Das höchste europäische Gericht hat direkt vor Weihnachten ein wichtiges Urteil im Bereich Urheberrecht und E-Books getroffen. Ist ein virtueller Marktplatz für gebrauchte E-Books eine Urheberrechtverletzung?
Zwei niederländische Verbände, die NUV und GAU, wurden 2014 von mehreren Verlegern der Niederlande beauftragt, gegen Tom Kabinet, den Betreiber eines online Marktplatzes für gebrauchte E-Books, vorzugehen. Die Verleger und Verbände waren der Ansicht, dies sei eine Urheberrechtsverletzung gegen den Verkauf von rechtswidrig heruntergeladenen E-Books.
Juni 2015 änderte Tom Kabinet die bis dahin angebotenen Dienste und ersetzte sie durch einen Tom Kabinet Leseclub. Der Leseclub bot seinen Mitgliedern gegen Zahlung eines Geldbetrages „gebrauchte“ E-Books an, die entweder von Tom Kabinet gekauft oder von den Mitgliedern des Clubs kostenlos an Tom Kabinet gespendet wurden. Im letzteren Fall mussten diese Mitglieder den Download-Link für das betreffende Buch angeben und erklären, dass sie keine Kopie des Buches behalten haben. Tom Kabinet lud dann das E-Book von der Website des Händlers hoch und versah es mit einem eigenen digitalen Wasserzeichen, das als Bestätigung dafür dient, dass es sich um ein rechtmäßig erworbenes Exemplar handelt.
Seit dem 18. November 2015 ist für die Mitgliedschaft im Leseklub kein monatlicher Beitrag mehr zu entrichten, stattdessen benötigen die Mitglieder des Leseklubs „Credits“ (Guthabenpunkte), um im Leseklub ein E‑Book erhalten zu können. Diese Credits können durch Schenkung oder Verkauf eines E-Books und auch bei der Bestellung erworben werden.
Auch in diesem Ablauf sahen die Verleger und die Verbände NUV und GAU eine fortgesetzte Urheberrechtsverletzung und beantragten eine Einstweilige Verfügung gegen den Leseclub. Insbesondere betreibe der Leseclub von Tom Kabinet ihrer Ansicht eine unerlaubte Weitergabe und Wiedergabe von E-Books an die Öffentlichkeit. Denn die Zugänglichmachung eines E‑Books geht üblicherweise mit einer Nutzungslizenz einhergeht, die nur das Lesen des E‑Books durch den Benutzer, der das betreffende E‑Book mit seinem eigenen Gerät heruntergeladen hat, gestattet.
Niederländisches Gericht befand Verbreitungshandlung nicht eindeutig
In einem Zwischenurteil wies die Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag, Niederlande) diesen Vorwurf zurück. Das Angebot von Tom Kabinet stelle keine öffentliche Wiedergabe dieser Werke im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie dar. Dennoch sei nicht eindeutig, ob die zahlungspflichtige Zugänglichmachung eines E‑Books durch Herunterladen zur zeitlich unbeschränkten Nutzung eine Verbreitungshandlung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist. Die Rechtbank legte diese Frage dem höchsten europäischen Gericht (EuGH) zu Entscheidung vor.
EuGH sieht Vorgehen des Leseclubs als öffentliche Wiedergabe
Direkt vor Weihnachten urteilte der EuGH in diesem Fall. Das Gericht erinnerte daran, dass es für eine Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ erforderlich sei, dass ein geschütztes Werk unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von den bisher verwendeten unterscheidet oder für ein „neues Publikum“ wiedergegeben wird (vergl. Urteil Stichting Brein, C‑610/15). Im vorliegenden Fall des Leseclubs Tom Kabinet richte sich die Wiedergabe, wie sie von Tom Kabinet vorgenommen wird, an ein neues Publikum.
Nach alledem sei auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Überlassung eines E‑Books zur dauerhaften Nutzung an die Öffentlichkeit durch Herunterladen unter den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ und insbesondere unter den Begriff der „Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind“, im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 fällt, urteilte der EuGH.
Jede Bereitstellung eines Online-Dienstes ist zustimmungsbedürftig
Das Gericht erläuterte, dass die Frage der Erschöpfung sich weder bei Dienstleistungen allgemein noch bei Online-Diensten im Besonderen stelle, da anders als bei CD-ROM oder CD‑I, wo das geistige Eigentum in einem materiellen Träger verkörpert ist, jede Bereitstellung eines Online-Dienstes im Grunde eine Handlung ist, die zustimmungsbedürftig sei, wenn das Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht dies vorsehe.
Es könne nicht angenommen werden, dass die Überlassung eines Buches auf einem materiellen Träger und die Überlassung eines E‑Books in wirtschaftlicher und funktioneller Hinsicht vergleichbar sind, führte der EuGH aus. Die nicht körperlichen digitalen Kopien würden sich – anders als Bücher auf einem materiellen Träger – nämlich durch den Gebrauch nicht verschlechtert, so dass die „gebrauchten“ Kopien einen perfekten Ersatz für neue Kopien darstellten.
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Quellen:
Urteil Urteil EuGH C:2019:1111
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