Kann ein Pharmaunternehmen den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten untersagen, die für die Genehmigung des Inverkehrbringens des Arzneimittels übermittelt wurden? Nein, urteilte das EuG, eine Ausnahme von Veröffentlichung gilt nur für Dokumente in Bezug zu Gerichtsverfahren.
Pharmaunternehmen würden oftmals gerne den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten untersagen, die im Rahmen eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels übermittelt wurden. Denn zum einen kann die Veröffentlichung unliebsamen Einblick der Wettbewerber gewähren, zum anderen können die Fachdokumente in der Öffentlichkeit auch nicht oder falsch verstanden werden.
Ausnahme von Veröffentlichung geltend gemacht
Das Urteil des Europäischen Gerichts (EuG) vom 28.06.2019 (EU:T:2019:456) bewegt sich daher im Spannungsfeld zwischen demokratischem Anspruch – das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der Organe bezieht sich auf den demokratischen Charakter dieser Organe – und dem Schutz kommerzieller Interessen.
Klägerin Intercept Pharma / Intercept Pharmaceuticals machte einen Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Schutz von Gerichtsverfahren geltend. Ein Pharmaunternehmen sollte gemäß dieser Verordnung den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten untersagen können, die im Rahmen eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels übermittelt wurden, forderte die Klägerin. Obwohl diese Dokumente nicht im Rahmen eines bestimmten Gerichtsverfahrens erstellt wurden, wäre die Integrität eines betreffenden Gerichtsverfahrens und die Waffengleichheit zwischen den Parteien ernsthaft beeinträchtigt, machte die Klägerin geltend.
Hintergrund ist eine Klage vor einem US-Gericht
Hintergrund zu diesem Fall ist eine im September 2017 erhobene Aktionärsklage gegen Intercept Pharmaceuticals vor einem US-Gericht („die DeSmet-Klage“). Intercept Pharmaceuticals, Inc. (USA) ist ein biopharmazeutisches Unternehmen und die Muttergesellschaft von Antragstellerin Intercept Pharma Ltd (UK). Diese Art von Klage wird in den Vereinigten Staaten häufig gegen börsennotierte Unternehmen nach einem Rückgang der Aktienkurse erhoben, auch Stock Drop-Klage genannt.
Am 3. April 2018 teilte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) Intercept Pharma mit, dass sie von einer Anwaltskanzlei einen Antrag gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 erhalten habe auf den Zugang zu mehreren Dokumenten im Zusammenhang mit dem Arzneimittel Öcaliva. Die US-Gesetzgebung verhindert allerdings explizit, dass die Kläger solche Dokumente von der anderen Partei erhalten – bis gegebenenfalls festgestellt wird, dass die Beschwerde zulässig ist.
Widerspruch zwischen Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 und US Gesetzgebung
Die von der EMA angeforderte Offenlegung betreffe die Art von Informationen, die für die Kläger im Rahmen ihrer Klage in den Vereinigten Staaten nützlich sein könnten, argumentierte Klägerin Intercept Pharma / Intercept Pharmaceuticals und machte einen Widerspruch zu der spezifischen Politik der US-Gesetzgebung geltend, der große kommerziellen Schaden nach sich ziehen würde (im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001). Die Klägerin bezog sich auch auf die Rechtsprechung gemäß dem Urteil Jurašinović / Rat (T-63/10, EU:T:2012:516), wonach sich die in Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 genannten Gerichtsverfahren nicht auf Verfahren vor den Gerichten der EU oder der Mitgliedstaaten beschränken.
Veröffentlichungs-Stop nur für Dokumente in Bezug zu Gerichtsverfahren
Das Europäische Gericht wies die Klage von Intercept Pharma / Intercept Pharmaceuticals jedoch vollständig zurück. Zwar sei in Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 eine Ausnahme für die Veröffentlichung von Dokumenten vorgesehenen, auch im Hinblick auf außereuropäische Gerichtsverfahren. Diese Ausnahme gelte jedoch nur für Dokumente, die im Rahmen eines bestimmten anhängigen Gerichtsverfahrens erstellt wurden, oder ausnahmsweise für Dokumente, die nicht im Rahmen eines bestimmten Gerichtsverfahrens erstellt wurden, aber dennoch Rechtspositionen enthalten, die später Gegenstand eines solchen Verfahrens wurden, urteilte der EuG.
Die im vorliegenden Fall strittige Veröffentlichung betreffe aber stattdessen ein wissenschaftliches Dokument, das der EMA im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens vorgelegt wird, um festzustellen, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Ocaliva unverändert geblieben ist. Für ein solches Dokument sei die in Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme nicht anwendbar.
Auch den Widerspruch zur US-Gesetzgebung wies der EuG zurück. Der Hauptzweck der US-Gesetzgebung sei durch die Absicht gekennzeichnet, missbräuchliche Sammelklagen zu begrenzen, da solche Klagen negative Auswirkungen auf die US-Kapitalmärkte haben, stellte das Gericht klar. Dementsprechend gehe es in dieser Gesetzgebung nicht um den Schutz von Gerichtsverfahren in der Auslegung durch die EU-Gerichte und damit auch nicht um den Grundsatz der Waffengleichheit.
Ausnahme der Veröffentlichung zum Schutz von kommerziellen Interessen
Das Gericht präzisierte auch den Schutz von kommerziellen Interessen gemäß Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001. Um auf dieser Basis eine Ausnahme der Veröffentlichung geltend machen zu können, müsste nachgewiesen sein, dass das Dokument sensible Geschäftsinformationen enthalte, urteilte der EuG. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das angeforderte Dokument wirtschaftlich sensible Informationen enthalte, die sich unter anderem auf die Geschäftsstrategien der beteiligten Unternehmen oder ihre Kundenbeziehungen beziehen, oder die sich speziell auf das Unternehmen beziehen, das sein Fachwissen offenbart.
Klägerin Intercept Pharma / Intercept Pharmaceuticals habe jedoch keine Angaben zu dazu gemacht, welcher Teil des fraglichen Berichts sensible Geschäftsinformationen enthielt, sondern lediglich eine höhere finanzielle Investition im Zusammenhang mit dem in den Vereinigten Staaten anhängigen Gerichtsverfahren geltend gemacht, wenn ihre Dokumente veröffentlicht würden. Daher wies der EuG die Klage vollständig zurück.
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