Der Nähe und Effizienz der Gerichte für EU Designs ist gegenüber dem Ziel der Spezialisierung der Vorrang zu geben, urteilte der EuGH. Die Gerichte der Mitgliedstaaten, die auch für den nationalen Designschutz zuständig sind, sind auch zuständig für den Erlass von einstweiligen Verfügungen in Bezug auf Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
Die aus Holland vorgelegte Vorlagefrage bat um die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 GGV vor allem im Hinblick auf Artikel 81, in dem eine Ausschließlichkeit der Fachgerichte für geschützte Designs vorgesehen ist. Denn möglicherweise wird die in Artikel 81 vorgesehene Ausschließlichkeit in Artikel 90 aufgehoben, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, neben dem Fachgericht auch andere nationale Gerichte einzuschalten. Gestern urteilte der EuGH in dieser Frage.
Die Frage des vorlegenden niederländischen Gerichts bezog sich konkret auf den ersten Teil des Art. 90 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, also die Bestimmung der zuständigen Gerichte für EU Designs in einem EU Mitgliedstaat und in Bezug auf die Anordnung einstweiliger Maßnahmen – dazu gehören einstweilige Verfügungen – einschließlich Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
Der Hintergrund
Der Hintergrund dazu ist die niederländische Gesetzgebung. Der niederländische Gesetzgeber hatte mit dem Erlass von Art. 3 des Gesetzes vom 4. November 2004 beabsichtigt, die spezifischen Kenntnisse der Rechtbank Den Haag (Gericht erster Instanz Den Haag) und des Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag, Niederlande) im Bereich des geistigen Eigentums zu nutzen. Die Frage, ob die in Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 benannten Gerichte für einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen ausschließlich zuständig seien, sei jedoch in Rechtsprechung und Lehre – auch in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich der Niederlande – unterschiedlich beantwortet worden, schilderte das vorlegende niederländische Gericht.
Nach Auffassung der niederländischen Regierung ist Artikel 90 als die allgemeine Regel für Schutz- und einstweilige Maßnahmen zu werten, die je nach Art des Verfahrens folgendermaßen ergänzt werden müssen:
- bei Klagen „im Zusammenhang mit der Verletzung und Gültigkeit von Gemeinschaftsgeschmacksmustern“ (Artikel 81) sollten nur die Fachgerichte die entsprechenden Schutz- und einstweiligen Maßnahmen ergreifen können, da sie die ausschließliche Zuständigkeit für solche Verfahren haben;
- für andere als die in Artikel 81 genannten Handlungen sollte Artikel 90 Absatz 1 gelten, der es jedem Gericht eines Mitgliedstaats erlaubt, einstweilige oder Schutzmaßnahmen zu ergreifen, einschließlich der Fachgerichte.
Generalanwalt sah keine Zuständigkeit für nationale Gerichte
Der Generalanwalt teilte diese Ansicht in seinem Schlussantrag nicht. Das System der spezialisierten Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte trage zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung und zur einheitlichen Anwendung der materiellen Regeln für Klagen auf Verletzung und Nichtigkeit bei, führte der Generalanwalt in seinem Schlussantrag im September 2019 aus, dies entspreche auch den Zielen der Verordnung Nr. 6/2002.
EuGH stellt Nähe der Gerichte über die Spezialisierung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte nun gestern zu dieser Frage. Grundsätzlich sei bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts ist nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele dieser Vorschrift, betonte der EuGH. Der Unionsgesetzgeber habe zwar im 28. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 darauf hingewiesen, eine Spezialisierung der für Gemeinschaftsgeschmacksmusterangelegenheiten zuständigen Gerichte zu der gewünschten einheitlichen Rechtsgültigkeit für EU Designs führt, erläuterte das Gericht.
Aber ebenso wurde im 29. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 betont, dass die Rechte aus einem Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der gesamten Union wirksam durchgesetzt werden können müssen, ergänzte der EuGH.
Die Verfolgung dieses Ziels einer einheitlichen Auslegung sei zwar gerechtfertigt für Gerichtsverfahren, die sich – soweit es um Verletzungs- oder Nichtigkeitsklagen handelt – auf die Entscheidung in der Hauptsache beziehen. Doch den Anträgen auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen in Verletzungs- oder Nichtigkeitsfällen sei den Geboten der Nähe und Effizienz der Gerichte gegenüber dem Ziel der Spezialisierung den Vorrang einräumen, ergänzte gestern der EuGH in seinen Ausführungen. Entsprechend sei auch die Übertragung der Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Verfügungen auf ein Gericht eines Mitgliedstaats, das für den Erlass von Maßnahmen gleicher Art in Bezug auf nationale Musterrechte zuständig ist, geeignet, umso mehr, als ja die Wirkung solcher einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen von Natur aus zeitlich befristet ist.
Den Geboten der Nähe und Effizienz der Gerichte sei gegenüber dem Ziel der Spezialisierung der Vorrang zu geben.
Das Gericht urteilte daher, Art. 90 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster sei dahin auszulegen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten, die für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf ein nationales Musterrecht zuständig sind, auch für die Anordnung solcher Maßnahmen in Bezug auf ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster zuständig sind.
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