Der EuG hat in einem langjährigen Markenstreit um die Marke Orange entschieden zwischen den Streitparteien MHCS und Lidl. Ist die Marke Orange Farbmarke oder Bildmarke? Die Beschwerdekammer jedenfalls durfte dies nicht eigenständig prüfen.
Der Sachverhalt
Im Februar 1998 beantragte SA Veuve Cliquot Ponsardin, die Rechtsvorgängerin der Klägerin MHCS (Frankreich) die Eintragung einer EU Farbmarke, die „“Champagner-Weine“ der Nizza-Klasse 33 beansprucht. Ein bestimmter Farbton der Farbe Orange sollte durch die Marke geschützt werden.
In der Markenanmeldung wurde dies wie folgt vermerkt: „wissenschaftliche Definition: trichromatische Koordinaten/Farbmerkmale: x 0,520, y 0,428 – diffuses Reflexionsvermögen 42,3 % – dominante Wellenlänge 586,5 mm – Anregungsreinheit 0,860 – farbmetrische Reinheit: 0,894“.
Farbmarke oder Bildmarke
Erst im März 2007 wurde diese Marke Orange beim EUIPO eingetragen; denn das Markenamt hatte der Farbmarke keine Unterscheidungskraft zuerkannt. Doch 2006 erkämpfte SA Veuve Cliquot Ponsardin die gewünschte Markenanmeldung vor der zweiten Beschwerdekammer des EUIPO (R 148/2004-2). Wichtig daran ist: Der Prüfer hatte festgestellt, dass es sich um eine Bildmarke handele (so war die Marke Orange auch eingetragen worden), aber die zweite Beschwerdekammer war der Auffassung, dass es sich um eine Farbmarke handele.
Farbmarke oder Bildmarke – ist da überhaupt ein Unterschied? Kurz und klar: Ja! Denn Farbmarken haben keine Begrenzung in der Form, während Bildmarken eine klar definierte Kontur aufweisen. Diese Kontur beeinflusst die Wahrnehmung des Verbrauchers und wirkt sich auch auf die Unterscheidungskraft einer Marke.
Lidl stellte Antrag auf Nichtigkeit der Marke Orange
Im November 2015 reichte die Streithelferin, die Lidl Stiftung & Co. KG (Deutschland), einen Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Marke ein. Lidl argumentierte, dass die Angabe des beanspruchten Farbtons anhand einer wissenschaftlichen Definition nicht ausreiche und die Marke keine Unterscheidungskraft besitze.
Die Nichtigkeitsabteilung wies den Antrag auf Nichtigerklärung zurück, doch die Erste Beschwerdekammer hob diese Entscheidung im Februar 2020 auf und verwies die Sache an die Nichtigkeitsabteilung zurück. Die Erste Beschwerdekammer überprüfte in dieser Entscheidung die Art der Streitmarke, also ob es sich um eine Farbmarke oder Bildmarke handelt. Die Streitmarke sei als Bildmarke eingetragen worden – und die Wahl der Art der Marke sei Sache des Anmelders. Die Wahl einer bestimmten Klassifizierung könne vorliegend nicht als offensichtlicher Fehler angesehen werden, entschied die Erste Beschwerdekammer. Die zweite Beschwerdekammer sei nicht befugt gewesen, die Marke von Amts wegen neu und zwar als Farbmarke einzustufen. Aus diesem Grund verwies die Erste Beschwerdekammer den Fall auch zurück zu Nichtigkeitsabteilung; die Beteiligten sollten ihre Rechte neu überprüfen können bei Einstufung der Streitmarke als Bildmarke.
Gegen diese Entscheidung klagte MHCS vor dem Europäischen Gericht (EuG).
Überprüfung der Art der Marke – zulässig oder nicht?
Im Wesentlichen machte MGCS geltend, die Erste Beschwerdekammer habe zu Unrecht die Art der Streitmarke überprüft, denn dies war keine Frage, die von den Beteiligten aufgeworfen wurde.
Der EuG bestätigte diesen Klagepunkt und stellte fest, die erste Beschwerdekammer habe ihre Zuständigkeit überschritten. Denn die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer vom 26. April 2006 (R 148/2004-2) hatte das Eintragungsverfahren abgeschlossen, und in dieser Entscheidung wurde die Streitmarke als Farbmarke festgelegt, erläuterte der EuG. Zwar kann sich der EUIPO laut Rechtsprechung bei einer Entscheidung – neben den von den Parteien vorgetragenen Tatsachen und Beweismitteln – auf weitere Tatsachen stützen, die allgemein bekannt sind, d. h. die jedermann bekannt sein können und die im Laufe des Nichtigkeitsverfahrens festgestellt wurden. Das aber sei vorliegend nicht der Fall, entschied der EuG.
Das EUIPO habe die Eintragung der angefochtenen Marke zu Unrecht nicht als „andere Marke“ oder als „Farbmarke“ anstelle einer „Bildmarke“ berichtigt, fügte das Gericht hinzu. Diese Feststellung des EuG ist umso interessanter, als die Klägerin allerdings nie eine Neuklassifizierung der angefochtenen in der Datenbank des EUIPO beantragt hatte. Nach Aussage des EuG hätte also das EUIPO eigenständig die Marke Orange umklassifizieren müssen.
Verletzung der Charta Grundrechte der EU
Zudem gab der EuG auch dem Klagepunkt von MHCS statt, dass die Überprüfung der Art der Marke ihre Rechte aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletze. Denn die Erste Beschwerdekammer hatte die Beteiligten, insbesondere die Klägerin, nicht zu der von ihr von Amts wegen aufgeworfenen Frage nach der Art der angegriffenen Marke Orange befragt. Damit aber habe sie die durch Art. 94 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2017/1001 gewährleisteten Verteidigungsrechte der Klägerin verletzt, entschied der EuG.
Die Verteidigungsrechte könnten keineswegs durch die Rückverweisung des Falls an die Nichtigkeitsabteilung gewahrt werden, erläuterte das Gericht. Denn die Auslegung der Ersten Beschwerdekammer für die Nichtigkeitsabteilung, an die die Sache gemäß Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2017/1001 zurückverwiesen wird, ist bindend. Im vorliegenden Fall führe diese Auslegung in Anbetracht der Begründung der angefochtenen Entscheidung zwangsläufig dazu, dass die angefochtene Marke als Bildmarke eingestuft wird.
Dazu aber kommt es nun nicht. Denn schlussendlich gab der EuG der Klage von MHCS statt und hob die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer vom Februar 2020 (R 2392/2018-1) auf. Damit gilt die Streitmarke Orange von MHCS als Farbmarke.
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