Ein Generikahersteller und der Inhaber eines Arzneimittelpatents sind als potenzielle Wettbewerber anzusehen, auch wenn im Rechtsstreit über die Gültigkeit des Patents eine Streit schlichtende Vereinbarung getroffen wurde.
Der EuGH bestätigte mit seinem heutigen Urteil bestehendem Wettbewerb trotz Rechtsstreit und entsprechender Unsicherheit über die Gültigkeit des Patents und einer Streit schlichtenden Vereinbarung zwischen den Parteien. Dies war ganz ähnlich bereits im letzten Jahr vom erstinstanzlichen EU Gericht (EuG) um das Herz-Kreislauf-Medikament Perindopril (T-691/14) entschieden worden. Neu in dem heutigen Fall war die Frage, ob ein auf dem Markt noch nicht vertretener Generikahersteller Wettbewerber eines bereits bekannten Pharmaunternehmens sein kann.
Klägerinnen in dieser Auseinandersetzung sind Generics (UK) Ltd, GlaxoSmithKline plc (GSK), Xellia Pharmaceuticals ApS, Alpharma, LLC, vormals Zoetis Products LLC, Actavis UK Ltd and Merck KGaA, Beklagter ist die Competition and Markets Authority (UK). Im vorliegenden Fall war das Patent des Wirkstoffs eines Arzneimittels ausgelaufen und der Pharmahersteller des Orginals (GSK) verfügte nur noch über Verfahrenspatente.
Vergleich in rechtlichen Streitigkeiten
Vergleiche zwischen Unternehmen in rechtlichen Streitigkeiten sind insbesondere in Deutschland üblich.
Die Deutschen Gerichte sind sogar rechtlich verpflichtet, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken.
Das Problem, dass insbesondere auf Anraten des Gerichts zwischen Unternehmen geschlossene Vergleiche wettbewerbswidrig sein und die nationalen oder EU-Wettbewerbshüter auf den Plan rufen können, ist dabei nicht neu.
Pharma- und Generikahersteller sind Potentielle Wettbewerber
Nur wenn ein – im Markt noch nicht aktiver – Generikahersteller tatsächlich konkrete Möglichkeiten hatte, in den Markt einzutreten, sei er als potentieller Wettbewerber für den Pharmahersteller des Originalpräparts zu sehen, erläuterte das Gericht. Dazu gehöre auch die Klärung, ob der Generikahersteller hierzu aus eigener Kraft in der Lage war oder ob unüberwindliche Marktzutrittsschranken bestanden.
Das Gericht betonte, dass Patente für sich genommen keine unüberwindlichen Marktzutrittsschranken darstellen, da sie angefochten werden können.
Ein Rechtsstreit, insbesondere ein Gerichtsverfahren zwischen den Parteien, sei keineswegs ein Hindernis für das Bestehen jeglichen Wettbewerbs zwischen ihnen, sondern vielmehr ein Beweis für das Bestehen einer potenziellen Wettbewerbsbeziehung, urteilte der EuGH und folgte damit den Ausführungen des Generalanwalts, dessen Schlussantrag erst seit wenigen Tagen vorliegt.
Wertübertragungen seien auch ein Hinweis auf die Wettbewerbsbeziehung: je größer der Werttransfer, desto stärker die Indikation. Eine Klausel in einer Vereinbarung, die vorsieht, dass ein Patent nicht angefochten wird, beschränke zudem in Anbetracht seines rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes den Wettbewerb im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 AEUV, führte der EuGH aus.
Das Gericht präzisierte, dass es keine Feststellung einer potenziellen Wettbewerbsbeziehung als Schlussfolgerung allein aus der rein hypothetischen Möglichkeit eines Marktzutritts des Generikaherstellers oder aus der bloßen Absicht dazu geben kann. Umgekehrt sei es aber auch nicht erforderlich nachzuweisen, dass der Generikahersteller tatsächlich in den betreffenden Markt eintritt, führte der EuGH aus.
Einstufung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
Eine Einstufung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung setze die Feststellung voraus, ergänzte der EuGH, dass die streitigen Vereinbarungen den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen. Risiken des Wettbewerbs würden bewusst durch praktische Zusammenarbeit zwischen den Parteien ersetzt. Aber nicht in allen Fällen liege eine „bezweckte Beschränkung“ im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 AEUV vor. Maßgeblich seien dabei der Inhalt der Vereinbarungen mit den durch sie verfolgten Ziele sowie das wirtschaftliche und das rechtliche Umfeld.
Bezogen auf den Arzneimittelmarkt sei davon auszugehen, führte der EuGH aus, dass Vereinbarungen Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, wenn das geschäftliche Interesse der Vertragsparteien an der Vermeidung von Leistungswettbewerb der Hauptzweck dieser Vereinbarungen ist.
Denn da bei Arzneimitteln der Verkaufspreis nach dem Markteintritt von Generika erheblich sinke, würde eine solche Vereinbarung für die Generikahersteller einen Anreiz darstellen, auf den Eintritt in den betreffenden Markt zu verzichten. Das Gericht erinnerte daran, dass insbesondere die Öffnung eines Marktes für ein Arzneimittel, das einen kürzlich in die Öffentlichkeit gelangten Wirkstoff enthält, für die Hersteller von Generika auch die für den Arzneimittelsektor charakteristischen regulatorischen Zwänge bedeuten (beispielsweise Art. 6 der Richtlinie 2001/83/EG und Verordnung (EG) Nr. 1394/2007). Der Arzneimittelsektor reagiere zudem besonders empfindlich auf eine Verzögerung des Markteintritts der generischen Version eines Originalpräparats. Dies sei zu berücksichtigen. Das Gericht nannte dabei Monopolpreis und Kosten für Verbraucher und auch Sozialversicherungsbehörden.
Der EuGH betonte aber auch auf die Rechte des geistigen Eigentums und insbesondere die Patente der Hersteller von Originalpräparaten, die sich auf ein oder mehrere Verfahren zur Herstellung eines gemeinfreien Wirkstoffs beziehen. Diese Rechte genießen im Binnenmarkt ein hohes Schutzniveau gemäß der Richtlinie 2004/48/EG, erklärte das Gericht.
Die Überprüfung dessen verwies der EuGH an die nationalen Gerichte. Diese haben im Einzelfall zu prüfen, ob die festgestellten wettbewerbsfördernden Auswirkungen ausreichen, um begründete Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die betreffende Vereinbarung den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.
Einstufung als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung
Auch für eine Prüfung, ob die streitigen Vereinbarungen als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung einzustufen sind, müsse geprüft, wie sich der Markt ohne die Absprachen wahrscheinlich verhalten hätte. Der EuGH betonte, dass dabei nicht relevant sei, ob der Generikahersteller obsiegen oder einen – den Wettbewerb weniger einschränkenden – Vergleich schließen würde.
Missbrauch einer beherrschenden Stellung
Bei einem Arzneimittel, dessen Herstellungsverfahren nach wie vor durch ein Patent geschützt sind, seien auch Generika in den Produktmarkt einzubeziehen, erläuterte das Gericht, sofern die betreffenden Generikahersteller nachweislich mit Stärke in den Markt eintreten könnten und so ein Gegengewicht zu dem bereits auf dem Markt vertretenen Pharmahersteller bildeten.
Indem den Verbrauchern die Vorteile des Markteintritts potenzieller Wettbewerber, die ihr eigenes Arzneimittel herstellen, vorenthalten werden und der Markt mithin unmittelbar oder mittelbar dem Hersteller des Originalpräparts vorbehalten wird, können Vereinbarungen wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen aushaben und eine erhebliche abschottende Wirkung auf den Markt haben.
Das Gericht wies darauf hin, dass ein solches Verhalten dennoch gerechtfertigt sein könne, wenn das Unternehmen nachweist, dass dessen wettbewerbswidrige Auswirkungen durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden, die auch dem Verbraucher zugutekommen.
Bei der entsprechenden Abwägung seien die wettbewerbsfördernden Auswirkungen des betreffenden Verhaltens ohne Rücksicht auf die mit diesem verfolgten Ziele zu berücksichtigen, erklärte der EuGH.
Dies steht im Übrigen in keiner Weise im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach das EU-Wettbewerbsrecht keine „rule of reason“ anerkennt, nach der eine Abwägung der wettbewerbsfördernden und wettbewerbswidrigen Wirkungen einer Vereinbarung vorgenommen werden sollte, wenn sie als „Wettbewerbsbeschränkung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren ist, ergänzte das Gericht.
Was bedeutet dieses Urteil für die Zukunft?
Mit seinem heutigen Urteil hat der EuGH nochmals bestätigt, dass Vergleiche zwischen Unternehmen immer im Lichte des Wettbewerbs zu prüfen sind. Dies gilt auch für gerichtlich protokollierte Vergleiche. Ein Rechtsanwalt hat diesen Aspekt daher immer zu berücksichtigen, darf im Zweifel keinen Vergleich, allenfalls auf Widerruf schließen. Kommt er anschließend zu dem Schluss, dass ein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht vorliegt, so muss er seinen Mandanten über ein mögliches wettbewerbsrechtliches Problem aufklären und ihm ggf. auch raten, den Vergleich zu widerrufen.
Ein Rechtsanwalt setzt sich sonst einem beruflichen Haftungsrisiko aus, wenn seine Mandantschaft im Nachhinein wegen eines (gerichtlichen) Vergleiches wegen eines Wettbewerbsverstoßes belangt wird. Er hat auch die Gerichte darüber aufzuklären, dass ggf. eine wettbewerbsrechtliches Problem vorliegen könnte, wenn ein Vergleich wie vorgeschlagen, geschlossen wird. Richter ziehen erfahrungsgemäß gerade den Aspekt des Kartellrechts und des Wettbewerbsrechts bei ihren Bemühungen um eine gütliche Einigung nicht immer in Betracht.
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Quellen:
Urteil des EuGH Pharma- und Generikahersteller im Wettbewerb, EU:C:2020:52
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