Fachmannes.
Denn es gilt auch als mangelnde erfinderische Tätigkeit, wenn es einem Fachmann nahe gelegen hätte, auf die gleiche Erfindung zu kommen, unter Berücksichtigung seines Fachwissens, das dasjenige eines normalen Verbrauchers deutlich übersteigt- aber gleichzeitig kein abgehobenes Spezialwissen sein soll.
Der Fall: Teilbeschränkung des Patents der Intellectual Ventures LLC
In dem vor dem Bundespatentgericht (BPatG) verhandelten Fall wurde das europäische Patent EP 1 344 323 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland teilweise für nichtig erklärt. Die beschränkte Fassung des Patents nach Hilfsantrag 3 (neu) vom 29. März 2019 wurde vom BPatG für zulässig erklärt.
Die Patentinhaberin, die amerikanische Intellectual Ventures I LLC, verliert mit diesem Urteil etwa die Hälfte der angegriffenen Patentansprüche, nämlich Patentanspruch 1 in der Variante a) sowie die Ansprüche 22 und 26. Hintergrund der Nichtigkeitsklage sind zahlreiche beim Landgericht Mannheim wegen Ansprüchen aus den Patentansprüchen 1, 22 und 26 des Streitpatents anhängige bzw. anhängig gewesene Verletzungsklagen gegen mehrere Klägerinnen in diesem Fall. Das Streitpatent lautet : „Diskontinuierlicher Empfang für Verbraucherendgerät“.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des europäischen Streitpatents in der Variante a) sei in der erteilten Fassung gegenüber dem durch die Dokumente NK20 / NK20a (WALKE, B.: Mobilfunknetze und ihre Protokolle Band 1. 2. Auflage. Stuttgart: B. G. Teubner, 2000 – ISBN 3-519-16430-2, erschienen am 28. Juni 2000) belegten Fachwissen in Verbindung mit NK5 und NK5a nicht patentfähig, urteilte das BPatG. (NK 5: Specification Volume 1 Specification of the Bluetooth System Wireless connections made easy Core. v1.0 B, December 1st 1999 sowie Druckschrift NK5a: SRETHARAN, M; KUMAR, R.: Cellular Digital Packet Data, Artech House Boston London, 1996).
Die Aufgabe des Streitpatents lag darin, Energie im Empfänger eines Benutzergeräts zu sparen, während sich dieses in einer Paketdienstbetriebsart in einem Telekommunikationsnetzwerk befindet.
Entsprechend setzte sich das BPatG detailliert mit dem Wissen eines Fachmanns für drahtlosen Funk auseinander und die Bewertung, ob die Erfindung naheliegend für den Fachmann war.
Intellectual Ventures I LLC
Intellectual Ventures ist ein Erfindungs- und Investmentunternehmen für Patente. Erst im Februar 2019 sprach ein Jury Gericht in Texas (Fall Nr. 2:17-cv-577) Intellectual Ventures einen Schadensersatz von 43 Millionen Dollar zu und befand, dass T-Mobile und Ericsson Inc. gegen die US-Patente Nr. 6.628.629, 7.412.517 und RE46.206 verstießen, die für drahtlose Übertragungen und für das LTE-Netzwerk verwendet werden.
Wissen des Fachmanns
Für den Fachmann seien Kenntnisse vor allem zu einem Leistungssteuerungsschleifenmodul selbstverständlich, stellte das BPatG klar und nannte:
- dass ein derartiges Benutzergerät ein entsprechendes Leistungssteuerungsschleifenmodul, beispielsweise einen Prozessor, zum Betrieb der Leistungssteuerungsschleife aufweist
- dass die Basisstation ein zum Leistungssteuerungsschleifenmodul des Benutzergerätes korrespondierendes Leistungssteuerungsschleifenmodul aufweist, insbesondere, da die Basisstation auch Leistungssteuerungs- (TPC) Kommandos an das Benutzergerät aussendet.
- Fachkenntnis zum Mobilfunknetz der dritten Generation (3G, UMTS), insbesondere auch die paketvermittelten Übertragungen in UMTS
- dass in einem Mobilfunknetz der 3. Generation (3G) Benutzergeräte („UE“) und Basisstationen („Node B“) in einem Telekommunikationsnetzwerk („UMTS Terrestrial Radio Acces Network (UTRAN)“) miteinander kommunizieren.
- dass in UMTS eine Funkschnittstelle in unterschiedliche Schichten aufgeteilt ist, und dass, wenn Pakete empfangen werden, Verbindungen in höheren Schichten unterhalten werden.
Erfindung naheliegend für den Fachmann?
Der Fachmann wäre durch die Aufgabenstellung veranlasst, nach Lösungen zu suchen, wie er den durch die neuen Dienste zu erwartenden zusätzlichen Leistungsverbrauch kompensieren kann, führte das BPatG aus. Da die paketvermittelten Verbindungen in UMTS eine größere Rolle spielen als in Mobilfunksystemen der zweiten Generation sei es für den Fachmann naheliegend, solche Systeme in den Blick zu nehmen, die mit paketvermittelter Übertragung arbeiten.
Dem Fachmann biete sich insbesondere der „Sniff mode“ über ein LM-Protokoll als Betriebsart mit geringem Stromverbrauch und gleichzeitig hoher Verfügbarkeit an, eine Übertragung in Zeitschlitzen. Das aber war Gegenstand des Patentanspruchs, denn es wurde ein Verfahren beschrieben, in dem eine Empfängerschaltung sich für eine oder mehrere vordefinierte Perioden ausschaltet, die vom Telekommunikationsnetz signalisiert werden.
Da der Bluetooth Standard jedoch keine zentrale Funknetzwerksteuerung und keine Basisstationen kennt, handele es sich im Übrigen bei einem Bluetooth-Netzwerk nicht um ein Telekommunikationsnetz im Sinne des Merkmals 1.0, stellte der BPatG fest. Das Gericht führte in diesem Zusammenhang aus, dass nur der Begriff „Kommunizieren“ bisher in der Rechtsprechung erörtert sei und dass darunter jegliche Kommunikation in einem Funksystem-Standard zu verstehen sei, also sowohl Daten- wie auch Sprachkommunikation (BPatG Urt. v. 14.03.2018 – 6 Ni 42/16).
Erste Fassung nichtig, eingeschränkte neue Fassung zulässig
Das BPatG erklärte daher das europäische Streitpatent in seiner ersten Fassung mit Wirkung für Deutschland für nichtig aufgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (gemäß Art. 138 Abs. 1 Buchstabe a) EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 56 EPÜ). Die neue Fassung des Patents nach Hilfsantrag 3 vom 29. März 2019 sei jedoch zulässig.
Dagegen machten die Kläger geltend, dass für die Ausführbarkeit ausreichende Offenbarung nicht ausreichend sei, denn die Ausführbarkeit wurde nur nachgewiesen für das WCDMA-System, obwohl der Patentanspruch für mehr Netztypen gilt. Diesen Einwand wies das Gericht zurück. Eine für die Ausführbarkeit ausreichende Offenbarung sei grundsätzlich bereits dann anzunehmen, wenn mindestens ein Weg aufgezeigt ist, auf dem die Erfindung ausgeführt werden kann, stellte das BPatG klar und verwies auf die entsprechende Rechtsprechung des BGH (X ZR 67/13).
Das Urteil wurde am 12. August 2019 zugestellt und ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Fazit
Es ist nicht das erste Mal, dass ein weitreichendes und langjähriges Patent erfolgreich angegriffen wurde auf der Basis von geradezu antik anmutenden Schriften. Lesen Sie dazu auch gerne unseren Beitrag Antiquiertes Buch schlägt Patentanspruch für Breitband Netzwerke. Unabdingbar ist daher eine professionelle Recherche, die auch historischen Quellenbestand einschließt. Gerne unterstützt unsere Kanzlei Sie durch professionelle Recherche zur Prüfung der Rechtsbeständigkeit.
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Quellen:
Urteil des BPatG 6 Ni 34/16 (EP)
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