Die Siemens AG verlor vorläufig im Patentstreit um Breitband Netzwerke gegen verbündete Kläger aus der Mobiltechnologie. Ein antiquiertes Lehrbuch führte dazu, dass das Bundespatentgericht vor wenigen Tagen ein Schlüsselpatent unter anderem für VoIP und VoFR für nichtig erklärte.
Patentanspruch seit 2002 auf Breitband Netzwerke
Das umstrittene Patent „Verfahren und Vorrichtung zum Einstellen der Bandbreite einer Verbindung zwischen mindestens zwei Kommunikationsendpunkten in einem Datennetz“ wurde im April 2002 von der Siemens AG angemeldet. (EP 1 261 177 (Streitpatent)). Es nimmt die Priorität der deutschen Anmeldung DE 101 22 422 vom 9. Mai 2001 in Anspruch.
Das Patent, das 12 Patentansprüche zum Thema Datennetze und Breitband Netzwerke umfasst, formulierte die Aufgabe, eine für Sprachverbindungen ausreichende Bandbreite bereits vor einer Übertragung zu gewährleisten, die ohne zusätzlichen Protokollaufwand einsetzbar sein sollte. Übrigens wurde das Patent zu einer Zeit angemeldet, als die Telekommunikationsnetze noch sehr konventionell und wenig mobil ausgerichtet waren.
Im Detail betreffen die Patentansprüche viele Elemente, die heute in der Mobilfunktechnologie selbstverständlich sind– und sind umso wichtiger für Unternehmen im Mobilfunkmarkt. So werden beispielsweise „Kommunikationsendpunkte“ genannt, als Beispiele nennt die Streitpatentschrift Router, PPP-Schnittstellen, ISDNTerminals und Personal-Computer mit Datennetzanschlüssen. Ebenso wichtig sind die Patentansprüche für paketorientierte Übertragungsverfahren für Sprache, hier als Beispiele VoIP („voice over IP“) und VoFR („voice over Frame Relay“) genannt.
Patent angegriffen von Zusammenschluss mehrerer Unternehmen
Es verwundert daher nicht, dass sich verschiedene Unternehmen aus der Mobiltechnologie zusammentaten, um dieses Schlüsselpatent anzufechten. Am 4. Februar 2016 erhoben die Huawei Technologies Deutschland GmbH und die Vodafone GmbH gemeinsam Klage (Aktenzeichen 5 Ni 18/16 (EP)). Sie machten geltend, das Streitpatent sei wegen mangelnder Patentierbarkeit aufgrund mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderische Tätigkeit für nichtig zu erklären.
Kläger stützen sich auf antiquiertes Lehrbuch
Im Wesentlichen stützte sich die Klage auf das Buch Anthony S. Acampora: „An Introduction to Broadband Networks“ – veröffentlicht bereits im Jahr 1994! Das antiquierte Lehrbuch beschreibt Breitband-ISDN und ATM, insbesondere Verfahren zum Rufaufbau und zum Bereitstellen zusätzlicher Bandbreite, auch für Pakete (ATM-Zellen) über ein BreitbandNetzwerk (B-ISDN). Explizit werden auch als Nutzanwendungen „packet video“ und „packet voice“ mit variabler Bitrate sowie „digital video“ und „digital voice“ mit konstanter Bitrate angesprochen.
Auch für das Vermeiden möglicher Warteschlange für Pakete nennt das antiquierte Lehrbuch eine Lösung des Rufaufbaus (S. 211, 2. Abs.; „third technique“), in der weitere Bandbreite bei Bedarf allokiert wird. Dies aber entspricht genau dem Patentanspruch.
Bereitstellen der ausreichenden Bandbreite ist wichtiges Patentmerkmal
Die Beklagte berief sich auf das wichtige Merkmal des eigenen Patentanspruchs, dass geprüft wird, ob die Bandbreite für die angeforderte Kommunikationsverbindung ausreicht. Sie argumentierte, dass das antiquierte Lehrbuch lediglich einen eventuellen Paketverlust angesprochen habe und dies keineswegs als Bandbreitenvergleich zu verstehen sei. Die umstrittene Stelle im Buch von Acampora lautet „if the guaranteed quality of service can be maintained, the new request is admitted“ (S. 211, neuntletzte Zeile). Doch das Bundespatentgericht teilte diese Auffassung nicht. Seiner Meinung nach befassen sich das im Patentanspruch beschriebene Verfahren und ebenso auch das Buch Acamporas mit dem Einstellen der Bandbreite einer Verbindung, falls die Dienstgüte nicht gewährleistet werden kann. Denn der im Buch genannte „call processor“ stelle sicher, dass die Datenlast, die über die weitere Kommunikationsverbindung zu erwarten sei, die Dienstgüte der bereits bestehenden Kommunikationsverbindungen nicht unzulässig verringere (S. 205 und 206: „The decision as to whether or not such a request can be granted is made by the call processor which, among other things, must ascertain that the traffic expected to be offered over that newly requested virtual circuit will not cause the quality of service enjoyed by existing virtual circuits to degrade below some guaranteed level.“)
Zudem machte die Beklagte über einen Hilfsantrag geltend, dass die paketorientierte Übertragung von Nutzdaten mittels TCP/IP erfolge. Aber ein TCP/IP-Protokollstack und der diesen verarbeitenden Router zählte am Prioritätstag bereits zum Fachwissen, was durch mehrere Druckschriften belegt wurde.
Auch wurde durch festgestellt, dass am Prioritätstag Router für Voice over IP (VoIP) über ATM-Verbindungen bereits am Markt erhältlich waren.
Schlussendlich urteilte das Bundespatentgericht, dass das Streitpatent wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt werde. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Beklagte kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH die Zulassung der Revision begehren.
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Quellen:
Juris Bundespatentgericht: 5 Ni 17/18/19/16
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