Sind ein Generikahersteller und der Inhaber eines Arzneimittelpatents als potenzielle Wettbewerber anzusehen, wenn sie sich über die Gültigkeit des Patents im Rechtsstreit befinden? In den Ausführungen des Generalanwalts finden sich dazu interessante Überlegungen.
Gültigkeit des Patents?
In den langen Zeiträumen zu der Genehmigung zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln kommt es gar nicht so selten zu einem Rechtsstreit über die Gültigkeit des zugehörigen Patents und Nichtigkeitsverfahren gegen das Patent.
Der EuGH liegt derzeit die Frage vor, ob ein Generikahersteller und der Inhaber eines Arzneimittelpatents als potenzielle Wettbewerber anzusehen sind, wenn sie sich über die Gültigkeit des Patents im Rechtsstreit befinden – oder auch wenn der Patentinhaber eine einstweilige Anordnung erstritten hat, mit der dem Generikahersteller ein Markteintritt bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens untersagt wird.
Und wenn die Parteien zur Beilegung der Streitigkeit eine Vereinbarung schließen, in der der Generikahersteller sich verpflichtet, mit seinem Generikum nicht in den Markt einzutreten und für die Dauer der Vereinbarung (max. die verbleibende Patentlaufzeit) das Patent nicht anzugreifen – liegt dann eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV vor? Umso mehr, wenn die Vereinbarung auch erhebliche Wertübertragungen an den Generikahersteller umfasst?
In den Ausführungen des Generalanwalts (EU:C:2020:28) finden sich interessante Überlegungen zu bestehendem Wettbewerb im Pharmabereich trotz Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit eines Patents.
Klägerinnen in dieser Auseinandersetzung sind Generics (UK) Ltd, GlaxoSmithKline plc (GSK), Xellia Pharmaceuticals ApS, Alpharma, LLC, vormals Zoetis Products LLC, Actavis UK Ltd and Merck KGaA, Beklagter ist die Competition and Markets Authority (UK). Im vorliegenden Fall war das Patent des Wirkstoffs eines Arzneimittels ausgelaufen und der Originalpräparatehersteller GSK verfügte nur noch über Verfahrenspatente.
Unsicherheit über Patentverletzung = Wettbewerb nicht feststellbar?
In einer solchen Situation können die Hersteller von Generika vom Standpunkt des Patentrechts aus auf zwei Arten rechtmäßig mit generischen Kopien des Originalprodukts in den Markt eintreten, fasste der Generalanwalt zusammen: entweder mit generischen Kopien, die gemäß den Herstellungsverfahren hergestellt wurden, die durch Patente geschützt bleiben, wenn diese Patente für ungültig erklärt werden, oder mit generischen Kopien, die mit anderen Verfahren hergestellt wurden, wobei diese Kopien in diesem Fall keine Verletzung der Herstellungsverfahren des Originalprodukts darstellen, die weiterhin patentrechtlich geschützt sind.
GSK und auch die Generikahersteller machten geltend, dass das Bestehen gültiger und verletzter Patente eine unüberwindbare Schranke für den Zugang eines durch diese Patente geschützten Originalpräparats zum Markt darstelle. Da es jedoch unmöglich sei, zu wissen, ob die Generikahersteller ohne Verletzung der Patentrechte von GSK in den Markt hätten eintreten können (wenn das Patent im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens für ungültig erklärt worden wäre), sei es ebenso unmöglich, festzustellen, ob zwischen den Betreibern ein potenzieller Wettbewerb bestanden habe.
Generalanwalt: Unsicherheit ist Merkmal von Wettbewerb
Die Einstufung einer Vereinbarung zwischen Unternehmen als Vereinbarung, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt, setzt daher voraus, dass es einen Wettbewerb gibt, der eingeschränkt werden kann, führte der Generalanwalt aus. Die Prüfung der Wettbewerbsbedingungen auf einem Markt beruhe dabei nicht nur auf dem bestehenden Wettbewerb zwischen den bereits auf diesem Markt tätigen Unternehmen, sondern auch auf dem potenziellen Wettbewerb zwischen diesen Unternehmen und den noch nicht auf diesem Markt tätigen Unternehmen. Daher müsse festgestellt werden, ob dieser Markt unüberwindbare Marktzutrittsschranken aufweist, erläuterte der Generalwalt.
Die Annahme der Klägerinnen, dass ein potenzieller Wettbewerb zwischen einem Patentinhaber eines Arzneimittels und dem Hersteller eines Generikums von der Wahrscheinlichkeit abhängt, dass der Generikahersteller in einem Rechtsstreit mit dem Inhaber des originalen Arzneimittelpatents Erfolg hat, ist nach Ansicht des Generalanwalts falsch. Ungewissheit sei im Gegenteil ein grundlegendes Merkmal der Wettbewerbsbeziehungen im pharmazeutischen Sektor wie in allen Bereichen, in denen es Exklusivrechte für Technologien gibt.
Verweis auf frühere EuGH Entscheidungen
Zudem verwies er auf die Entscheidung in der Rechtssache Lundbeck/Kommission, in dem der EuGH entschieden hat, dass es nicht notwendig sei, mit Sicherheit nachzuweisen, dass das Generikaherstellerunternehmen in den Markt eingetreten wäre und dass dieser Markteintritt unweigerlich erfolgreich gewesen wäre, wenn nicht zwischen tatsächlichem und potenziellem Wettbewerb unterschieden werden soll; es müsse vielmehr ausreichen, um nachzuweisen, dass dieses Unternehmen in dieser Hinsicht echte, konkrete Möglichkeiten hatte.
Außerdem hindern die Verfahrenspatente, unabhängig von ihrer Gültigkeit, die Hersteller von Generika im Gegensatz zu einem Verbundpatent nicht daran, mit einem Generikum, das nach anderen Verfahren hergestellt wurde, in den Markt einzutreten, ergänzte der GA.
Auch verwies er auf die Entscheidung Novartis/Roche. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte darin klar gestellt, dass der Zustand der Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit der Bedingungen für das Inverkehrbringen und die Verschreibung des fraglichen Arzneimittels nicht ausschließe, dass eine Wettbewerbsbehörde feststellt, dass dieses Produkt zu einem bestimmten Markt gehört und daher mit dem oder den anderen auf diesem Markt vorhandenen Arzneimitteln im Wettbewerb steht.
Einstweilige Verfügung und Werttransfer
Auch eine einstweilige Verfügung (EV) gegen den Generikahersteller ändere dies nicht, eine EV greife dem endgültigen Ergebnis des laufenden Rechtsstreits nicht vor, erläuterte der GA in seinem Schlussantrag.
Einen Werttransfer in einer Höhe vorzunehmen, die ausreicht, um diesen Hersteller zu veranlassen, seine Bemühungen um einen unabhängigen Markteintritt aufzugeben, stelle außerdem eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dar, wenn sich herausstellt, dass die einzige Gegenleistung für diese Wertübertragung darin besteht, dass der Generikahersteller davon absieht, mit seinem Produkt in den Markt einzutreten.
Definition des relevanten Marktes für die Anwendung von Artikel 102 AEUV
Die in Artikel 102 AEUV genannte beherrschende Stellung beziehe sich auf eine wirtschaftliche Stärke eines Unternehmens, die es ihm ermöglicht, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, führte der GA außerdem aus. Ein relevanter Markt wiederum sei dadurch gekennzeichnet, dass die Produkte am Markt konstante Bedürfnisse befriedigen und nur in begrenztem Umfang mit anderen Produkten austauschbar sind, also dass eine Struktur von Angebot und Nachfrage vorliege und ein wirksamer Wettbewerb.
Das vorlegende Gericht aus dem UK erhoffte sich mit der Vorlagefrage zum Artikel 102 AEUV auch die Entscheidung, ob es möglich ist, den Abschluss der IVAX-, GUK- und Alpharma-Abkommen durch GSK als Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 102 AEUV einzustufen. Dies jedoch könne nicht in einem Vorabentscheidungsverfahren beurteilt werden, erklärte der Generalanwalt und verwies auf Artikel 267 AEUV. Es sei Sache der nationalen Behörden, den relevanten Markt zu definieren und auf dieser Basis Wettbewerbsbeschränkungen zu bewerten.
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Quellen:
Schlussantrag des Generalanwalts „Wettbewerb trotz unsicherem Patent“ EU:C:2020:28
Bild:
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