In seiner Leitsatzentscheidung ‚Funkzellenzuteilung‘ hat der BGH geurteilt zur Berufung im Patentnichtigkeitsverfahren: die Berufung muss gegen alle Streitgenossen geführt werden. Eine Berufung nur gegenüber einzelnen Klägern ist unzulässig.
Streitpatent Funkzellenzuteilung – mobile Telekommunikation
Das Streitpatent in diesem Fall ist das europäische Patent 1 327 374 (mit Priorität aus vier britischen Patentanmeldungen) und betrifft mobile Telekommunikation, nämlich die Zuteilung von Funkzellen an Nutzerendgeräte in einem mehrzelligen Netzwerk. Es befasst sich mit der am Prioritätstag erwarteten Ergänzung oder Ersetzung der Mobilfunknetze der zweiten Generation (2G) durch Netze der dritten Generation (3G).
Das Bundespatentgericht hatte das Streitpatent im September 2018 für teilweise für nichtig erklärt. Damit waren weder die Kläger noch die beklagte Patentinhaberin einverstanden, beide legten Rechtsmittel ein, und so wurde dieser Fall im Mai 2021 vom BGH verhandelt. Mit seinem Urteil änderte der BGH das Urteil des BPatG insofern, als das Streitpatent nicht nur teilweise, sondern in vollem Umfang für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt wurde.
Patentanspruch 1 sei zutreffend als nicht patentfähig beurteilt worden, entschied der BGH, denn er sei durch NK1 vollständig vorweggenommen gewesen. NK1, die im Streitpatent als Stand der Technik benannt ist, befasst sich mit der Auswahl von Funkzellen für ein Endgerät in einem zellularen Kommunikationssystem, wenn mehrere Zellen mit unterschiedlichen Dienstbereichen vorhanden sind – und zwar für die Konstellation, dass einzelne Netze bereits die im Vergleich zur ersten Version von GSM neuere Technologie GPRS zur Verfügung stellen.
Doch ließ sich das in NK1 offenbarte Verfahren auch bei Funkzellen mit zusätzlichen Funktionalitäten anwenden – insbesondere auch für solche Funktionalitäten, die am Anmeldetag von NK1 noch gar nicht entwickelt oder standardisiert waren?
Der BGH bejahte das. Für eine solche Weiterentwicklung spreche insbesondere, dass neue Funktionalitäten aus Kostengründen häufig erst nach und nach eingeführt werden, so dass zumindest in einer Übergangszeit nicht alle verfügbaren Zellen alle Funktionalitäten zur Verfügung stellen. Eine solche Übergangsphase war bei der Einführung einer neuen Mobilfunk Generation erst recht zu erwarten, entschied der BGH.
Leitsatzentscheidung: Berufung gegen alle Streitgenossen zu führen
Über das auch fachlich interessante Urteil zum dem Streitpatent hinaus legte der BGH auch eine Leitsatzentscheidung fest in Bezug auf eine Berufung im Patentnichtigkeitsverfahren. Kurz gesagt: eine Berufung ist stets gegen alle Streitgenossen zu führen.
In einem Patentnichtigkeitsverfahren kann der Beklagte ein zu seinen Ungunsten ergangenes Urteil mit der Berufung nur einheitlich gegen alle Kläger angreifen, formulierte der BGH als Leitsatz. Eine nur gegenüber einzelnen Klägern erklärte Berufung ist demnach unzulässig.
Damit bestätigte der BGH seine Rechtsprechung, die seit 1957 praktisch so vorgegeben ist (BGH, Januar 1957 – IV ZR 259/56, BGHZ 23, 73 = NJW 1957, 537, juris Rn. 17; BGH, November 2011 – V ZR 45/11, NJW 2012, 1224 Rn. 9). Sie ist aber auch schlüssig. Denn weil die Entscheidung, ein Patent ganz oder teilweise für nichtig zu erklären, die Rechtslage als Ganzes verändert, wirkt eine solche Entscheidung einheitlich gegenüber allen Verfahrensbeteiligten. Daher sind mehrere Nichtigkeitskläger notwendige Streitgenossen. Dies stellte der BGH u.a. auch im Oktober 2015 im Rahmen seiner „Fugenband“-Entscheidung (Az. X ZR 11/13) klar.
Wenn aber eine gegenüber mehreren notwendigen Streitgenossen wirksam eingelegte Berufung gegenüber einzelnen dieser Streitgenossen zurückgenommen wird und im Hinblick auf die übrigen fortgeführt – dieser Fall sei im Zweifel dahin auszulegen, dass die Berufung gegen alle Streitgenossen fortgeführt werden soll, ergänzte der BGH seine Entscheidung.
Kostenübernahme in der Berufung
Schlussendlich äußerte sich der BGH auch noch in Bezug auf die Kostenübernahme in der Berufung von Patentnichtigkeitsverfahren. Wenn mehrere Kläger als notwendige Streitgenossen am Rechtsstreit beteiligt sind, so erläuterte das Gericht, ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung gegebenenfalls auch zugunsten eines Klägers zu korrigieren, der das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten hat. Dasselbe gelte auch für einen Kläger, der zunächst Berufung eingelegt und das Rechtsmittel später zurückgenommen hat.
Allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig reelle Kosten. Denn wer in einer Instanz keine Anträge stellt, kann weder unterliegen noch obsiegen. Entsprechend liegt die nominelle Beteiligung des Streitgenossen, der keine Anträge stellt, für die Rechtsmittelkosten bei null.
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Quellen:
BGH Leitsatzentscheidung ‚Funkzellenzuteilung‘, X ZR 23/19
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