In seinem Urteil ‚Zigarettenpackung‘ änderte der BGH die anders lautende Entscheidung des BPatG: es ging um die Erweiterung nicht offenbarter Merkmale in einem EU Patent. Der BGH folgte seiner bisherigen Rechtsprechung und betonte die Vereinbarkeit von EU Recht und deutschem Patentrecht.
Im Fokus der Entscheidung ‚Zigarettenpackung‘ des BGH (X ZR 158/18) geht um die Erweiterung von nicht ursprungsoffenbarten Merkmalen eines Patents. Ist durch eine solche Hinzufügung von Merkmalen der Schutzbereich erweitert worden, kann es auf Antrag für nichtig erklärt werden. Man spricht dann von einer uneigentlichen Erweiterung, also eine unzulässige Aufnahme eines einschränkenden Merkmals.
Allerdings führt eine Erweiterung nicht zwingend zur Nichtigkeit eines Patents. Denn wenn aus einer solchen Erweiterung keine Rechte hergeleitet werden und das nicht offenbarte Merkmal zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands, nicht aber zu einem Aliud führt, kann ein solches neue Merkmal im Patentanspruch verbleiben. Es ist dann dafür zu sorgen, dass aus diesem hinzufügten Merkmal keine Rechte entstehen.
In der Praxis ist dies aber nicht immer eindeutig: wann verändert ein Merkmal die offenbarte Lehre? In der Rechtswissenschaft spricht man bei einer uneigentlichen Erweiterung von einem Aliud (lat: etwas anderes): etwas anderes als der vereinbarte Gegenstand, als die vertraglich festgelegte Leistung.
Europäisches Patent ‚Zigarettenpackung‘ – unzulässig erweitert?
Konkret war eine Erweiterung von nicht ursprungsoffenbarten Merkmalen eines Europäischen Patents ‚Zigarettenpackung‘ zu beurteilen, woraufhin gegen das EU Patent EP 0 942 880 „Packaging of Smoking Articles“ ein Antrag auf Nichtigkeit gestellt wurde (gemäß IntPatÜG). Die Inhaberin des Patents hatte nachträglich einen der 19 Patentansprüche ändern lassen. Die Patentinhaberin verteidigte ihr Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwanzig geänderten Fassungen (Hilfsanträge 1 bis 5C).
2018 hatte das Bundespatentgericht (BpatG) hatte das Streitpatent ‚Zigarettenpackung‘ für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung hinausgeht, den Antrag auf Nichtigkeit aber ansonsten abgewiesen. Das BPatG war der Ansicht, dass sich aus dem Merkmal 1.E keine Rechte herleiten, sondern es sich um eine Konkretisierung der offenbarten Lehre handele. Gegen dieses Urteil legte die Antragstellerin Berufung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ein.
Das Streitpatent beschreibt eine Zigarettenschachtel, die die jeweiligen Vorteile einer starren Schachtel (Besserer Schutz der Zigaretten) und einer weichen Schachtel (günstig in der Herstellung) kombinieren soll – das ist das technische Problem. Umso interessanter ist das Merkmal 1 E, das eine Unterstützungswirkung auch durch andere Teile der Zarge vorsieht – und das nicht als zur Erfindung gehörend offenbart wurde.
Das BPatG war der Ansicht, dieses Merkmal sei der allgemeinen Lehre zu entnehmen, dass die Zarge insgesamt die Ausbildung der Siegelnähte unterstützt. Doch der BGH widersprach dieser Ansicht. Das hinzugefügte Merkmal füge einen neuen technischen Aspekt hinzu, urteilte der BGH, denn es führe nicht zu einer Konkretisierung der offenbarten Lehre, sondern sogar zu einer Verallgemeinerung hin, nämlich dass die Druckverteilung nicht nur durch die Seitenwände bewirkt werden kann, sondern durch jedes Teil der Zarge.
Aliud Rechtsprechung
Ein Aliud führt zwingend zur Nichtigkeitserklärung eines Patents, wenn der Gegenstand des Streitpatents zum ursprünglich offenbarten Gegenstand in einem Ausschließlichkeitsverhältnis steht – und ebenso auch, wenn das hinzugefügte Merkmal einen neuen technischen Aspekt betrifft. Dies liege vor, erläuterte der BGH, wenn das hinzugefügte Merkmal einen technischen Aspekt betrifft, der weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch zumindest in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist. Dies sei vorliegend der Fall.
Daher änderte der BGH die Entscheidung des BPatG ab und erklärte das Europäische Patent ‚Zigarettenpackung‘ für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollständig für nichtig.
Fazit
Das Urteil des BPatG hatte auch eine Europäische Dimension, denn sogar als Leitsatzentscheidung formulierte das BPatG darin, dass ein Nichtigkeitsangriff wegen unzulässiger Erweiterung des Inhalts der Anmeldung nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜG eine korrigierende zusätzliche Prüfung der Patentfähigkeit erfordere.
Der BGH wiederum betonte die Vereinbarkeit von EU Recht und deutschem Patentrecht. Die Rechtsprechung zu einem Aluid gelte auch für europäische Patente, erläuterte der BGH, weil die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung im nationalen Recht geregelt sind und die dafür maßgebliche Regelung in Art. II § 6 Abs. 2 IntPatÜbkG mit der für deutsche Patente geltenden Vorschriften (§ 22 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 Satz 1 PatG) übereinstimmt.
Im Übrigen folgte der BGH seiner bisherigen Aliud Rechtsprechung und verwies selbst auf die entsprechenden BGH Urteile: Integrationselement (Juni 2011 – X ZR 43/09), Tintenstrahldrucker (August 2013 – X ZB 2/12) und Wundbehandlungsvorrichtung (Februar 2015 – X ZR 161/12).
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Quellen:
Urteil des BGH ‚Zigarettenpackung‘, X ZR 158/18
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