Im Verfahren wegen missbräuchlichem Wettbewerb mit Chipsätzen verlangte die EU Kommission über Jahre zahlreiche Auskünfte von Qualcomm. Der Chiphersteller klagte dagegen vor allem wegen mangelnder Erforderlichkeit der Auskünfte. Heute entschied der EuGH.
In einem Verfahren um Missbrauch im Wettbewerb wird der Beschuldigte in der Regel durch einen ein Beschluss der EU Kommission dazu aufgefordert, Auskünfte zu geben in Bezug auf die Verdachtsmomente. Üblicherweise kommt es zu einem längeren Austausch zwischen dem beschuldigten Unternehmen und der EU Kommission.
Es liegt auf der Hand: je mehr Informationen die EU Kommission erhält, desto bessere Fragen kann sie ihrerseits stellen. Darf die EU Kommission also weitere Auskünfte verlangen, wenn die Mitteilung der Beschwerdepunkte schon versandt wurde? Oder fehlt dafür die Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte?
Der EuGH entschied heute nach jahrelangem Verfahren zwischen Qualcomm und EU Kommission (EU:C:2021:76).
Der Sachverhalt
Im Verfahren wegen missbräuchlichem Wettbewerb mit Chipsätzen verlangte die EU Kommission zahlreiche Auskünfte von Qualcomm. Dieser Austausch zog sich über Jahre hin, in dessen Verlauf EU Kommission zu dem vorläufigen Schluss kam, dass Qualcomm seine beherrschende Stellung auf dem Markt für UMTS-konforme Basisband-Chipsätze missbraucht habe; Qualcomm widersprach. Daraufhin verlangte die EU Kommission weitere Auskünfte und legte dafür in der angefochtenen Entscheidung C (2017) 2258 fest, dass Qualcomm Europe verpflichtet sei, die von der Kommission gewünschten Auskünfte fristgerecht zu beantworten, andernfalls werde ein Zwangsgeld in Höhe von 580 000 EUR pro Verzugstag verhängt, das ab dem Zeitpunkt nach Ablauf der genannten Fristen berechnet wird. Die Beantwortungsfrist wurde – mit Verlängerung – bis zum 16. Juni 2017 gewährt, bis zu der Qualcomm auch tatsächlich antwortete.
Noch zuvor aber, nämlich am 13. Juni 2017 und damit vor Fristende, erhob Qualcomm eine Klage gegen die Entscheidung der EU Kommission und berief sich dabei vor allem auf die überlange Dauer des gesamten Verwaltungsverfahrens und die aus ihrer Sicht unnötigen Fragen, denen die Erforderlichkeit fehle. Der angefochtene Beschluss knüpfe an Gesichtspunkte an, die mit Antworten der Klägerinnen auf zum Teil mehr als fünf Jahre zurückliegende Auskunftsverlangen zusammenhingen und Tatsachen beträfen, die sich vor zehn oder mehr Jahren ereignet hätten. Sollte die Kommission die nunmehr angeforderten Zusatzinformationen tatsächlich benötigen, um ihre Untersuchung zu führen, hätten die Klägerinnen berechtigterweise erwartet, dass die Kommission solche Informationen und Klarstellungen zumindest vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Dezember 2015 einhole, und nicht erst im Frühjahr 2017. Es handele sich also nicht um Folgefragen, sondern um neue und noch dazu ungerechtfertigte Fragen.
Doch das erstinstanzliche Europäische Gericht (EuG) erkannte diese Einwände nicht an. Die Prüfung der Angemessenheit in einer Entscheidung über ein Auskunftsersuchen gesetzten Frist sei zwar besonders wichtig, hatte der EuG eingeräumt. Angesichts der wirtschaftlichen Größe von Qualcomm konnte jedoch vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass die Klägerinnen in der Lage waren, innerhalb der gesetzten Fristen eine Antwort zu erteilen, entschied das erstinstanzliche Gericht und wies die Klage von Qualcomm ab.
Qualcomm vor dem EuGH: keine Erforderlichkeit verlangten Auskünfte
Qualcomm war mit diesem Urteil nicht einverstanden und brachte den Fall nun letztlich vor das höchste Europäische Gericht (EuGH), das heute dazu urteilte. Erneut bemängelte Qualcomm die Erforderlichkeit und Sinnhaftigkeit der verlangten Auskünfte. Denn im Zuge dieses Austauschs wurden von der EU Kommission Auskünfte zu sieben Bestandteilen von Chipsätzen verlangt – anstelle der Anfangs verlangten drei Chipsätze. Vor allem aber habe die Kommission ergänzende Daten verlangt, kritisierte Qualcomm, um die von ihren Kunden tatsächlich gezahlten Preise rekonstruieren zu können. Gemäß Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P, EU:C:2015:694, Nrn. 106 und 107) ergebe sich aber, dass dem Unternehmen nur die Verpflichtung auferlegt werden dürfe, Auskünfte zu erteilen, nicht aber die Verpflichtung, Aufgaben zu erfüllen, die in die Zuständigkeit der Kommission fielen, wenn diese eine Akte zusammenstelle.
Daher warf Qualcomm dem EuG vor, die Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit verletzt zu haben; zudem seien Tatsachenfehler begangen und vorgelegte Beweise verfälscht worden. Heute entschied der EuGH.
Verfälschung von Beweisen
Das höchste europäische Gericht (EuGH) erläuterte zunächst ausführlich die Voraussetzungen für den Nachweis einer Verfälschung von Beweisen (gemäß Art. 256 AEUV, Art. 58 Abs. 1 sowie Art. 168 Abs. 1 Buchst. d der Verfahrensordnung). Ein Rechtsmittelführer, der eine Verfälschung von Beweisen durch das Gericht behauptet, muss genau angeben, welche Beweise das Gericht verfälscht haben soll, erklärte der EuGH. Zudem muss sich eine solche Verfälschung in offensichtlicher Weise aus den vorgelegten Akten ergeben, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf. Zwar könne auch schlicht die Auslegung eines Dokuments eine Verfälschung von Beweisen darstellen, aber nur, wenn das Gericht die Grenzen einer vernünftigen Beurteilung dieser Beweise offensichtlich überschritten hätte.
Eine Verfälschung von Beweisen könne nicht dadurch nachgewiesen werden, dass ein Dokument anders ausgelegt werden könnte als durch das Gericht, stellte der EuGH klar und wies den diesbezüglichen Klagegrund von Qualcomm zurück.
Begründetheit und Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte
Vor allem aber machte Qualcomm eine fehlende Begründetheit und Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte geltend. Entsprechend genau befasste sich der EuGH mit diesem Vorwurf.
Das Gericht erläuterte, die Mitteilung der Beschwerdepunkte sei eine vorbereitende Verfahrenshandlung, habe daher vorläufigen Charakter und sei Änderungen anlässlich der späteren Beurteilung zugänglich.
Zwar darf die EU Kommission nur Auskünfte verlangen, die ihr die Prüfung der die Durchführung der Untersuchung rechtfertigenden und im Auskunftsverlangen angegebenen Verdachtsmomente für eine Zuwiderhandlung ermöglichen können, erklärte das höchste Europäische Gericht. Aber es obliege der EU Kommission zu beurteilen, ob sie die Auskünfte benötigt, das folge aus der Befugnis nach Verordnung Nr. 1/2003. Diese Vorschrift schränke auch nicht die Befugnis der EU Kommission ein, Auskunftsverlangen zu versenden, nachdem die Mitteilung der Beschwerdepunkte schon versandt worden seien, präzisierte der EuGH.
Folglich, ergänzte das Gericht, sei die EU Kommission nicht an die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgenommenen tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilungen gebunden- und sie ist auch nicht verpflichtet, ihre Beurteilungen zu erläutern oder zu begründen, wie sie die beantragten Auskünfte zu verwenden gedenkt.
Zudem habe Qualcomm die betreffenden Chipsätze in verschiedenen Konfigurationen verkauft, daher habe die EU Kommission zurecht Auskünfte verlangt, um ein geeignetes „Preis-Kosten“-Kriterium erstellen zu können.
Unverhältnismäßigkeit des Zwangsgeldes
Schließlich machte Qualcomm noch Unverhältnismäßigkeit in der Höhe des vorgesehenen Zwangsgeldtagessatzes geltend, doch vergeblich. Die Festsetzung von Zwangsgeldern nach Art. 24 der Verordnung Nr. 1/2003 bestehe zwingend aus zwei Abschnitten, erläuterte der EuGH. Mit einem ersten Beschluss werde grundsätzlich ein Zwangsgeld verordnet, allerdings ohne Gesamthöhe; daher könne dieser Beschluss gar nicht vollstreckt werden. Erst danach könne auf der Grundlage von einem gemäß Art. 24 Abs. 2 erlassenen weiteren Beschluss die Höhe des Zwangsgeldes endgültig festgesetzt werden. Entsprechend hatte die angefochtene Entscheidung der EU Kommission, mit der ein Zwangsgeld pro Verzugstag festgesetzt wurde, nur dem ersten Abschnitt für die Festsetzung von Zwangsgeldern entsprochen und hatte daher keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt. Daher könne auch keine Klage wegen Unverhältnismäßigkeit dagegen erhoben werde, diese Klage sei unzulässig.
Sich selbst belasten durch verlangte Auskünfte
Es ist ein Paradoxon: Zwar darf die Kommission dem Unternehmen nicht die Verpflichtung auferlegen, Auskünfte zu geben, durch die es die vorgeworfene Zuwiderhandlung eingestehen müsste- jedoch kann das Unternehmen sich dem Verlangen nach Vorlage von Dokumenten nicht mit der Begründung entziehen, dass es sich selbst belasten müsste, wenn es ihnen nachkäme.
Vorliegend jedoch hatte das Auskunftsverlangen insbesondere in der Aufforderung an Qualcomm bestanden, interne Dokumente vorzulegen, nicht aber selbst eine Beurteilung vorzunehmen. Qualcomm könne daher nicht geltend machen (nach dem 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003), es habe sich selbst belasten müssen durch die verlangten Auskünfte, entschied der EuGH.
Schlussendlich wies der EuGH die Klage und das Rechtsmittel von Qualcomm Europe und Qualcomm Inc. vollständig zurück.
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Quellen:
Urteil des EuGH Qualcomm vs. EU Kommission, Erforderlichkeit von Auskünften, EU:C:2021:76
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